Vision nach Hartz IV

VON HANNES KOCH

Die grüne Parteispitze versucht, die grüne Basis zu bremsen. Während viele Mitglieder das Konzept des bedingungslosen Grundeinkommens attraktiv finden, warnt die Führungsriege vor Schwärmerei. „Bedarfsorientierte Grundsicherung oder bedingungsloses Grundeinkommen“ lautete die klare Alternative beim Armutskongress der Grünen am Wochenende in Berlin.

Die Fraktionsführung um Renate Künast und Fritz Kuhn, Katrin Göring-Eckardt, die Vizepräsidentin des Bundestages, Markus Kurth, der sozialpolitische Sprecher der Fraktion – sie alle plädierten dafür, Hartz IV zu humanisieren, aber nicht durch etwas komplett Neues zu ersetzen. Mehr Zustimmung allerdings bekamen die Befürworter des Grundeinkommens, die allen Bürgern einen monatlichen Betrag von 800 Euro ohne Verpflichtung zur Gegenleistung zusprechen wollen.

Auf die Frage „Was soll nach Hartz IV kommen?“ geben Grüne derzeit zwei höchst unterschiedliche Antworten. Die Parteiführung, die die rot-grünen Sozialgesetze mitverantwortet, will ihre oft kritisierte Wirkung mildern. „Weniger Schikane, bessere Leistungen, weniger Bürokratie“, so beschrieb Göring-Eckardt ein verändertes Hartz IV. Sie plädierte für eine bedarfsorientierte Grundsicherung, die sich im Gegensatz zu heute an den Bedürfnissen der Arbeitslosen orientiert und nicht am Ziel, die Statistik zu bereinigen. Die Bundesagentur für Arbeit müsse die Erwerbslosen darin unterstützen, eigenverantwortlich einen sinnvollen Berufsweg zu gehen.

Den Benachteiligten werde mit mehr Geld und weniger Pflichten eben nicht geholfen, erklärte Markus Kurth. Jugendliche ohne Ausbildung, jobsuchende Mütter mit drei Kleinkindern, Langzeitarbeitslose mit Hauptschulabschluss – für diese Menschen könne das Grundeinkommen als Anreiz wirken, sich in Nischen zurückzuziehen, aus denen sie nicht herauskämen.

„Geld und Bildung schließen sich nicht aus“, sagte dagegen Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister von Tübingen. Natürlich sei es notwendig, Arbeitslose zu unterstützen und zu fördern. Palmer fragte aber: „Wollen wir weiter an Hartz IV herumschrauben oder eine neue Sozialpolitik entwerfen?“

Die Befürworter des bedingungslosen Grundeinkommens argumentieren, dass mit ihrem Konzept sehr vielen Menschen geholfen würde. Die materielle Situation der Armen würde verbessert, die in der Mittelschicht grassierende Angst vor dem sozialen Absturz gemildert sowie Selbstständigen ermöglicht, ökonomische Hängepartien zu überstehen. „Wir wollen alle mitnehmen“, sagte Palmer. „Nur wer etwas für den Mittelstand tut, kann auch den Armen helfen.“ Das sei „baden-württembergische Realpolitik“, so Palmer.

Die Befürworter des Grundeinkommens sind den Anhängern einer besseren Grundsicherung augenblicklich nicht nur stimmungsmäßig voraus. Sie haben auch den Vorteil, dass ein paar Konzepte für das Grundeinkommen bereits durchgerechnet vorliegen. Bei der Grundsicherung neuen Typs ist das noch nicht der Fall. Die Fraktionsführung versprach, demnächst ein ausgearbeitetes Modell zu präsentieren. Erst dann wird wohl das funktionieren, was Katrin Göring-Eckardt am Wochenende einforderte: die Arbeit am Kompromiss zwischen Grundeinkommen und Grundsicherung.

Die muntere Debatte wird die Grünen noch bis November beschäftigen: Beim Bundesparteitag in Nürnberg soll eine Entscheidung fallen.