„Plötzlich waren wir Outlaws“

„Der Weg der Ausschweifung führt zum Palast der Weisheit.“ Heute wird Kris Kristofferson in Hamburg sein einziges Deutschlandkonzert geben. Ein Telefongespräch mit dem Sänger und Schauspieler darüber, wie man Johnny Cash beeindruckt, über Protestsongs, die dazu- gehörige Bartpflege, das Leben als Rebell und was man vom harten Trinken lernen kann

INTERVIEW MICHAEL TSCHERNEK

taz: Guten Morgen, Herr Kristofferson. Zwischen Deutschland und Hawaii besteht eine Zeitdifferenz von zwölf Stunden. Bei uns ist es zwar bereits 22 Uhr, aber bei Ihnen ist der Tag noch ziemlich jung. Wie haben Sie den Tag begonnen?

Kris Kristofferson: Ich habe den Tag damit begonnen, meine Kinder zur Schule zu bringen. Und danach bin ich mit meiner Frau ungefähr vier Meilen weit gerannt – allerdings sehr langsam.

Das klingt sehr sportlich. Die Zeiten, von denen Sie in „Sunday Morning Coming Down“ gesungen haben, als Sie sich ein Bier zum Frühstück und ein zweites als Dessert genehmigt haben, sind also vorbei?

Oh ja. Glücklicherweise habe ich diese Zeit überstanden.

Sie haben seit Mitte der Neunziger kein Studioalbum mehr veröffentlicht. Was hat Sie dazu gebracht, das nun mit „This Old Road“ nachzuholen?

Ich habe in der vergangenen Jahren Konzerte gegeben, ganz allein, nur ich mit einer Gitarre und einer Mundharmonika. Als ich nach Los Angeles kam, fragte mich Don Was, mein Produzent, ob ich bereit sei, in ein Studio zu kommen, um auf diese Weise ein paar Songs aufzunehmen. Und das habe ich gemacht. Für ein paar der Stücke hat Don wenige zusätzliche Musiker mitgebracht, aber im Wesentlichen bestehen die Songs nur aus mir und der Gitarre. Ich habe wirklich nicht erwartet, dass dabei ein großes Album entstehen könnte. Aber es hat sich herausgestellt, dass ich darauf mehr positive Reaktionen erhalte als auf alles andere, was ich in den vergangenen 30 Jahren gemacht habe.

Welcher Musik fühlen Sie sich mehr verbunden, Country oder Folk?

Ich werde mich der Country-Musik wohl immer verbunden fühlen, da Country vermutlich die erste Art von Musik ist, die ich wirklich mochte. Für Folk gilt im Grunde dasselbe, ich war auch immer ein Fan von Folk-Musik. Aber ich bin 1965 nach Nashville gegangen, um als Country-Songwriter zu arbeiten. Mit ein paar anderen Leuten wie Mickey Newbury habe ich dort ernsthaft versucht, den Leuten etwas Respekt für die Country-Musik beizubringen.

Sie haben bereits damals Johnny Cash ein paar Songs übergeben.

Ja, Johnny Cash war einer meiner größten Helden und auch einer der Gründe, warum ich überhaupt erst nach Nashville gegangen bin. Ich hatte das Glück, als Hausmeister in den Columbia-Studios zu arbeiten, dort wo er seine Aufnahmen gemacht hat. Ich habe ihm alle meine Songs gegeben, von denen ich hoffte, dass er sie singen würde. Fünf Jahre lang hat er keinen meiner Songs angerührt, aber irgendwann ist es doch noch dazu gekommen. Er war immer ein großer Ansporn für mich.

Sie haben damals auch als Helikopterpilot gearbeitet. Stimmt es, dass Sie später einmal auf Johnny Cashs Grundstück gelandet sind, um ihm weitere Songs zu übereichen?

Das habe ich tatsächlich einmal gemacht. Damit habe ich mehr Aufmerksamkeit erregt als mit allem anderen, was ich jemals gemacht habe. Die Leute sprechen immer wieder davon, aber da kannte ich ihn bereits seit ein paar Jahren.

Aber offenbar war Johnny Cash davon beeindruckt.

Ja, ich glaube, dass es ihn ein wenig verblüfft hat. Wahrscheinlich habe ich Glück gehabt, dass er mich nicht mit einem Gewehr aus dem Luftraum geholt hat.

Welche Bedeutung hat ein Protestsong heutzutage?

Ich finde, dass Protestsongs so wichtig wie eh und je sind. Und was mich angeht, so kann ich mich jedenfalls an keine US- Regierung erinnern, die so unverantwortlich gehandelt hätte wie die derzeitige. Und ich habe schon einiges erlebt. Es ist einfach wichtig, dass sich die Leute diese Vorgänge etwas genauer ansehen.

Glauben Sie, dass man mit einem Protestsong auch tatsächlich etwas erreichen kann?

Nun, meine Frau sagte zu mir bei meiner letzten Tour: Ich glaube, dass du dabei bist, die Einstellung der Leute zu verändern. Tausend Leute pro Abend. Ich trete bereits seit geraumer Zeit auf diese Weise auf, und ich habe dabei immer Dinge über unsere Außenpolitik gesagt, die die Leute nicht unbedingt hören wollten. Gleichgültig, ob es dabei um Dinge in unserer eigenen Hemisphäre, in Zentralamerika oder um andere Orte der Welt ging. Aber inzwischen stimmen offenbar immer mehr Leute mit mir überein.

Warum haben Sie damals eigentlich Ihren Dienst beim Militär quittiert?

Ich hatte nie die Absicht, die Karriere meines Lebens beim Militär zu machen. Ich habe einen militärischen Background (Kristoffersons Vater war ein General der Air Force, Anm. d. Red.), und es bestand kein Zweifel, dass ich eine gewisse Zeit beim Militär dienen würde. Außerdem gehörte das Militär damals zum Leben dazu. Wenn du nicht freiwillig beigetreten bist, wurdest du eingezogen. Aber ich wollte nie dabei bleiben. Beinahe wäre ich allerdings doch dabei geblieben, weil man mir einen attraktiven Job angeboten hatte. Nach meinem Aufenthalt in Deutschland sollte ich nämlich Englische Literatur an der Akademie Westpoint unterrichten. Stattdessen bin ich nach Nashville gegangen, um dort als Songwriter zu arbeiten. Aber da hatte ich schon fast fünf Jahre in der Army gedient.

Und Sie haben es in dieser Zeit zum Captain gebracht.

Ja.

Mit Leuten wie Johnny Cash, Willie Nelson und Waylon Jennings sind Sie als Outlaw zu einer Ikone geworden. Haben Sie das Gefühl, tatsächlich das Leben eines Outlaws gelebt zu haben oder es auch noch zu leben?

Als ich die Entscheidung traf, meinen Lebensunterhalt mit einem kreativen Beruf zu bestreiten, habe ich auch entschieden, mein Leben nach den Regeln zu leben, an die ich geglaubt habe. Diese Regeln stimmten nicht immer mit den Erwartungen anderer Menschen überein. Ich habe Songs geschrieben, an die ich geglaubt habe. Das gilt auch für die Leute, die Sie gerade erwähnt haben. Und meine ersten Konzerte habe ich nicht etwa in den typischen Veranstaltungsorten für Country-Musik gegeben, sondern in Folk- und Rock-Clubs, im Troubadour und im Bitter End. Ich hatte lange Haare und einen Bart, so etwas hat es damals in der Country-Musik nicht gegeben. Ich kann mich noch an mein erstes Treffen mit Merle Haggard erinnern, den ich sehr bewundert habe. Wir haben davon gesprochen, zusammen aufzutreten, und sein Agent sagte zu mir: Da müssen wir dich allerdings erst rasieren! Darauf sah ihn Merle an und sagte: Nun, Dick, es könnte gut sein, dass ich einen Bart trage, wenn wir uns das nächste Mal sehen. Und so ist es ja auch gekommen.

Wie viel Zeit wenden Sie für die Pflege Ihres Barts auf?

Dazu müssen Sie Folgendes wissen: Bei meinen ersten Konzerten im Sommer 1970 habe ich mir eine hartnäckige Lungenentzündung eingefangen. Während der gesamten Dreharbeiten meines ersten Films „Cisco Pike“ hatte ich damit zu kämpfen. Ich musste eine Woche im Krankenhaus verbringen und habe damals angefangen, mir einen Bart wachsen zu lassen. Das war alles. Dann haben sie von mir ein Foto für das Cover eines Magazins gemacht und dazu geschrieben: Das neue Gesicht der Country-Musik. Dann haben sich Waylon und Willie Bärte wachsen lassen, und plötzlich waren wir angeblich Outlaws. Aber das hat sich rein zufällig ergeben.

Das hat also auch nichts mit einer Theorie zu tun, die behauptet, dass ein Mann ohne Bart kein richtiger Mann sei?

Nein, denn ich hatte ja noch nicht einmal die Absicht, mir einen Bart wachsen zu lassen. Ich glaube, das kam so: Als ich aus dem Krankenhaus kam, sagte eine Freundin, mit der ich damals zusammenwar, dass ich wie Warren Beatty aussehen würde, und das gefiel mir. Deshalb habe ich den Bart behalten, und ehe man sich versah, haben das auch ein paar andere Leute so gemacht.

Wann haben Sie Ihr Gesicht zuletzt ohne Bart gesehen?

Ich habe den Bart hin und wieder für eine Filmrolle abrasiert.

Sie haben auch viel geboxt in Ihrem Leben. Was haben Sie am Boxen gemocht?

Ich weiß nicht, warum ich das Boxen geliebt habe, ich habe es einfach gemacht. Aber ich habe auch Football geliebt. Ich habe mich schon als Achtjähriger für das Boxen interessiert, damals bekam ich mein erstes eigenes Paar Boxhandschuhe. Als ich zur Universität Oxford gegangen bin, habe ich drei Jahre lang im Team der Uni geboxt. Aber ich habe immer nur als Amateur gekämpft, nie als Profi. Ich habe eine Reihe von Gehirnerschütterungen erlitten, die mich davon abgehalten haben. Aber ich glaube, dass ich sehr viel vom Boxen gelernt habe. Ich habe gelernt, dass bereits ein gewisser Sieg darin liegt, wenn man niemals aufgibt.

Vermutlich lernt man dabei auch, ein paar Schläge wegstecken zu können?

Es gibt schlimmere Dinge, als von einem Schlag getroffen zu werden. Ich nehme an, dass die Scham, die man empfindet, wenn man aufgibt, schlimmer ist.

Gibt es auch irgendetwas, was man vom harten Trinken lernen kann?

Der Weg der Ausschweifung führt zum Palast der Weisheit („The road of excess leads to the palace of wisdom“), gemäß William Blake. Ich denke, was man vom harten Trinken lernen kann, ist, dass es Vergessen verursacht. Wenn es das ist, was du haben willst, dann wirst du es auch bekommen. Unglücklicherweise führt es jedoch nicht zu einer langen Lebensdauer. Außerdem stumpft es dein Handwerkszeug ab und schwächt deine Kraft im Umgang mit den Dingen des Lebens.