Sie hat keine Lust zu filzen

Dichte Beschreibung einer schwierigen politischen Situation: Der Spielfilm „Close to Home“ von Dalia Hager und Vidi Bilu begleitet zwei junge israelische Soldatinnen, die durch Jerusalem patrouillieren. An ihrem Beispiel erfährt man viel über das absurde Nebeneinander von Banalität und Lebensgefahr

VON EKKEHARD KNÖRER

Soldatinnen bei der Arbeit. Sie filzen in schmucklosen Kabinen palästinensische Frauen, auf der Suche nach Waffen, nach Bomben, nach Verdächtigem aller Art – und dazu gehören, wie man erfährt, auch Nahrungsmittel. Die Soldatinnen sind jung, und gleich zu Beginn zeigt der Film „Close to Home“ einen Akt der Insubordination. Eine der Soldatinnen winkt alle Frauen durch, ohne Kontrolle, es scheint, als ertrage sie die Demütigungen nicht, die sie so vielen Unschuldigen zufügen muss. Diese Insubordination ist nicht unbedingt ein politischer Akt, aber im Grunde ist gerade das die zentrale Pointe des Films der Regisseurinnen Dalia Hager und Vidi Bilu: In einer politisch so aufgeladenen Lage wie der im Jerusalem der Gegenwart bekommen auch spontane Handlungen und private Geschichten politische Bedeutung.

Im Zentrum von „Close to Home“ stehen zwei 18-jährige Frauen, die, wie es die Pflicht jeder Frau in Israel ist, ihren Militärdienst leisten. Smadar (Smadar Sayar) und Mirit (Naama Schendar) sind denkbar verschieden. Aufmüpfig, ohne jeden Drang zur Pflichterfüllung die eine; eifrig, verschreckt und voller Respekt für die Vorgesetzten die andere. Wie es das Schicksal und die selbst nicht in jeder Hinsicht vorbildliche Vorgesetzte Dubek (Irit Suki) wollen, werden die beiden aber zusammen auf Patrouille in den Straßen Jerusalems geschickt. Sie sollen, in Uniformen gesteckt, in einem genau festgelegten Sektor Palästinenser kontrollieren. Meist sind das Männer, die älter sind als die beiden, in Eile, auf dem Weg zur Arbeit. Kaum einer verweigert sich, aber natürlich ist die Anspannung stets spürbar. Die Arbeit der Soldatinnen ist streng geregelt. Der Dienst darf nur zu festgelegten Zeiten unterbrochen werden, hinsetzen, telefonieren, Einkäufe machen, ein Kaffee zwischendurch sind nicht drin. Immer dieselbe Strecke, immer dieselben Fragen. Und immer wieder kommt die Kommandantin zur unangemeldeten Kontrolle vorbei.

Smadar verweigert sich dennoch. Sie hat keine Lust, Palästinenser zu filzen, sie sitzt herum, sie geht in Läden, die an der Straße liegen, die sie im Blick behalten sollte. Es gibt einen Warndienst unter den Soldatinnen: Per Handy werden die Bewegungen der Vorgesetzten mitgeteilt. Mirit freilich kommt mit Smadars Verhalten nicht klar. Sie weiß, hin und her gerissen zwischen der Solidarität mit der Patrouillepartnerin und der eigenen Ängstlichkeit, nicht recht, was tun. Die beiden bekommen Ärger. Frech erwidert Smadar auf die Vorwürfe: „Woher soll ich wissen, wie ein Araber aussieht?“ Ein akzeptables Argument scheint das nicht. Alle anderen wissen, wie Araber aussehen.

„Close to Home“ zeigt mit schöner Beiläufigkeit alltägliche Straßenszenen in Jerusalem. Die Mädchen albern und scherzen, sie entziehen sich der Kontrolle und begutachten Kleider in Schaufenstern. Wie aus dem Nichts ereignet sich dann aber in unmittelbarer Nähe von Smadar und Mirit eine Explosion. Man hört nur den Knall aus dem Off, Mirit liegt halb betäubt auf dem Boden. Ein Mann aus der Menge hilft ihr. Der Film nimmt diesen Moment des Einbruchs der politischen Realität in den so vergleichsweise harmlos dahinfließenden Patrouillenalltag allerdings nicht zum Anlass, nun selbst die Perspektive ins größere politische Ganze zu weiten. Stattdessen wird er zur Geschichte einer unglücklichen Liebe und einer unwahrscheinlichen Freundschaft.

Es wäre verfehlt, „Close to Home“ diesen absichtlichen Verzicht auf eine explizite politische Agenda zum Vorwurf zu machen. Im Grunde ist er gerade darin nämlich sehr konsequent. Das Problematische der politischen Lage spiegelt sich jenseits aller Thesen und Positionen im absurden Nebeneinander von Banalität und Lebensgefahr, das den Jerusalemer Alltag – nicht nur – der jungen Soldatinnen ausmacht. „Close to Home“ besticht durch atmosphärisch dichte Beschreibung dieser absurden Situation. Dass es dem Film dabei auf unspektakuläre Weise gelingt, uns für seine beiden Protagonistinnen einzunehmen, spricht gewiss nicht gegen ihn.

„Close to Home“. Regie: Dalia Hager, Vidi Bilu. Mit Smadar Sayar, Naama Schendar u. a. Israel 2005, 90 Min.