Neun Monate für Bücherverbrennung

Bewährungsstrafen für öffentliches Verbrennen des Tagebuchs der Anne Frank. Angeklagte: Wollten uns innerlich reinigen. In der Region sinkt Hemmschwelle bei Verwendung von Nazisymbolen: 12-Jährige begrüßen sich in Schule mit „Heil Hitler“

AUS MAGDEBURG UND BERLIN TIEMO RINK
UND DANIEL SCHULZ

Zum ersten Mal gefriert das Grinsen von Thomas Jauch. Selbstsicher und jovial hat der Rechtsanwalt zuvor erzählt, die Verbrennung des Tagebuchs der Anne Frank habe der innerlichen Selbstreinigung seines Mandanten gedient. „Quatsch“, sagt der Vorsitzende Richter Eicke Bruns. „Unverhohlenen Rassismus“ habe der Angeklagte Lars K. gezeigt und mit der Vernichtung des Buches einen „unglaublichen Akt kultureller Barbarei begangen“. Bruns verurteilt gestern Lars K. und vier Mitangeklagte zu jeweils neun Monaten Haft auf Bewährung wegen gemeinschaftlicher Volksverhetzung und der Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener.

Sachsen-Anhalts Innenminister Holger Hövelmann (SPD) begrüßt die Urteile gegen die Täter: „Sie sind für diese Schandtat zur Verantwortung gezogen worden, auch wenn ich mir ein höheres Strafmaß gewünscht hätte.“

Zwei weitere Angeklagte wurden freigesprochen. Ihnen war nicht nachzuweisen, dass sie an der Verbrennung beteiligt waren. Kaum ein Geräusch ist nach der Urteilsverkündung im Saal des Amtsgerichts zu hören. Der Richter hat Störern zuvor eine Woche Haft angedroht. Aber die Erleichterung zeichnet sich deutlich auf dem Gesicht von Thomas Heppener ab. Der Direktor des Anne Frank Zentrums in Berlin sagt: „Mir fällt ein Stein vom Herzen.“ Schließlich habe es eine Zeitlang so ausgesehen, als würden alle Angeklagten aus Mangel an Beweisen freigesprochen.

Auch Staatsanwalt Arnold Murra freut sich, obwohl er eigentlich zwölf Monate Haft gefordert hatte. Heppener ist erleichtert, dass die „perfide Strategie der Verteidigung nicht aufgegangen“ ist. Die hatte sich darauf berufen, dass die Angeklagten missverstanden worden seien. Die Männer hätten sich nach heidnischer Sitte durch das Verbrennen von seelischem Ballast befreien wollen: der deutschen Vergangenheit. Symbol dafür sei das Tagebuch gewesen.

Bei einer gemeinsam geplanten Sonnenwendzeremonie im sachsen-anhaltischen Dorf Pretzien Ende Juni 2006 warfen Lars K. und seine Freunde eine US-Flagge und das „Tagebuch der Anne Frank“ ins Feuer. Das gaben die Angeklagten Marc P. und Lars K. im Prozess auch zu, sie bestritten aber ein rechtsextremes Motiv und die gemeinsame Vorbereitung der Buchverbrennung. Die anderen fünf Angeklagten verweigerten bis zuletzt jegliche Aussage. Weil sich im Dorf kaum Zeugen fanden, die zum Tathergang etwas sagen wollten, gestaltete sich die Beweisaufnahme sehr schwierig.

Nach dem Urteil ist Pretzien gespalten. Manche Einwohner wollen etwas gegen rechtsradikale Umtriebe tun, andere sind auf Seiten der Verurteilten. „Die Hemmschwellen in der Region sind abgenutzt“, sagt der Pretziener Pfarrer Andreas Holtz. Rechtsextreme Tabubrüche würden viele nicht mehr interessieren. „Nicht einmal, dass sich manche Zwölfjährige in der Schule mit ‚Heil Hitler‘ grüßen, kümmert besonders viele.“ Damit sich „Pretzien“ nicht wiederhole, müsse sich etwas in den Köpfen der Mehrheit bewegen.

Pretziens Bürgermeister Friedrich Harwig vernahm das Urteil mit Tränen in den Augen. Er hatte versucht die Angeklagten in einen Verein zu integrieren, den Heimatbund. Dass er die vielen Anzeichen für die Umtriebe seiner Vereinsgenossen ignoriert hatte, rügte der Richter mehrmals im Prozess. „Das Urteil klärt das Problem nicht“, sagt Harwig nach dem Urteil. Schließlich müsse man weiter mit den Tätern zusammenleben. „Ich werde ihnen die Hand reichen, wenn sie sich ändern“, sagt Harwig. Obwohl auch er jetzt ganz genau weiß: „Bei den Tätern im Kopf ist nicht alles in Ordnung.“