Mit Glück und Geschick

Warum gibt es in Schweden feministische Minister, während die Deutschen nichts von Emanzen wissen wollen? Die Schwedinnen waren schon in den Dreißigern berufstätig. Und der Staat war für die Frauen immer ein Partner. In Deutschland dagegen war er Obrigkeit, Nazistaat und dann Männerbund

VON TERESA KULAWIK

Erinnert sich noch jemand an den Frühling des Feminismus in der BRD der Achtzigerjahre? Nein – heute erscheint alles wie weggeblasen. Als ob es sie nie gegeben hätte, die Frauenlisten, die Quotenbeschlüsse. Mit dem Einzug der Grünen in die Parlamente war es in Westdeutschland gelungen, feministische Themen – Gewalt, Sexualität, Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt – auf die Tagesordnung der „großen“ Politik zu setzen. Mit dem Hoffnungsträger der SPD, Oskar Lafontaine, schien auf einmal ein „dritter Weg“ in Rot-Grün-Lila in greifbare Nähe gerückt.

Heute ist Feminismus wieder zum Schimpfwort degradiert. Neidvoll blicken Interessierte in andere Länder, in denen die „dritte Welle“ feministischer Mobilisierung rollt, und fragen: Was machen die anderen besser?

Glück und Geschick braucht es, so hat es der schwedische Soziologe Göran Therborn formuliert, damit soziale Bewegungen erfolgreich werden können. Glück, das sind die historischen Umstände, die politische Erfolge erleichtern oder erschweren können. Geschick heißt, die gebotenen Chancen in entscheidenden Momenten nutzen zu können.

Betrachtet man die deutsche und die schwedische Frauenbewegung, so hatte der schwedische Feminismus zweifellos mehr Glück. Als die neue Frauenbewegung die politische Bühne betrat, war das Terrain gut vorbereitet. Hier waren historische Kontinuitäten zur „alten“ Frauenbewegung am Werk, wie sie nicht zuletzt die Sozialwissenschaftlerin und Politikerin Alva Myrdal personifizierte. Sie war eine der VordenkerInnen der sozialpolitischen Reformen der Dreißigerjahre. Myrdal entwickelte bereits damals, als die Schweden ihren Bevölkerungsrückgang beklagten, eine Analyse, die erst heute auch in Deutschland ernst genommen wird: Die Geburtenrate kann man nur sichern, wenn den Frauen ermöglicht wird, Kinder und Beruf zu vereinen. Zu der damaligen Mütterpolitik gehörte auch, dass Mütter eigenständige Rechte haben, so auch auf Familienleistungen.

In den Sechzigern wurde dann, darauf aufbauend, nicht nur die „Frauenrolle“, sondern auch explizit die „Männerrolle“ thematisiert sowie die einseitige Zuschreibung von Elternschaft an Frauen radikal kritisiert. Intellektuelle Netzwerke trieben zusammen mit dem Staat frauenfreundliche Reformen voran. Die Parteien waren gegenüber den sozialen Bewegungen aufgeschlossen. Der Anteil von Frauen im Reichstag stieg rasch und betrug bereits 1980 28 Prozent. Gerade weil der sozialdemokratische Reformismus schon damals eher frauenfreundliche Züge trug, war der „Staat“ für schwedische Feministinnen kein „Feind“, sondern selbstverständlicher Adressat ihrer Forderungen.

Neben den glücklichen Umständen zeigten die Frauen aber auch strategisches Geschick. Sie schlossen überparteiliche Bündnisse, und Frauen in den etablierten Institutionen und außerparlamentarische Aktivistinnen stärkten sich gegenseitig. So gelang es ihnen in den Siebzigerjahren, eine ganze Palette wichtiger Reformen erfolgreich durchzusetzen: u. a. die Liberalisierung des Abtreibungsrechts, die Einführung der Individualbesteuerung und des Elterngeldes als Lohnersatzleistung.

Der Pfad der neuen Frauenbewegung in Deutschland war mit weit weniger Glück gesegnet. Die NS-Diktatur zerstörte die progressiven Traditionen der Weimarer Republik. Sie befestigte einen autoritären Maskulinismus und ein reaktionäres Frauenbild, die in der Adenauer-Ära fortdauerten und die christdemokratische Sozial- und Familienpolitik, trotz gegenteiliger Beteuerungen, entscheidend prägten. Das Eherecht von 1956 schaffte für westdeutsche Männer ein vordemokratisches Refugium, in dem sie über Körper und Arbeitskraft von Frauen verfügten.

Machte man sich in Schweden nach dem Zweiten Weltkrieg auf, die Geschlechterrollen zu modernisieren, so galt es in Deutschland, die angeschlagene Männeridentität der Kriegsverlierer aufzupäppeln und ihnen zumindest die Herrschaft im „eigenen Haus“ zu sichern. Erst 1977 wurde der unglückselige Paragraf aufgehoben, der es Ehemännern ermöglichte, die Erwerbstätigkeit von Ehefrauen zu verbieten.

Das Erbe der Diktatur hatte noch eine zweite Dimension. Es gab keine persönlichen und organisatorischen Kontinuitäten, an die die Frauen in der BRD hätten anschließen können. Verglichen mit ihren schwedischen Schwestern war die Ausgangslage der bundesdeutschen Feministinnen also ungleich schwerer.

Anders als in Schweden war der „Staat“ kein natürlicher Adressat feministischer Forderungen. Der Erfahrungshintergrund der Frauenbewegung war nicht ein sozialdemokratisches Reformprojekt, sondern der Obrigkeitsstaat und die Diktatur. Autonome Kinderläden war hier die Losung, nicht kommunale Kindertagesstätten. Denn wie sollte frau staatlicher Pädagogik trauen?

Entscheidend war auch die Phase seit Mitte der Siebzigerjahre, die Theoretiker sozialer Bewegungen als „Wende nach innen“ bezeichneten. Dieser Rückzug hatte zwei Auslöser: das Abtreibungsurteil des Bundesverfassungsgerichts, das die sogenannte Fristenlösung zu Fall brachte, und eine Entwicklung, die im „deutschen Herbst“ kulminierte. Letzterer ging nicht nur mit dem Abschied von den Reformplänen der Ära Brandt einher, sondern mit der Wiedererstehung der deutschen Traditionen repressiver und denunziatorischer Politik. Die Übertragung der Männerfantasien von den Frauen der RAF auf Feministinnen war leichtes Spiel.

Nur vor dem Hintergrund der extremen Ausschlussmechanismen ist zu verstehen, warum die neue Frauenbewegung sich als „autonom“ bezeichnete. Erst als die Grünen die feministischen Ideen ins Parlament trugen, konnte es zu einem Frühling des westdeutschen Feminismus in den Achtzigerjahren kommen. Die anderen Parteien wurden angesteckt: „Abschied von der Männergesellschaft“ titelte Heiner Geißler einen Band zur christdemokratischen Position.

Warum endete der Frühling jäh? Wir wissen es: Die nationale Frage, so schicksalsträchtig in der deutschen Geschichte, hat wieder einmal zugeschlagen. Die deutsche Einheit hat die politischen Konstellationen grundsätzlich verändert. Frauenpolitische Themen mussten nun wieder hinter den „großen“ Themen Arbeitsmarkt und Wirtschaftsförderung zurückstehen. Es war der „Triumph des Vaterlandes“, wie die Politologin Brigitte Young es nannte.

Warum haben sich die Frauen so schnell ergeben? Lassen Sie mich die Antwort über den schwedischen Umweg angehen. Was Schweden so speziell macht, ist, dass dort auch die tiefe politische und ökonomische Krise der Neunzigerjahre nicht zu einer Entpolitisierung der Geschlechterfrage geführt hat. Mit den Wahlen von 1991 kam es zu einem Machtwechsel und zur Bildung einer bürgerlichen Regierung. Gleichzeitig ist der Anteil von Frauen im Reichstag von 38 auf 33 Prozent zurückgegangen.

Dieser Rückgang wirkte wie ein Warnsignal. Es bildeten sich Gegenöffentlichkeiten. Die sogenannten Stützstrümpfe (Stödstrumporna), ein Netzwerk von Feministinnen, die größtenteils schon in den Siebzigerjahren aktiv waren, drohten mit der Gründung einer feministischen Partei. Sie beunruhigte die etablierten Parteien, die um ihre frauenbewussten Wählerinnen fürchteten, so sehr, dass sie sich geschlechterpolitisch zu profilieren begannen. Inzwischen nennen sich fünf der im Reichstag vertretenen sieben Parteien „feministisch“. In der seit dem Herbst 2006 regierenden bürgerlichen Allianzregierung bezeichnen sich immerhin sechs (von zweiundzwanzig) MinisterInnen als überzeugte FeministInnen. Dazu trug auch bei, dass in Schweden Politik und wissenschaftlicher Expertise eng verzahnt sind. Das eröffnete feministischen Wissenschaftlerinnen Zugang zu Enquetekommissionen, die den Stand der Geschlechterverhältnisse und die Gleichstellungspolitik kritisch durchleuchteten.

In Deutschland war der Frühling des Feminismus in den Achtzigerjahren schlicht zu kurz, um so effektiv und nachhaltig agieren zu können. Die stereotypen Rollenbilder in nicht allzu weiter Ferne eignet sich Feminismus als die ungefährlichste aller Konfliktlinien auch jetzt wieder bestens zum derzeit allseits beliebten Bashing. Sich in einer solchen Stimmungslage zum Feminismus zu bekennen, erfordert Mut. Nicht von ungefähr wird in deutschen Feuilletons und Diskussionsrunden die Frauenbewegung von einer einzigen Person repräsentiert: der unerschütterlichen Alice Schwarzer.

Und die Lehre aus den Erfahrungen der schwedischen Schwestern: Die jüngeren Frauen, die sich derzeit in Deutschland anschicken, an den Verhältnissen zu rütteln, sind gut beraten, den medialen Repräsentationen „des Feminismus“ keinen Glauben zu schenken. Sie schneiden sich damit von der eigenen Geschichte und Stärke ab.

Teresa Kulawik, 48, ist Politikwissenschaftlerin am Södertörn University College in Stockholm, Schweden. Seit vielen Jahren vergleicht sie den schwedischen und den deutschen Wohlfahrtsstaat