Mohn in voller Blüte

VON ANETT KELLER

„Entweder zerstört Afghanistan das Opium oder das Opium wird Afghanistan zerstören“, warnte Afghanistans Präsident Hamid Karsai bereits Ende 2005. Ein Jahr später verzeichnete Afghanistan einen nie zuvor erreichten Zuwachs beim Opiumanbau. Laut der UN-Behörde zur Bekämpfung von Drogen und Kriminalität (UNODC) nahm die Anbaufläche für Schlafmohn 2006 um 59 Prozent zu. Die Menge des in Afghanistan hergestellten Rohopiums stieg um 49 Prozent auf rund 6.100 Tonnen. Das entspricht 92 Prozent der weltweiten Produktion. Während 1994 nur in 8 der 34 afghanischen Provinzen Schlafmohn angebaut wurde, gibt es heute nur noch 6 opiumfreie Provinzen. Und Anfang dieser Woche bekannte die UNODC, schon jetzt sei abzusehen, dass der Drogenanbau auch dieses Jahr nicht sinken werde.

Mehr Drogenanbau – mehr Gewalt. Diese direkte Verbindung war im vergangenen Jahr in Afghanistan nur allzu deutlich zu beobachten. Das Fazit der USA ist bestechend simpel: Größte Nutznießer der Rohopiumproduktion seien die Taliban. Sie finanzierten mit dem Geld aus dem Drogenhandel Anschläge auf US- und Nato-Truppen im Land, heißt es im vergangene Woche vorgelegten internationalen Drogenbericht des US-Außenministeriums für 2006. Das Label Taliban auf alles anzuwenden, was den internationalen Truppen Widerstand entgegensetzt, passt zwar gut ins PR-Konzept der US-amerikanischen Antiterrorkrieger, greift aber zu kurz. 80 Prozent aller Gewaltkonflikte in den südlichen Provinzen zwischen 2002 und 2004 waren Auseinandersetzungen zwischen lokalen Machthabern und Drogenbaronen, lautet das Urteil der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP). Die Zunahme der Feuergefechte verlaufe genau entlang der innerafghanischen Routen für den Drogentransport, so die SWP-Afghanistan-Expertin Citha Maass.

Unter dem Druck der USA setzt Kabul vor allem auf die Zerstörung von Feldern. Dass die Vernichtungsaktionen aber letztlich ihre Wirkung verfehlen, wird vor allem in der südlichen Provinz Helmand sichtbar, wo am Dienstag die Nato ihre lange angekündigte Frühjahrsoffensive gestartet hat. Dort blüht der Mohnanbau wie nie zuvor. Um 162 Prozent stieg die Opiumproduktion dort im vergangenen Jahr, so UNODC in dieser Woche. 80 Prozent der Bauern in den südlichen Unruheprovinzen züchten Schlafmohn, während es im Landesdurchschnitt nur 13 Prozent sind.

„Es gibt kein Wundermittel, das die Bauern für den Verlust ihres relativ guten Verdienstes durch Opium entschädigen kann“, urteilt die Hilfsorganisation CARE. Nach einer zwangsweisen Vernichtung eines Teils ihrer Plantagen sähen sich vor allem ärmere Bauern gezwungen, Wucherer aufzusuchen. Diese ließen sich geliehenes Geld in Form von Opium zurückzahlen. Falle die Ernte komplett aus, würde Bargeld verlangt – im günstigsten Fall. Die Vernichtung von Mohnpflanzungen während der letzten fünf Jahre hat für die Wiederbelebung einer alten Praxis gesorgt: Die Töchter der Bauern dienen als lebendes Pfand.

Zerstörung ohne Anbaualternativen hält Christoph Berg, Leiter des Programms Entwicklungsorientierte Drogenkontrolle der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit, für das falsche Vorgehen. Zwar seien viele Bauern an der Abkehr vom Mohnanbau interessiert, schon, um sich das damit verbundene Gewaltrisiko vom Leib zu halten. Doch Schlafmohn, aus dem Heroin, Opium und Morphium gewonnen werden kann, wächst in nur 120 Tagen. Mit diesem Tempo können viele andere Nutzpflanzen nicht mithalten. Es brauche also nicht nur Geduld und Überredungskunst, sondern auch Subventionen und die Infrastruktur zur Lagerung und Verarbeitung von landwirtschaftlichen Produkten, so Berg.

Früher war Afghanistan bekannt für seine guten Rosinen, bis die Taliban wegen des befürchteten Missbrauchs den Weinanbau verboten. Dann kam der Verfall der Weizenpreise durch internationale Nahrungsmittelhilfen. Und nicht nur durch sie: Im mohnreichen Helmand habe ein früherer Gouverneur persönlich dafür gesorgt, dass Weizen so billig blieb,dass sich der Anbau nicht lohnte, sagt Citha Maass. Der Mann ist inzwischen im Innenministerium für die Drogenbekämpfung zuständig. Er befindet sich dort in guter Gesellschaft. Laut Weltbank und UNODC wird der Drogenhandel in Afghanistan heute von nur noch 25 bis 30 Leuten an der Spitze kontrolliert – das Innenministerium in Kabul ist die entscheidende Kontakstelle. Auch der Name von Ahmed Wali Karsai – dem Bruder von Präsident Hamid Karsai – fällt immer wieder, wenn es um Afghanistans Opium-Connection geht. Als sich Karsai neulich mit Pakistans Präsidenten Pervez Musharraf traf und ihm vorwarf, sein Land dulde die Rekrutierung der Taliban auf seinem Boden, bekam er zu hören, er solle doch erst mal in der eigenen Familie anfangen, Afghanistans Probleme zu lösen.

„Unser Land steckt im Chaos. Eine eigene Armee und eine eigene Polizei sind praktisch nicht existent“, klagt Aziz Rafiee, Direktor des Afghanischen Forums der Zivilgesellschaft. Diese Kritik richtet sich auch an die internationale Gebergemeinschaft, deren Aufgabenverteilung und mangelnde Koordination sich verheerend auswirkt. Italien soll die Justiz reformieren, Deutschland die Polizei, die Briten sollen den Opiumanbau bekämpfen – so die am Reißbrett entworfenen Wiederaufbaupläne.

Deutschland hat für die Polizeiausbildung in den Jahren 2002 bis 2006 insgesamt 60 Millionen Euro ausgegeben. „Das ist weniger, als ein einjähriger Tornado-Einsatz kosten soll“, kritisiert die grüne Fraktion vor der heutigen Tornado-Entscheidung im Bundestag. Ganze 42 Ausbilder konnte Berlin aus den Bundesländern zuletzt zusammentrommeln. Wer lässt sich schon gern nach Afghanistan schicken, wenn auf dem Balkan viel besser verdient wird, man vergleichsweise ruhig lebt und die Heimat näher liegt? „Ein schönes Konzept, aber an den Realitäten in Afghanistan völlig vorbei“, nennt Afghanistan-Expertin Maass die deutsche Polizeiausbildung am Hindukusch. Wie diese Realität aussieht, hat der US-amerikanische Afghanistan-Experte Barnett Rubin beschrieben. Die Posten der Polizeichefs – mit einem offiziellen Gehalt von 60 US-Dollar – werden an den Meistbietenden versteigert. In opiumreichen Provinzen lässt sich in diesem Amt am meisten nebenbei verdienen. 100.000 US-Dollar würden für eine sechsmonatige Berufung bezahlt, so Rubin.

In den nächsten Wochen blühen in Afghanistan wieder die Mohnfelder. Vieles spricht dafür, dass die USA im Rahmen ihrer Operation „Enduring Freedom“ auch die umstrittene chemische Vernichtung der Plantagen weiter vorantreiben und damit genau das Gegenteil des vielgepriesenen „winning hearts and minds“-Ansatzes bewirken. „Die Mohnvernichtungskampagne wird noch größer ausfallen als im vergangenen Jahr“, prophezeit Norine MacDonald von Senlis Council, einer Denkfabrik zur internationalen Drogenpolitik. So werde nur immer mehr an der Gewaltspirale gedreht, befürchtet die Expertin, deren Organisation sich seit langem für eine ganz andere Alternative des Umgangs mit dem Opium einsetzt. Man sollte es dem illegalen Drogenmarkt entziehen und stattdessen zur Herstellung der Schmerzmittel Morphium und Kodein verwenden, so MacDonald. Vorbilder für den Plan sind Länder wie Indien und die Türkei, wo Opium für medizinische Zwecke hergestellt wird. Doch auch Pläne wie dieser dürften illusionär bleiben, solange funktionierende rechtsstaatliche Institutionen kein Teil der afghanischen Realität sind.