Feldzug mit Silberpfeil

Stadttheater mal ganz anders: Zum 50. Geburtstag des Leipziger Schauspielhauses veranstaltet Intendant Wolfgang Engel ein großes Schiller-Spektakel. „Wallenstein“ an drei Spielorten, inklusive Industrieruine, Gulaschkanone und Hiphop-Battle. Die Inszenierung selbst ist allerdings eher grundsolide

VON TORBEN IBS

Drei Stücke, drei Spielorte und knapp fünf Stunden Theater – einen großen Rahmen hat Wolfgang Engels Inszenierung von Schillers Wallenstein-Trilogie, die am Sonnabend am Schauspielhaus Leipzig Premiere hatte. Vielmehr: auch dort Premiere hatte. Denn im Hause selbst gibt es erst den dritten Teil des Schiller-Reigens zu betrachten. Davor und danach ist aber die ganze Stadt in dieses Mammutptojekt einbezogen. Offizieller Anlass übrigens: der 50. Geburtstag des Schauspielhaus-Gebäudes in seiner jetzigen Form. Das erste Stück war damals der „Wallenstein“, in der Regie von Arthur Jopp.

Der „Feldzug durch Leipzig“, so nennt sich dies Spektakel im Untertitel, beginnt in der Halle 14, einer ehemaligen Baumwoll-Spinnerei im Stadtteil Plagwitz, die sich mittlerweile zu dem angesagtesten Galerie-Standort Leipzigs entwickelt hat. Hier geht es voran. Zwischen Tarnnetzen und Sandsäcken (Bühne: Horst Vogelsang) hat Wallenstein sein Lager aufgeschlagen. Durch Mauerdurchbrüche strahlen Kronleuchter, ein Feuer brennt in der Ecke, Teppiche zieren den Betonboden, und von der Decke rieselt der Putz – so ungefähr müssen Kommandozentralen in modernen Bürgerkriegen aussehen. Und so beginnt in Leipzig „Die Piccolomini“, der zweite Teil der Wallenstein-Trilogie.

Die Inszenierung verzichtet auf überflüssige Schnörkel. Stefan Schießleder gibt den Wallenstein als den großen Zauderer, während sein Gegenspieler Octavio Piccolomini (Matthias Hummitzsch) ganz den durchtriebenen Staatsmann geben darf, der kühl kalkulierend die Fäden in seiner Hand versammelt und zu ziehen weiß. Mitten in diese Felder der Macht geraten sein frisch verliebter Sohn Max und Thekla, die Tochter des Generals. Aleksandar Radenkovic gibt seiner Figur eine Unbeschwertheit eines Boygroup-Sängers, was aber die dramatische Fallhöhe in diesem Fall nur steigert. Gleiches gilt für Katharina Leys Thekla, die vor allem durch ihren teenagerhaften Überschwang auffällt, der aber ziemlich schnell unter die Räder der Realpolitik kommt. Auch der Rest des Ensembles präsentiert glaubwürdige Figuren, die aber nicht über die von Schiller angelegten Charakter hinausragen. Regisseur Engel bleibt nah am Text und versucht gar nicht erst, die alte Saga auf neue Aspekte abzuklopfen oder (zwangs-)zu aktualisieren – wenn man vom Ende des Abends einmal absieht. So liefert er einen flotten, grundsoliden Wallenstein ab.

Raus aus der Fabrik, rein in die Busse. Die Leipziger Verkehrsbetriebe haben ihr Vorzeigeprodukt namens Silberpfeil zur Verfügung gestellt und fahren quer durchs regnerische Leipzig zum Schauspielhaus. Nach der Eröffnung in der Industrieruine wird einem beim Blick aus dem Busfenster einmal wieder klar, wie viele andere Ruinen und leer stehende Häuser es in der Stadt noch gibt. Auch Kriegsfolgen, wenn auch die eines kalten. Dafür sind die Busse neu.

Noch mehr zu verdauen gibt es im Schauspielhaus: Speis und Trank nach „Art des Feldlagers“. Vor dem warmen Schlachtplattensortiment im Foyer bilden sich rasch lange Schlangen, Bier wird stilecht in Tonkrügen ausgeschenkt, und in der „Feldküche“ auf dem Innenhof gibt es Gulaschsuppe aus entsprechender Kanone. Theater als ganzheitliches Event für Körper und Geist? Irgendwie so etwas.

Auf der Bühne schwindet sodann mit jeder dramatischen Eskalationsstufe das Bühnenbild. Was als ein Labyrinth aus roten Absperrbändern beginnt, die wie auf Flughäfen die Wege auf der Drehbühne vorschreiben, endet als fast leerer Raum. Mit Wallensteins Tod fallen auch die aufgehängten Tarnnetze und somit die letzte Reminiszenz an Krieg und Gewalt. Hin und wieder gelingen auch große Bilder, wie beim Auftritt der Pappenheimer, als zwölf schwarz gerüstete, schwerbewaffnete Soldaten hinter dem eisernen Vorhang erscheinen und später ihren Regimentschef Max mitnehmen.

Jetzt mit dem silbernen Bus zum „Völki“, wie die Leipziger den 1915 erbauten Steinkoloss des Völkerschlachtdenkmals am Stadtrand liebevoll nennen, zum ersten und gleichzeitig letzten Akt: Wallensteins Lager. Dort herrscht Volksfeststimmung. Die Bühne liegt im Wasser, der Weg dorthin ist mit Fackeln ausgeleuchtet, und das Denkmal selbst erstrahlt in seiner ganzen, teilweise eingerüsteten Pracht. Die Mitglieder des Schauspielstudios und 50 Freiwillige veranstalten mit Trommeln, Drums und DJ eine 30-minütige Hiphop-Battle zum Thema Wallenstein und Co. Tatsächlich bedienen sie sich lediglich an Schillers Duktus, doch Knittelreim und Soundloops passen offensichtlich gut zusammen. Wie bei jeder guten Battle gehört auch hier das Gegnerbashing zum guten Tun, und in diesem Fall muss Martin Reik, er hat bereits den Feldmarschall Illo gegeben, daran glauben. Denn die Predigten des Kapuzinermönchs will auch gerappt keiner im Lager so richtig hören.

Am Ende sind alle zufrieden, satt auch. Was für ein schöner Feldzug.