„Neue Qualität der Gewalt“

Nirgendwo in der Stadt gibt es so viele rechte Übergriffe auf Migranten und alternative Jugendliche wie in Friedrichshain und Lichtenberg. Dabei gehen die Neonazis immer organisierter, gezielter und brutaler vor

Geht es um Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und Neonazis, fällt immer wieder das Wort „Lichtenberg“. Besonders der Weitlingkiez ist bekannt für seine rechte Szene. Die Gewalt hat sich in jüngster Zeit jedoch mehr und mehr in das angrenzende Friedrichshain verlagert. Zudem ist das Auftreten der Rechten brutaler geworden. „Wir haben es mit einer neuen Qualität der Gewalt und einer Militarisierung der rechten Szene zu tun“, sagt Kirill Jermak, 18-jähriger Bezirksverordneter und jugendpolitischer Sprecher der Linkspartei in Lichtenberg.

Während es früher meist spontane Gewalttaten aus einem Alkoholrausch heraus gegeben habe, so Jermak, sei die Kameradschaftsszene inzwischen „erschreckend gut“ organisiert. Rechte Übergriffe würden beinahe militärisch durchgeplant. „Wenn man sich in Berlin öffentlich gegen rechts engagiert, läuft man leider Gefahr, tätlich angegriffen zu werden.“ Jermak weiß, wovon er spricht: 2006 wurde er zweimal von Neonazis hinterrücks angegriffen und niedergeschlagen. Kein Einzelfall: Im letzten Mai wurde der aus der Türkei stammende PDS-Abgeordnete Giyasettin Sayan in der Weitlingstraße vermutlich von Rechten zusammengeschlagen.

„Wir haben den Eindruck, dass die Angriffe auf linke und alternative Jugendliche gezielt geschehen, während es sich bei rassistischen Gewalttaten eher um Gelegenheitsangriffe handelt“, sagt Sabine Seyb von der Beratungsstelle „ReachOut“ für Opfer rechter Gewalt. Allein in Friedrichshain habe es im vergangenen Jahr 50 gewalttätige rechte Übergriffe gegeben. Oft seien die Täter maskiert, mit Schlagstöcken bewaffnet und äußerst brutal vorgegangen. In Lichtenberg wurden lediglich 23 Überfälle gezählt. Seyb geht davon aus, dass es im alternativen Friedrichshain für die rechten Täter schlichtweg leichter ist, potenzielle Opfer zu finden.

Teilweise suchen Neonazis aber auch die direkte Konfrontation, indem sie in einer größeren Gruppe zu linken Konzerten oder Podiumsdiskussionen gehen. Häufig kommt es dann zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Antifas, die die Veranstaltung schützen. „Da uns in diesem Zusammenhang oft das Vertrauen in die Polizei fehlt, ist es notwendig, solchen Angriffen energisch entgegenzutreten“, erklärte Mario Behmke, Sprecher der Antifaschistischen Linken. Nach einer Antifa-Kampagne mit Konzerten, Infoveranstaltungen und Demos in Lichtenberg und Friedrichshain im Sommer war die Zahl rechter Übergriffe gesunken. Ob diese Tendenz anhält, ist ungewiss. Auch 2007 wurden bei ReachOut bereits zahlreiche rechte Gewalttaten gemeldet. „Ehrlich gesagt, kommen wir mit dem Bearbeiten der Fälle kaum noch hinterher“, so Seyb. JOHANNES RADKE