Debatte: Integration durch Polarisierung

Die familienpolitische Modernisierung der Union wird die CDU/CSU zur kulturellen Hegemonie führen.

Erinnert sich noch jemand an Renate Schmidt? Kaum. Dabei gilt die Familienministerin der zweiten Legislaturperiode des SPD-Kanzlers Gerhard Schröders als eigentliche Vorbereiterin jener Pläne, die ihre Nachfolgerin derzeit umsetzt. Doch die von der SPD einst reklamierte "Lufthoheit über den Kinderbetten" (Olaf Scholz) liegt heute längst bei der Union. Wenn derzeit von kontroverser, streitbarer Familienpolitik die Rede ist, denkt jeder an Ursula von der Leyen.

Dabei galt die Politisierung des Privaten lange Zeit als Domäne der Linken. Das Private war schließlich politisch - so lange jedenfalls, bis Gerhard Schröder die vermeintlich weichen Themen wie Familie und Ökologie kurzerhand zu Gedöns erklärte. Von dieser Geringschätzung hat sich die SPD bis heute nicht erholt, im Gegenteil: Heute bezahlt sie dafür mit dem Preis der kulturellen Bedeutungslosigkeit auf dem Feld der Familien- und Geschlechterpolitik.

Was wir dagegen im konservativen Lager erleben, ist die getreue Kopie der Politik der Linken, genauer: der Grünen der 80er- und 90er-Jahre. Man könnte es die Strategie der Integration durch Polarisierung nennen. In dieser Zeit gelang es den Grünen, die politischen Diskurse sowohl durch vorauseilende als auch durch nachholende Modernisierung zu bestimmen: Ob im Bereich der Ökologie- oder der Friedenspolitik - es waren die Grünen, die die Debatten stellvertretend für den Rest der Gesellschaft bestritten.

Heute ist es dagegen die Union, in der die entscheidenden Diskussionen stattfinden. Dabei markiert Ursula von der Leyen gekonnt den Daniel Cohn-Bendit, und Angela Merkel gibt den Joschka Fischer. Wie die grünen Vorkämpfer des Realo-Flügels in den 80er-Jahren ergänzen sie sich auf perfekte Weise: Ursula von der Leyen spielt den Agent provocateur und Rechtenschreck wie Cohn-Bendit einst jenen der Linken, während Angela Merkel, nachdem die Bomben hochgegangen sind, ganz wie der heimliche Vorsitzende Joschka Fischer in den späteren Jahren die Brüche wieder notdürftig kittet - ohne sich selbst entschieden verkämpfen zu müssen.

Auch das angestrebte Ziel entspricht dem von Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit in den 80er- und 90er-Jahren: nämlich die eigene Partei vom Rande der Gesellschaft in deren Mitte zu führen. Mit paradoxem Ergebnis: Was als nachholende Modernisierung der Union auf dem Feld der Familienpolitik daherkommt, führt zur Erlangung der kulturellen Hegemonie. Wenn sich die christlichen Fundamentalisten um Bischof Mixa auf der einen Seite und Modernisierer wie Annette Schavan oder Armin Laschet auf der anderen streiten wie die Kesselflicker, befriedigt die Union das noch gestiegene gesellschaftliche und mediale Bedürfnis nach Polarisierung - und wandert zugleich unter der Kanzlerin Merkel immer mehr vom konservativen Rand in die liberale Mitte. Auf diese Weise wird die von rechts massiv kritisierte Sozialdemokratisierung der Union zur hegemonialen Chance in einer längst weitgehend sozialdemokratisierten Gesellschaft.

Was hat die parlamentarische Linke dem entgegenzusetzen? Erstaunlich wenig. Nichts könnte das deutlicher machen als die Tatsache, dass am vergangenen Montag mit SPD-Chef Kurt Beck, Fraktionschef Peter Struck und Finanzminister Peer Steinbrück drei Männer in den Hauptrollen das familienpolitische Programm der SPD verkündeten. Daneben musste die bisher mehr als Oberbürgermeisterin von Bonn denn als Frauen- und Familienpolitikerin bekannte Bärbel Dieckmann eher als blässliche Verlegenheitsfrau erscheinen.

Drei schwergewichtige Männer gegen Ursula von der Leyen: Deutlicher hätte die Unfähigkeit der SPD nicht zum Ausdruck kommen können, ein eigentlich linkes Thema zu den eigenen Gunsten zu politisieren - geschweige denn personell adäquat zu besetzen.

Denkt man heute an die kontroverseste frauenpolitische Politikerin auf der Linken der letzten Jahre, fällt einem nur Gregor Gysi ein, der neben seiner kurzen Amtszeit als Wirtschaftssenator in Berlin auch den Posten der Frauensenatorin bekleidete - ein Armutszeugnis.

Hier zeigt sich, dass zu viel selbstverständliche gesellschaftspolitische Eintracht auch schaden kann - und zwar nicht nur bei der Familien- und Frauenpolitik. Denn fehlende konzeptionelle Streitlust wird mit dem Verlust der medialen Aufmerksamkeit bestraft. Längst ist das Schweigen der Linken auf dem familienpolitischen Feld nur Symptom für den Verlust der kulturellen Hegemonie in weiten Bereichen der gesellschaftlichen Debatte. Heute sind es die Protagonisten der Neuen Bürgerlichkeit wie Paul Nolte und Udo Di Fabio, die mit Themen wie Demografie und Verwahrlosung der Linken die einstigen gesellschaftspolitischen Erbhöfe abgenommen haben.

Wie anders sah dagegen die Situation noch in den 70er- und 80er-Jahren aus. Während Emma familienpolitische Tabus brach, tobte auf der Linken der Kampf zwischen den Fraktionen, mit dem bekannten, zum Teil selbstzerstörerischen Ergebnis. Spätestens in den 80er-Jahren wurde die Organisation des Flügelkampfs jedoch zum eigentlichen medialen Geheimrezept. Der Streit zwischen Realos und Fundis in den Grünen garantierte ebenso ständige Aufmerksamkeit wie die in der SPD verbissen ausgekämpfte Erbfolge der Enkel, von Engholm über Scharping und Lafontaine bis zu Schröder.

Heute dagegen, da die einst avantgardistischen Themen und Diskurse längst in der neobürgerlichen Mitte angekommen sind, herrscht links von der Mitte die organisierte Langeweile. Die einstige feministische Avantgarde der Grünen ist schon lange flügellahm. Und die SPD hat sich ihre einst starken Flügel gleich ganz amputiert.

Nichts könnte das machtpolitische und vor allem inhaltliche Vakuum deutlicher machen als die Tatsache, dass mittlerweile Klaus Wowereit die Speerspitze der Linken innerhalb der SPD repräsentiert und als möglicher Kanzlerkandidat für die Nach-Beck-Zeit gehandelt wird. Dabei galt bisher vor allem Inhaltsleere als sein Markenzeichen. Und auch mit seiner jüngsten Charmeoffensive, etwa in der letzten Ausgabe der neuen Klatschpostille Vanity Fair, mit der er mantraartig seine neue Parole "Uns geht es gut" unters Volk bringt, dürfte der viel beschworene Mentalitätswechsel kaum gelingen. Von linkem Politikwechsel ganz zu schweigen.

Dabei gäbe es der Themen wahrlich genug, die zu einer neuen Politisierung von links regelrecht einladen: angefangen bei der dramatischen Zuspitzung der Energie- und Klimafrage bis hin zur drohenden Eskalation im Iran. Nur an politisierungs- wie polarisierungsbegabtem Personal scheint es der SPD derzeit entschieden zu mangeln. Oder hat irgendjemand in letzter Zeit etwas von Andrea Nahles gehört, der einstigen Hoffnungsträgerin des linken Lagers? Vielleicht organisiert sie ja derzeit ihre eigene Familienplanung. Noch der oder die Politischste ist eben manchmal schlicht privat geworden. ALBRECHT VON LUCKE

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