Die Rente mit 67 ist sicher

VON BARBARA DRIBBUSCH
UND THILO KNOTT

1. Wer ist betroffen von der Rente mit 67?

Betroffen sind die ab 1947 geborenen Jahrgänge, wobei die Belastung für die Jüngeren zunimmt. Die Rechnung sieht so aus: Für jeden Jahrgang steigt der gesetzliche Rentenbeginn. Ab dem Jahrgang 1964 schließlich kann man erst mit 67 Jahren eine abschlagsfreie Rente genießen (siehe Tabelle). Wer früher in den Ruhestand wechselt, für den vermindert sich die Rente um 0,3 Prozent für jeden vorgezogenen Monat. Frühestens kann man mit 63 Jahren in Rente gehen. Für die Geburtsjahrgänge ab 1964 bedeutet das: Wechseln sie später schon mit 63 Jahren aufs Altenteil, vermindert sich die Rente um 14,4 Prozent, also ein sattes Siebtel. Versicherte, die 45 Beitragsjahre lang gearbeitet haben, können auch künftig mit 65 Jahren in die abschlagsfreie Rente gehen; das ist aber eine Minderheit.

2. Wer stimmte gegen die Rente mit 67 – außer der Opposition?

11 SPD-Abgeordnete vom linken Parteiflügel stimmten mit Nein. 4 weitere SPD-Parlamentarier enthielten sich. 193 Fraktionsmitglieder stimmten mit Ja. Bei der Union gab es keine Abweichler. Alle 215 anwesenden Abgeordneten votierten für die Heraufsetzung des Rentenalters. Die Opposition stimmte laut den Auszählungsunterlagen geschlossen gegen das Gesetz (siehe Kasten).

3. Sind die protestierenden Gewerkschaften mal wieder die Verlierer?

Vor dem Reichstag haben gestern in Berlin noch einmal rund 2.500 Gewerkschaftsjugendliche gegen die Rente mit 67 protestiert. Aufgerufen hatte die Jugendorganisation der IG Metall. Die größte Einzelgewerkschaft im DGB protestiert am stärksten gegen die Rente mit 67. Nach Gewerkschaftsangaben sind seit Jahresbeginn über 300.000 Beschäftigte auf die Straße gegangen. Auch IG-Metall-Chef Jürgen Peters kritisierte abermals die „fatale sozialpolitische Fehlentscheidung“. Allein: Den Beschluss des Bundestages zur Rente mit 67 tangierten die Proteste nicht. „Für die Gewerkschaft waren die Proteste eine wichtige Sache, weil dadurch die Mitglieder mobilisiert wurden“, sagte der Gewerkschaftsexperte Hans-Peter Müller von der FU Berlin der taz. Er mutmaßt sogar, dass einem Teil der Gewerkschaft die Politik der großen Koalition sogar zupass komme. „Damit lässt sich wunderbar linksoppositionelle Politik machen“, erklärte Müller in Anspielung auf Bestrebungen innerhalb der Gewerkschaften, näher an die Linkspartei zu rücken. Jürgen Peters will nun abwarten, bis die SPD Ende des Jahres ein neues Konzept für die soziale Abfederung der Rente mit 67 vorlegt und dieses dann auf „Ehrlichkeit, Machbarkeit und Zumutbarkeit abklopfen“.

4. Warum diskutiert Deutschland überhaupt seit einem Jahr über die Rente?

Der spätere Rentenbeginn ist eine Sparmaßnahme. Aufgrund steigender Lebenserwartung und der in den letzten Jahren rückläufigen Zahl sozialversicherungspflichtiger Jobs steht die Rentenkasse unter Druck. Um mehr Geld hineinzubekommen, bleiben nur vier Möglichkeiten: Die Politik kann die Rentenkasse durch Steuergelder füllen, sie kann die Rentenbeiträge erhöhen, die Ruhegelder kappen oder aber die Bezugsdauer der Renten vermindern, in dem man den Beginn des Ruhestands hinausschiebt. Da die anderen Möglichkeiten schon genutzt wurden, geht die Politik jetzt den vierten Weg, nämlich den gesetzlichen Rentenbeginn bis zum 67. Lebensjahr hinauszuzögern. Damit nähert man sich wieder dem 19. Jahrhundert: Zu Beginn der Rentenversicherung 1889 unter Reichskanzler Bismarck galt eine Altersgrenze von 70 Jahren. Damals erreichte kaum jemand diese Grenze, sehr viel mehr Arbeitnehmer starben früher oder nahmen vorzeitig eine äußerst bescheidene Invalidenrente in Anspruch.

5. Was ist mit der Altersteilzeit?

Angesichts der späten Rente führt man in der SPD eine Debatte über neue Modelle für einen flexiblen Ausstieg aus dem Erwerbsleben. Das Modell der Altersteilzeit wird nämlich für Neuanträge ab 2010 nicht mehr durch die Bundesagentur für Arbeit subventioniert. Bei der Altersteilzeit scheiden Arbeitnehmer einige Jahre vor dem gesetzlichen Rentenbeginn aus dem Betrieb aus. Sie bekommen aber vom Arbeitgeber bis zum Ruhestand weiter ein vermindertes Gehalt. Ein Teil davon ist steuer- und abgabenfrei. Den Unternehmen werden diese Gehälter teilweise von der Bundesagentur erstattet. Diese Förderung läuft aus. Alternativen werden von einer Arbeitsgruppe der SPD gesucht. Im Gespräch sind dabei auch neue Konzepte für die „Teilrente“, wobei Arbeitnehmer vorzeitig eine Teilrente bekommen, wenn sie noch in Teilzeit weiterarbeiten. Das Problem all dieser gleitenden Ausstiege ist die Frage, ob und wer die verminderten Gehälter oder Renten aufstockt: die Unternehmer oder die öffentliche Hand? Oder sollen Arbeitnehmer die Einbußen allein tragen? Die SPD-Arbeitsgruppe will bis Ende des Jahres Konzepte präsentieren.

6. Werden die Gewerkschaften mit den Arbeitgebern jetzt in der Tarifrunde über die Altersteilzeit streiten?

Sowohl die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeber haben das ausgeschlossen. „Das kann man nicht unter den Druck und die Aktualität einer Entgeltrunde stellen, man soll sich da nicht überfordern“, erklärte Gesamtmetall vor den am Montag beginnenden Tarifverhandlungen in der Metall- und Elektrobranche. Ähnlich äußerte sich die IG Metall. Die Tarifparteien argumentieren unisono sowohl grundsätzlich als auch pragmatisch. Grundsätzlich: „Nicht jeder sozialpolitische Konflikt kann von den Tarifvertragsparteien gelöst werden“, sagte Jutta Kemme, zuständig für Sozialpolitik bei Gesamtmetall, der taz. Pragmatisch: Die Betriebe seien noch mit der Umsetzung des Entgeltrahmentarifvertrags zur Angleichung von Arbeitern und Angestellten sowie des Tarifvertrags zur Qualifizierung aus dem vergangenen Jahr beschäftigt, deshalb wären sie mit einem weiteren umfassenden qualitativen Thema überfordert, sagte IG-Metall-Sprecher Jörg Köther der taz. Die Tarifparteien werden dennoch nicht um das Thema herumkommen: Es gilt in der deutschen Schlüsselindustrie ein Tarifvertrag Altersteilzeit, der neben den gesetzlichen 70 Prozent einen zusätzlichen Arbeitgeberanteil von weiteren 10 Prozent festlegt. Sollte die bisherige Finanzierung durch die Bundesagentur für Arbeit wie bisher geplant ab 2010 wegfallen, wäre auch der gleitende Übergang in den Ruhestand wieder ein tariflich zu regelndes Thema.

7. Kann ein Stahlarbeiter überhaupt so lange arbeiten?

Kaum. „Eigentlich stimmen wir im Grundsatz mit der Rente mit 67 überein“, sagt Volker Becher, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Stahl, gegenüber der taz, „doch wir müssen die Interessen unserer Branche berücksichtigen.“ Hitzearbeitsplätze, Nachtschichten, 7-Tage-Wochen, Lärmbelästigung: „Wir brauchen Sonderregelungen, weil sich viele Beschäftigte vorzeitig zur Ruhe setzen müssen“, sagt Becher. Sein Arbeitgeberverband hat als einziger gegen die Pläne der großen Koalition protestiert – in einem gemeinsamen Brief mit der IG Metall an Arbeitsminister Franz Müntefering (SPD). Tarifpolitisch hat die Stahlbranche das Problem alternder Gesellschaften schon aufgenommen: Im September 2006 schlossen Arbeitgeber und Gewerkschaften den „Tarifvertrag zur Gestaltung des demografischen Wandels“ ab. Denn von den 90.000 Beschäftigten in der Branche sind bereits knapp 30 Prozent älter als 50 (20 Prozent in der Gesamtwirtschaft). Die Unternehmen müssen bis Mitte 2007 eine Altersstrukturanalyse vorlegen. Mögliche Maßnahmen: Bildung von altersgemischten Teams, Nutzung von Langfristkonten zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit oder gesundheits- und altersgerechte Einsatzplanung sowie verstärkte Übernahme von jungen Ausgebildeten. „Die Aufnahme von Sozialpolitik in die Tarifpolitik darf aber nicht zur Regel werden“, sagt Becher.

8. Werden Betriebe die Menschen bis zum Rentenbeginn halten oder versuchen, sie vorzeitig loszuwerden?

Loswerden ist nicht so einfach. So „wird der Anteil der über 55-Jährigen bei VW von 10 Prozent im Jahre 2003 auf etwa 40 Prozent im Jahre 2023 steigen“, schrieben Ulrich Walwei und Martin Dietz vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) in der Fachzeitschrift Die BKK. Die Firmen kommen also nicht daran vorbei, ihre Arbeitsplätze altersgerecht umzustrukturieren. Sich von kündigungsgeschützten Arbeitnehmern zu trennen würde jedenfalls „zu teuer“, sagt der IAB-Forscher Johann Fuchs, die Unternehmen „müssten ja eine längere Zeit bis zur Rente vorfinanzieren“. Im schlimmsten Fall könnte sich in manchen Unternehmen das Mobbing verstärken.

9. Bisher aber gibt es doch kaum Ältere auf dem Arbeitsmarkt. Wie soll sich das ändern?

Entscheidend sind auch heute schon die Qualifikationen. So sind immerhin schon zwei Drittel der Hochschulabsolventen im Alter zwischen 60 und 64 Jahren noch erwerbstätig, aber nur ein Drittel der Absolventen einer Lehre oder Berufsfachschule und nicht mal ein Viertel der Ungelernten, hat IAB-Experte Fuchs errechnet. Bei einer Rente mit 67 „könnten damit einerseits viele gut Qualifizierte zusätzlich zur Verfügung stehen. Andererseits wäre auch mit einer größeren Zahl an ‚Problemfällen‘ zu rechnen“, so Fuchs. Millionen von älteren Langzeitarbeitslosen droht die Altersarmut. Die Rente mit 67 könnte aber unter Umständen auch „den demografisch bedingten Rückgang des Erwerbspersonenpotenzials eine Zeit lange nahezu kompensieren“, meint Fuchs.

10. Werden Ältere künftig also wieder geschätzt, oder nimmt der Jugendwahn auf dem Jobmarkt erst recht zu, wenn vor allem Grauhaarige in den Betrieben zu sehen sind?

Wie bisher auch werden Betriebe wohl jüngere Bewerber bevorzugen, wenn sie die Wahl haben. Andererseits aber werden pauschale Vorurteile gegen Älteren möglicherweise schwinden, einfach weil es so viele von ihnen gibt und sich der Jobmarkt dadurch noch stärker individualisiert. 50-Jährige gelten dann gegenüber 60-Jährigen als noch relativ jung.