Zurück auf Los

Die Koalitionsrunde hat die Familienministerin mit ihren ehrgeizigen Kita-Plänen ausgebremst

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Sage keiner, die große Koalition produziere nur Stillstand und Verdruss. Es gibt durchaus Menschen, die sich über die jüngsten Beschlüsse der Regierung freuen können: die Hersteller von Antibabypillen und Kondomen. Die Verlautbarungen nach der Koalitionsrunde von Union und SPD am späten Montagabend dürften den Absatz von Verhütungsmitteln neu angekurbelt haben.

Zumindest jene Frauen und Männer, die bei ihrer Familienplanung berücksichtigen, ob es genügend Kinderbetreuungsplätze gibt, werden sich nun wieder zweimal überlegen, ob sie in nächster Zeit Nachwuchs in die Welt setzen. Die Erwartungen an einen massiven Ausbau der Kinderbetreuung, die Familienministerin Ursula von der Leyen in den letzten Wochen geweckt hatte, wurden deutlich gedämpft.

Um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern, hatte die CDU-Politikerin mindestens 750.000 Kinderbetreuungsplätze gefordert – das war ihr erklärtes Ziel, das sie überall vertrat. Nun wurde sie in ihrem Tatendrang gebremst – von den Führungskräften der eigenen Partei. Die wütenden Proteste von konservativen Flügelkämpfern und empörten Kardinälen der katholischen Kirche gegen von der Leyens neue Familienpolitik machten auf die Unionsspitze offenkundig Eindruck und ließen es auch Kanzlerin Angela Merkel angeraten erscheinen, es mit der Modernisierung langsamer angehen zu lassen.

Statt die ehrgeizigen Pläne der zuständigen Ministerin mit voller Kraft zu unterstützen, beschloss die Spitzenrunde im Kanzleramt nach mehrstündigen Beratungen lediglich, den Koalitionsvertrag einzuhalten und dafür zu sorgen, dass – wie ohnehin geplant – bis zum Jahr 2010 weitere 230.000 neue Kinderbetreuungsplätze geschaffen werden. Wenn dieses Vorhaben erreicht wird, gäbe es dann insgesamt rund 500.000 Plätze. Von der Leyens Ziel der Dreiviertelmillion Kitaplätze – es ist bei den Beratungen im Kanzleramt in der Nacht zum Dienstag wieder in weiter Ferne gerückt.

Es müsse geklärt werden, ob es über die 500.000 Plätze hinaus überhaupt Bedarf für zusätzliche Betreuungsplätze gebe, sagte Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU). Zunächst gehe es darum, den im Koalitionsvertrag festgelegten Ausbau voranzutreiben, bremste auch CSU-Landesgruppenchef Peter Ramsauer die ungeliebte Unionskollegin im Familienministerium. Man wolle den Ausbau der Kinderbetreuung „nicht forcieren“, sagte Ramsauer, sondern die moderaten Pläne der Koalition aus dem Jahr 2005 umsetzen: „Jetzt machen wir das erst mal.“ Ob darüber hinaus weitere Kinderbetreuungsplätze nötig seien, müsse man „mit den Kommunen und Ländern sauber abklopfen“.

Die Äußerungen der Unionsmänner kann man als Zugeständnis an die konservativen Bedenkenträger verstehen. Sie sind aber auch ein Affront gegen die eigene Ministerin. Denn mit ihren Bremsmanövern stellen Kauder und Ramsauer die Kompetenz der Fachfrau in Zweifel. Seit Wochen erklärt von der Leyen, dass in Deutschland 750.000 Plätze gebraucht werden, um wenigstens europäische Durchschnittswerte zu erreichen – nun wollen ihre Parteifreunde erst noch prüfen, ob sie Recht hat. Da hört es sich fast höhnisch an, wenn CDU-Fraktionsgeschäftsführer Norbert Röttgen versichert, die Koalitionsbeschlüsse seien „eine eindrucksvolle Bestätigung“ für von der Leyen. Die Ministerin selbst gab sich unbeeindruckt: „Keineswegs sind meine Vorschläge vom Tisch.“ Sie freue sich, dass ein „Fahrplan“ vereinbart wurde, um die weiteren Entscheidungen zu treffen. Noch im März wird es eine Konferenz mit den FamilienministerInnen aus den Ländern geben, Mitte April soll dann erneut eine Koalitionsrunde beraten. Politisch aber wurde von der Leyen „zurück auf Los“ geschickt. Eine Zusage, bei der Kinderbetreuung über den Koalitionsvertrag hinauszugehen, bekam sie nicht. Auch nicht von Merkel.

Die Kanzlerin signalisierte zwar grundsätzlich Unterstützung. „Wir können davon ausgehen, dass der Bedarf noch einmal steigen wird“, sagte sie. Sie blieb aber vorsichtig und sprach sich für ein schrittweises Vorgehen aus. So erspart sie sich auch weiteren Ärger mit der SPD und eine Entscheidung in der heiß umstrittenen Frage, wer dann die neuen Kitaplätze finanziert.