Von Hitlers Eindeutschung

Genau 75 Jahre nach der Einbürgerung des staatenlosen Österreichers Adolf Hitler durch den Freistaat Braunschweig versucht die Politik, die zweifelhafte Aktion rückgängig zu machen. Ob das gelingt, scheint fraglich

von KAI SCHÖNEBERG

Joseph Goebbels notierte es am 4. Februar 1932 in seinem Tagebuch: „Es ist beabsichtigt, den Führer in Braunschweig zum außerordentlichen Professor zu ernennen.“ Der spätere Propagandaminister sah vor den Wahlen zum Reichspräsidenten im März nur noch wenige Möglichkeiten, Adolf Hitler die nötigen Weihen der deutschen Staatsbürgerschaft zu verleihen. Der in Braunau am Inn geborene Führer hatte ein Problem: Er musste die deutsche Staatsangehörigkeit bekommen, um gewählt werden zu können – so wollte es die Weimarer Verfassung.

Hitler war staatenlos, weil er Österreich 1913 gen München verlassen hatte, um sich dem Militärdienst zu entziehen. Im Jahr 1925 war er auf eigenen Wunsch aus der österreichischen Staatsbürgerschaft entlassen worden. Neben dem damaligen Land Oldenburg war der einstige Freistaat Braunschweig damals das einzige Land in der Weimarer Republik, in dem die Nationalsozialisten die entscheidenden Leute auf den entscheidenden Posten hatten.

Das Hitler-Problem wird demnächst den Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des niedersächsischen Landtags beschäftigen: Die SPD überlegt, Hitler die Staatsbürgerschaft fast genau 75 Jahre nach ihrer Erteilung wieder zu entziehen. Niedersachsen als Rechtsnachfolger des Landes Braunschweigs solle sich dafür stark machen. Es gehe ihr um den „Symbolgehalt“, versichert die Landtagsabgeordnete Isolde Bachmann. Und vielleicht auch darum, das Stigma loszuwerden, letztlich für alles Spätere verantwortlich zu sein. Ob das allerdings Erfolg hat, ist fraglich: Zur Zeit prüft das Innenministerium, ob Hitler posthum die Staatsangehörigkeit abzuerkennen ist. Allerdings, so sagt ein Sprecher, sei das laut Grundgesetz ausdrücklich ausgeschlossen.

Damals erhielt der braunschweigische NSDAP-Innen- und Volkbildungsminister Dietrich Klagges von der Parteiführung aus Berlin den Auftrag, den Führer „einzudeutschen“. Es sollte nicht nur eine Formalie werden. Bereits 1930 war der Versuch misslungen: der thüringische Innen- und Volksbildungsminister Wilhelm Frick wollte Hitler zum Gendarmeriekommissar von Hildburghausen ernennen. Der nahm den Posten zunächst an, zerriss aber dann seine Ernennungsurkunde, weil er nicht Polizeichef eines Provinzstädtchens werden wollte.

Klagges wählte einen anderen Weg: Der Parteichef sollte eine frei gewordene Professur für „Organische Gesellschaftslehre und Politik“ an der Technischen Hochschule Braunschweig besetzen. Hitler sei die geeignete „Persönlichkeit“, um das „heranwachsende Geschlecht“ über die „künftige Schicksalsgestaltung unseres Volkes zu unterrichten“, schrieb Klagges. Ein Gutachten bestätigte, Hitler könne so die braunschweigische Staatsangehörigkeit erwerben. Allerdings machte der Koalitionspartner, die „bürgerliche Einheitsliste“ im Landtag nicht mit. Über dem neuen Vorschlag, Adolf Hitler kommissarisch zum Bürgermeister von Stadtoldendorf im Weserbergland zu ernennen, wäre das Bündnis fast zerbrochen.

Ein Abgeordneter der mitregierenden Deutschen Volkspartei schlug vor, Hitler die Stelle eines Regierungsrates beim Braunschweiger Landeskultur- und Vermessungsamt mit Dienstsitz bei der Landes-Gesandtschaft in Berlin zu übertragen. Klagges einigte sich am 25. Februar 1932 mit den Koalitionären auf Hitlers neuen Job. Goebbels war „überglücklich, dass diese wesentliche Frage gelöst wurde.“

Klagges schrieb, dass „Herrn Hitler selbst der Gedanke, sich zum Schein zum Beamten ernennen zu lassen, völlig fernliegt“. Der „Herr Hitler“ lege „größten Wert“ darauf, „den geplanten Wirkungsbereich tatsächlich auszufüllen“.

Aber: Hitler trat den Posten nie an. Immerhin beauftragte er den NSDAP-Landespräsidenten von Braunschweig, Ernst Zörner, ihn als Untermieter bei sich anzumelden, um einen Wohnsitz im Freistaat nachweisen zu können. Damit alles seine Ordnung hatte, ging Hitler im Oktober 1932 in unbefristeten Urlaub, da „die fortlaufenden politischen Kämpfe“ ihm „in der nächsten Zeit die Erfüllung seines Dienstauftrages“ nicht ermöglichten. Als Reichskanzler ließ er sich im Februar 1933 aus dem Braunschweiger Staatsdienst entlassen.

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