„Männer fördern Männer“

In den 30 deutschen DAX-Unternehmen besetzen ausnahmslos Männer die Spitzenposten. Es sind weiterhin die gesellschaftlichen Rollenbilder, die Frauen am Aufstieg nach oben hindern. Zudem fehlen ihnen Netzwerke zur gegenseitigen Förderung. Zwei Beispiele von Frauen, die trotz allem Karriere machen

AUS BONN UND HANNOVER HEIKE HAARHOFF

Was sie sich einbilde?! Der Personalleiter der Bank war außer sich. Eine Dreistigkeit, ihre Bewerbung. Ausgerechnet auf eine Stelle im Kreditgeschäft hatte es die frisch ausgebildete Bankkauffrau Andrea Wiegand abgesehen. „Da müssen Familienväter ihre Einkommensverhältnisse offenlegen“, hielt der aufgebrachte Chef ihr vor. „Sie glauben doch nicht, dass das irgendjemand macht – gegenüber einer jungen Frau!“ Bundesrepublik Deutschland, eine Bank in einer Kleinstadt, Ende der 70er-Jahre.

Bald 30 Jahre später, Frühjahr 2007, in der Bonner Zentrale der Postbank AG, eines der 30 deutschen DAX-Unternehmen. 22.000 Beschäftigte arbeiten hier. Andrea Wiegand empfängt in ihrem Besprechungszimmer. „Bereichsleiterin Vertriebssteuerung Postbank Filialbetrieb AG“ ist ihr offizieller Titel. Konkret hat sie gerade am Kauf und der Integration von 850 Filialen der BHW, dem Baufinanzierungskonzern der Postbank, mitgearbeitet. Zuvor führte sie bei der Postbank das Telefonbanking ein, baute entsprechende Call-Center auf, verantwortete zeitweilig den Geschäftskundenbereich „Kleinere und mittlere Unternehmen“. Bei denen ist das Risiko der Banken besonders hoch, auf den bewilligten Krediten sitzen zu bleiben.

Im Sommer wird Andrea Wiegand 50 Jahre alt. In der Banken-Hierarchie gibt es über ihr jetzt nur noch den Vorstand. Doch den besetzen, wie übrigens in allen deutschen DAX-Unternehmen, ausnahmslos Männer. Von einer „gläsernen Decke“ ist in der Frauenforschung immer dann die Rede, wenn es darum geht, das Phänomen zu beschreiben, dass selbst steile Karrieren von Frauen in der Privatwirtschaft spätestens in der zweiten Führungsebene ein jähes Ende nehmen: Den entscheidenden Schritt an die Spitze vollziehen Männer allein.

Das sollte anders sein. Vor sechs Jahren vereinbarten die Bundesregierung und die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft, die Chancengleichheit zu fördern. Für die untere und mittlere Ebene gibt es, je nach Branche, durchaus hoffnungsvolle Zahlen: So sind in der Postbank 64 Prozent aller Angestellten weiblich. Für das Top-Management aber blieb es bei der Absichtserklärung: „Bei Angestellten mit umfassenden Führungsaufgaben und Geschäftsführerinnen blieb der Anteil der Frauen zwischen 2000 und 2004 konstant“, schreibt das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in seiner ersten Evaluation 2006. Der Anteil von Müttern in Spitzenpositionen sank im selben Zeitraum sogar.

Ein paradoxer Luxus: Frauen werden zwar hervorragend ausgebildet, ihre Potenziale anschließend aber nur halbherzig genutzt. Und das, obwohl Demografen seit Jahren warnen, ohne weibliche Fachkräfte komme man mittelfristig nicht aus.

Andrea Wiegand kennt die Statistiken. Sie bezieht sie nicht auf sich. „Ich fände es schade, wenn ich das Gefühl hätte, in einer Sackgasse zu stecken“, sagt sie. „Ich habe schon das Ziel, noch weitere Schritte zu machen.“ Ihr Selbstbewusstsein und ihr Optimismus, es in einer Bank bis nach oben schaffen zu können, gründen auf ihrer Biografie. Weibliche Vorbilder sind rar.

„Als Frau wird man immer direkt auf Qualifikation überprüft“: Andrea Wiegand erkannte früh, dass sie, die Schnelldenkende, die Entscheidungsfreudige, es in herkömmlichen Banken mit männlichen Führungstraditionen schwer haben würde. „Anfangs“, erzählt sie, „wollte ich nicht einmal bewusst die Karriere. Ich wollte bloß die anspruchsvollen Ziele, die innovativen Themen.“

Inhalte und Themen, die Chefsache waren. Männersache. Sie wechselte zu einer amerikanischen Bank. Dort, sagt sie, sei es normaler gewesen, dass engagierte Frauen so Karriere machten wie engagierte Männer. Mit 35 Jahren hatte sie bei den Amerikanern genug gelernt, sie kündigte erneut – und ging zur Postbank: „Die innovativen Ansätze haben mir gefallen.“

Generell betrachtet sie häufige Wechsel nicht als karriereförderlich. „Männer“, sagt sie, „sind ihrem Unternehmen eher treu. Die kennen und nutzen die alten, gefestigten Strukturen. Als Seiteneinsteiger hat man es da schwerer.“ Zumal als Seiteneinsteigerin: Als sie 1996, mit 39 Jahren, ihren ersten Bereichsleiterposten bei der Postbank anstrebte, gab es Bedenken. Wegen ihres Geschlechts und wegen ihres Alters, nicht wegen ihrer Qualifikation. Denn die war makellos. Also griffen die Chefs zu einem Trick: Andrea Wiegand, die interne Bewerberin, seit fast vier Jahren bei der Postbank, musste in eine Bewerbungsrunde mit Externen. Sie hat es trotzdem geschafft.

Wenn man ihr zuhört, kann man sich vorstellen, dass Frauen, die weniger beherzt und humorvoll als Andrea Wiegand sind, entnervt das Handtuch werfen. Zwar ist die offene Geschlechterdiskriminierung tabu. Männer, die Kolleginnen pauschal die Fähigkeit absprechen, das Vertrauen von Kunden gewinnen zu können, scheinen ausgestorben zu sein. Oder sie halten einfach den Mund.

Ausnahmekarrieren wie die von Andrea Wiegand ändern die Unternehmenskultur und die gesellschaftliche Wahrnehmung freilich nicht. Wenn sie mit ihrer Führungscrew beispielsweise auf Dienstreise geht, „dann gehen wir ins Hotel, und für die Leute am Empfang bin ich automatisch die Sekretärin“, erzählt sie. Oder bei Geschäftstreffen: Da gibt es dann ein buntes Damenprogramm mit Blumen, Kultureinlage und Gourmet-Führer für die miteingeladenen Partnerinnen der Firmenspitzen. Und – Herrn Wiegand.

Sie glaubt, dass es nicht so sehr die männlichen Kollegen oder Vorgesetzten sind, die Frauen aktiv am Aufstieg im Unternehmen hindern. Sondern dass es sich seit Generationen reproduzierende Begleitumstände, Verhaltens- und Herangehensweisen sind, die dazu führen, dass Frauen ausgegrenzt werden, sich ausgegrenzt fühlen oder sich ausgrenzen lassen, so genau lässt sich das meistens nicht sagen. „Wenn Frauen dienstlich etwas zu besprechen haben, dann geht es um die Sache. Da gibt es kein Geplänkel“, sagt Andrea Wiegand. Dass es sich mit Männern anders verhandelt, will sie ihr Ziel erreichen, musste sie lernen: „Ich interessiere mich für Fußball und Technik“, sagt sie. „Das hilft.“

Ein Strukturproblem oder gar System möchte sie jedoch nicht darin erkennen. Bloß keine Frauenquote! Bloß keine Frauennetzwerke!, protestiert sie, wenn man sie darauf anspricht. „Das hört sich für mich nach gemeinsamem Wundenlecken an“, sagt Andrea Wiegand, „dabei ist doch jeder Berufsweg individuell.“ Als gelte es den Eindruck zu vermeiden, sie sei nicht aufgrund ihrer Leistung da, wo sie ist, sondern wegen der Quote – oder gar aus Mitleid. Auch deshalb lehnt Wiegand es strikt ab, anderen Frauen eine besondere Förderung zukommen zu lassen. Wer etwas will, soll darum kämpfen.

Was kühl rüberkommt, ist keineswegs unsolidarisch gemeint. Es beschreibt bloß eine Einsicht, die mittlerweile selbst Frauenbeauftragte von solchen Unternehmen vertreten, die geradezu vorbildliche betriebliche Frauenförderung betreiben und dafür mehrfach ausgezeichnet wurden – wie der Volkswagenkonzern zum Beispiel. Gleich mehrere Gleichstellungsstellen gibt es hier.

„Wir haben“, sagt beispielsweise Erika Sündermann, Frauen- und Gleichstellungsbeauftragte von Volkswagen Nutzfahrzeuge, „seit einigen Jahren frauenspezifische Förder- und Mentoringprogramme, Schulungen, Meisterinnenprogramme, Teilzeit- und flexible Arbeitszeitangebote. Damit sollen die Aufstiegschancen von Frauen im Unternehmen nachhaltig verbessert werden.“ Ins Top-Management schaffen es die Frauen bei VW trotzdem nicht.

„Es muss auch ein gesellschaftliches Umdenken stattfinden“, fordert Erika Sündermann. Sie könnte auch sagen: Ein Unternehmen allein kann es einfach nicht schaffen. Denn solange das gesellschaftliche Rollenbild so aussehe, dass erstens Frauen die Alleinverantwortung für Kinder und Familienarbeit übertragen werde und dass zweitens im Top-Management nur arbeiten könne, wer bereit sei, sich zwischen Familie und Karriere zu entscheiden, seien Frauen weiterhin benachteiligt. In einer solchen Situation können betriebliche Mentoringprogramme in Einzelfällen viel, grundsätzlich aber wenig ausrichten. „Dieses Rollenbild behindert natürlich vor allem Frauen, die zugleich Mütter sind, in ihrer Karriere“, sagt Erika Sündermann. „Aber es trifft selbst die Frauen, die sich gar nicht über Kinder definieren. Weil ihnen unterstellt wird, dass sie es trotzdem tun.“

Elke Eller kann ein Lied davon singen. Die 44-jährige Volkswirtin ist die einzige Frau im 20-köpfigen Aufsichtsrat der VW AG, dem höchsten Kontrollgremium des Konzerns. „Natürlich wollte ich diesen Posten“, sagt sie. „VW gehört zu den Top-Playern. In einem solchen Aufsichtsrat ist man industrie- und unternehmenspolitisch mittendrin im Geschehen.“ Entsandt wurde sie jedoch nicht vom Konzern, sondern von ihrer Gewerkschaft, der IG Metall. Der VW-Aufsichtsrat ist paritätisch mit jeweils zehn Vertretern der Arbeitgeber- und der Arbeitnehmerseite besetzt.

Eine ungewöhnliche Erscheinung ist sie innerhalb dieses Zirkels deswegen nicht weniger: Eine vergleichsweise junge Frau mit anspruchsvollem Beruf und zwei noch relativ kleinen Kindern. Zehn und sieben Jahre sind die beiden alt. Die Tochter und das Au-Pair-Mädchen hat sie früher manchmal sogar mitgenommen zu den Aufsichtsratssitzungen und bis zu den Pausen in einem Nebenraum „geparkt“, wie sie sagt – wie sollte sie ihr Kind anders stillen?

Erstaunlicherweise machten ihre Aufsichtsratskollegen selbst nie blöde Bemerkungen wegen ihrer für Frauen in Deutschland immer noch ungewöhnlichen Lebenskonzeption. „Wenn man einmal in den Gremien drin ist, wenn man diese Schwelle überschritten hat, dann hat man die größte Hürde genommen“, ist ihre Erfahrung. „Dann findet die Auseinandersetzung auf Augenhöhe statt, dann spielt das Mann-Frau-Thema kaum noch eine Rolle, dann geht es um die Sache.“

Das eigentliche Problem, sagt Elke Eller, begegne den Frauen viel früher: „Es ist schwer, so einen Posten überhaupt zu kriegen. Von den Kollegen, die einen dorthin befördern müssen, wird man schräg angeguckt, und im Privaten ist man sowieso eine Rabenmutter.“ Um die Hindernisse, die Vorurteile, die Skepsis zu überwinden, brauchten Frauen vor allem eins: Netzwerke. „Männer fördern Männer“, sagt Elke Eller, niemand solle sich da etwas vormachen. Folglich dürften Frauen nicht einfach blind darauf vertrauen, dass sie schon von irgendwem entdeckt würden, wenn sie nur gut im Job seien. Sie müssten sich ebenfalls ein Netz von Vertrauten, Förderern und Loyalen schaffen.

„Frauen sind ja eher tagesordnungsorientiert“, sagt sie. Wenn die Sitzung zu Ende ist, gehen viele gern schnell nach Hause – eben weil sie sich für ihre Kinder verantwortlich fühlen und ihnen gerecht werden wollen. „Das ist die Zeit, wenn Männer erst richtig anfangen, ihre Kontakte zu pflegen, beim Wein, beim Smalltalk“, sagt sie.

Elke Eller hat für sich einen Weg gefunden, das Leben, das sie glücklich macht, führen zu können: Sie verfügt über ausreichend Geld, um eine Betreuung bezahlen zu können, der sie ihre Kinder wirklich anvertrauen möchte. Und sie hat, bei voller Verantwortung, flexible Arbeitszeiten – manchmal sitzt sie halt sonntags morgens um fünf im Büro. „Aber dieser Weg“, sagt sie, „ist nicht bequem, es kostet Kraft, immer gegen den Strom zu schwimmen.“ Und manchmal, wenn sie merkt, dass auch ihre Belastbarkeit endlich ist, fragt sie sich, ob sie ihn überhaupt weiterempfehlen soll. Aber solche Momente sind selten.