Blöde Agenten

AUS BERLIN LUKAS WALLRAFF

Bei der Aufklärung im Fall des früheren Guantánamo-Häftlings Murat Kurnaz sollte die „Stunde der Wahrheit“ schlagen. So kündigte der SPD-Obmann im Untersuchungsausschuss, Thomas Oppermann, die gestrige Sitzung mit wichtigen Zeugen an. August Hanning war BND-Chef, als die rot-grüne Regierung 2002 eine Einreisesperre für den gebürtigen Bremer beschloss. Sein Nachfolger Ernst Uhrlau war damals für die Geheimdienste zuständiger Abteilungsleiter im Kanzleramt.

Es wurde ein Tag der Vorwürfe an Untergebene. Hanning erklärte, die Arbeit von zwei BND-Mitarbeitern, die Kurnaz im Sommer 2002 in Guantánamo befragten und ihn danach als ungefährlich einschätzten, sei „grob fehlerhaft“ gewesen. Uhrlau sagte, er habe diesem harten Urteil „nichts hinzuzufügen“. Ob die Mitarbeiter trotz ihrer angeblichen Fehler noch im Amt seien, wollte er nicht sagen. Hanning und Uhrlau machten deutlich, dass die damalige Einschätzung der BND-Mitarbeiter – darunter ein Psychologe – für sie keine Bedeutung habe. Beide verteidigten die Entscheidung des damaligen Kanzleramtschefs und heutigen Außenministers Frank-Walter Steinmeier (SPD), Kurnaz im Fall einer Freilassung durch die USA nicht einreisen zu lassen.

„Es gab Anlass zu der Einschätzung, dass er in terroristische Aktivitäten verstrickt sein könnte“, sagte Hanning, obwohl die BND-Mitarbeiter berichtet hatten, der damals 20-jährige Kurnaz sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein Sicherheitsrisiko, sondern der falsche Mann am falschen Ort. Zu diesem Schluss kamen die BND-Mitarbeiter nach ihrer Befragung des Häftlings und nach Gesprächen mit US-Kollegen. Hanning jedoch focht das nicht an, wie er betonte. Er habe Kurnaz dennoch für ein Sicherheitsrisiko gehalten.

In ungewöhnlich scharfer Form kritisierte Hanning seine Mitarbeiter. Diese hätten ihre Kompetenzen überschritten. Ihre Aufgabe sei es nicht gewesen, die Gefährlichkeit von Kurnaz einzuschätzen, sondern Erkenntnisse über die Lage in Afghanistan und Pakistan zu sammeln. Der Bericht der Mitarbeiter, schimpfte Hanning, sei „mangelhaft“ gewesen, weil belastende Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden in Bremen nicht berücksichtigt habe.

Für ihn, Hanning, sei letztlich ausschlaggebend gewesen, dass die Kollegen vom Bundesamt für Verfassungsschutz bei der entscheidenden Runde im Kanzleramt im Oktober 2002 nach wie vor Verdachtsmomente gegen Kurnaz und Bedenken gegen seine Einreise vortrugen.

Welchen Wert die belastenden Aussagen von V-Männern des Verfassungsschutzes hatten, die über Kurnaz’ angebliche Ambitionen, mit den Taliban gegen die USA zu kämpfen, berichteten, ist jedoch höchst umstritten. Aus Sicht der Opposition beruhten sie nur auf „Hörenhörenhörensagen“.

Hanning betonte immer wieder: Für die Gefährlichkeitseinschätzung sei der Verfassungsschutz zuständig gewesen. Als völlig irrelevant stufte Hanning die Berichte seiner eigenen Mitarbeiter trotz ihrer „fehlersamen Berichte“ aber nicht ein. So sei durch deren Erkenntnisse in Guantánamo deutlich geworden: „Kurnaz hat nicht in Afghanistan gekämpft, und er ist nicht in einem Ausbildungslager gewesen.“ Diese entlastenden Erkenntnisse habe er auch in der Präsidentenrunde mit Steinmeier vorgetragen. Damit widersprach Hanning dem damaligen Innenstaatssekretär Claus Henning Schapper (SPD). Dieser hatte bei seiner Aussage im Ausschuss erklärt, in der Präsidentenrunde sei über die Erkenntnisse aus der Guantánamo-Reise nicht gesprochen worden. Hanning aber sagte aus, die Präsidentenrunde inklusive Steinmeier sei über die entlastenden Erkenntnisse informiert gewesen. „Manche Ausreden gelten seit heute nicht mehr“, befand FDP-Obmann Max Stadler mit Blick auf die Aussage des Außenministers, die am 29. März stattfinden soll.