Retro-Debatte zerreißt Grüne

Nordrhein-westfälische Grünen-Politiker fordern den Rücktritt der Bundeschefs Bütikofer, Kuhn und Künast. Parteilinke empört wegen Ja zu Tornado-Einsatz. Landeschefin: Gefahr der Spaltung

VON MARTIN TEIGELER
UND ANDREAS WYPUTTA

Es ist ein bisschen wie früher zu rot-grünen Zeiten – die Grünen streiten über Krieg und Frieden. Der gestern vom deutschen Bundestag beschlossene Tornado-Einsatz der Bundeswehr führt zu Friktionen bei den einstigen Pazifisten, die in Land und Bund nurmehr Opposition sind.

Nordrhein-westfälische Parteilinke fordern den Rücktritt der grünen Fraktionsvorsitzenden Fritz Kuhn und Renate Künast sowie von Co-Bundeschef Reinhard Bütikofer, die sich allesamt für die Entsendung der Aufklärungsflugzeuge ausgesprochen hatten. „Es muss jetzt etwas passieren, die drei müssen zurücktreten“, sagt der grüne NRW-Landtagsabgeordnete Rüdiger Sagel.

Auch die grüne Jugend fordert personelle Konsequenzen. „Das ist eine Missachtung unserer pazifistischen Wurzeln“, sagte NRW-Sprecher Max Löffler. Bütikofer, Kuhn und Künast hätten den Willen der Parteimitglieder nicht beachtet. „Darum fordern wir ihren Abgang“, so der Vorsitzende der grünen Jugendorganisation. Die jüngste Bundesdelegiertenkonferenz (BDK) der Grünen im Dezember 2006 in Köln habe doch klar gegen eine Ausdehnung des deutschen Militäreinsatzes votiert, so Löffler.

Der Münsteraner Parteilinke Sagel zitiert den BDK-Beschluss: „Eine Erweiterung des Bundeswehrmandats auf den afghanischen Süden lehnen wir ab.“ Sagel fordert nun Konsequenzen, weil mit dem Ja im Bundestag gegen den Parteitagsbeschluss verstoßen worden sei. Wenn das „abweichende Verhalten“ beim Afghanistan-Einsatz keine Konsequenzen habe, seien grüne Parteitage zukünftig nur noch „Witzveranstaltungen“. In den Internetforen der Parteilinken wird bereits munter über eine Rache an den Tornado-Politikern debattiert: Ein Sonderparteitag und Amtsenthebungsverfahren sind im Gespräch. Sagels Parteikollege Wilhelm Achelpöhler fordert eine „bessere Vernetzung“ der Friedenspolitiker, um sprach- und durchsetzungsfähiger zu werden.

Daniela Schneckenburger, NRW-Landesvorsitzende der Grünen, hält Rücktrittsforderungen für „zu plump“. Der Parteitagsbeschluss sei „interpretierbar“ – schließlich hätten Tornado-Einsätze im Dezember noch gar nicht zur Debatte gestanden (siehe auch Interview unten ). Dennoch herrsche „Stillstand in der Friedens- und Sicherheitspolitik“ der Grünen – die Partei sei „de facto gespalten“.

Bei der Abstimmung gestern im Bundestag waren die Grünen tatsächlich gespalten: Eine Mehrheit von 26 Grünen-Abgeordneten stimmte für die Tornados. Es gab 21 Nein-Stimmen und vier Enthaltungen. Unter den zehn Parlamentariern aus NRW war das Verhältnis anders: Sieben stimmten mit Nein und zwei für den Einsatz.

Die Bielefelder Bundestagsabgeordnete Britta Haßelmann enthielt sich – auch weil die Bundesregierung zu wenig für einen „Strategiewechsel“ in Afghanistan unternehme. „Wir brauchen eine zivile und politische Offensive und eine Verstärkung der zivilen Anstrengung“, sagte sie. Spaltungsgefahren sieht die Ex-NRW-Parteivorsitzende bei den Grünen nicht – man sei sich einig, in den nächsten Monaten eine Debatte über die „nachhaltige Stabilisierung“ Afghanistans zu führen. Haßelmann: „Wir müssen den Tornado-Beschluss und die Zukunft Afghanistans in den Kreisverbänden ganz intensiv diskutieren.“