Fun im Zweistromland

Operation Desertball: Endlich wird der Krieg im Irak in sportliche Bahnen gelenkt

„Wir müssen die Leute dort abholen, wo sie sich wohl fühlen und ihren Spaß haben“

Muhammad al-Wahadi kauert hinter einem ausgebrannten amerikanischen Panzerwrack und hält Ausschau nach dem Feind. Er muss ganz in der Nähe sein, denn er hat Stimmen gehört. Vielleicht hinter dem Reifenstapel. Oder in den Ruinen der Lehmhäuser, die als geisterhafte Zeugen des Krieges vor sich hindämmern. Der Feind kann überall sein, und deshalb ist Muhammad doppelt wachsam. Heute soll ihm nicht wieder das gleiche Missgeschick passieren wie gestern: Ein Moment der Unachtsamkeit, und er bekam einen Treffer, er wurde „markiert“. Blutrot breitete sich der Farbfleck auf seinem schneeweißen Gewand aus – er war eliminiert und konnte den Rest der Partie nur noch von der Holztribüne aus verfolgen, zusammen mit 3.000 begeisterten Zuschauern.

„Desertball“ heißt das Spiel, das seit Wochen tausende von Irakern in seinen Bann zieht. Es ist eine Variante der in den USA und anderen westlichen Ländern sehr populären Paintball-Variante „Gotcha“, bei dem zwei Teams versuchen, sich gegenseitig zu eliminieren, indem sie durch die Benutzung spezieller Luftdruckpistolen– mit Vorliebe Repliken echter Waffen – einen Gegenspieler markieren und ihn somit aus dem Spiel nehmen. Das Markieren erfolgt mittels einer Farbkugel, dem „Paintball“. Er besteht aus einer Gelatinehülle, die mit Farbe gefüllt ist. Trifft der Ball auf ein Hindernis, so platzt er meistens auf und hinterlässt einen farbigen Fleck. Einziges Zugeständnis an landestypische Gepflogenheiten: Im Irak werden die Kugeln mit Kamelblut gefüllt.

Die Verbreitung des Spiels verdanken die Iraker der Expertenkommission unter Führung des ehemaligen US-Außenministers James Baker. Die hatte der US-Regierung eine grundlegende Neuausrichtung ihrer Politik im Nahen und Mittleren Osten nahegelegt. „Wir müssen die Leute dort abholen, wo sie sich wohl fühlen, wo sie ihren Spaß haben“, meint Brigadegeneral Johnston mit einem maliziösen Lächeln, „und das ist nun mal das Herumballern mit Handfeuerwaffen.“ Die unbändige Schießlust der Wüstensöhne soll nach den Plänen der Baker-Kommission dem Aufbau des krisengeschüttelten Landes zugute kommen.

Grundgedanke der US-Strategen: Das amerikanische Militär im Irak solle immer häufiger auf Kampfeinsätze verzichten und sich stattdessen auf den Aufbau einer irakischen Desertball-Liga konzentrieren. Diese Empfehlung zählt zu den insgesamt 79 Anregungen, die im Bericht der Kommission enthalten sind. Der Irak ist von der Topografie her für „Desertball“ prädestiniert: weite Wüstenregionen, in denen die künstlichen Deckungen hervorragend platziert werden können und die natürlichen Deckungen gleichmäßig über das Territorium verteilt sind.

Präsident Bush kündigte damals an, die Vorschläge „sehr ernsthaft“ zu prüfen. Der Bericht enthalte einige wirklich sehr interessante Vorschläge, „und wir werden jeden Vorschlag ernst nehmen und rechtzeitig handeln“. Dem raschen Ausbau des Landes zu einem einzigen großen Desertball-Spielfeld scheint nun nichts mehr im Wege zu stehen. Das Spiel, so das Kalkül der Planer, könnte die Iraker womöglich rascher befrieden als langwierige Demokratisierungsbemühungen.

Die Zahl der US-Soldaten im Irak könnte bis zum kommenden Jahr also durchaus von derzeit 144.000 auf etwa 70.000 halbiert werden, wenn dafür verstärkt Paintball-Spieler aus den amerikanischen Profiligen zum Einsatz kommen. Zusammen mit den verbliebenen GIs könnten sie als Instruktoren, Trainer oder Schiedsrichter endlich einmal einen konstruktiven Beitrag zum Aufbau des Landes leisten.

Hierzulande ist das Spiel nur auf dafür umfriedetem Gelände erlaubt. Der Zugang zum Gelände muss zum Beispiel durch einen Zaun abgesperrt sein, so dass sich kein unbeteiligter Passant in die Schusslinie verirren kann, und es muss durch ein Fangnetz so gesichert sein, dass kein Schuss nach außen dringt. All diese lästigen Restriktionen fallen in den weitgehend menschenleeren Wüstenregionen des Irak natürlich flach. So könnte sich das Zweistromland zum Eldorado der weltweiten Baller-Community entwickeln.

Populäre Mannschaften wie die Basra Red Socks oder Tikrit Volunteers buhlen derzeit um den Gewinn des Iraki-Cups, wobei die innerirakischen Rivalitäten zwischen Schiiten und Sunniten, Regierungsmitarbeitern und Anhängern des gestürzten Diktators auf spielerische Weise ausgetragen werden.

Gespielt wird meistens mit den reichlich vorhandenen Hinterlassenschaften des Krieges: Hubschrauberwracks, Reifenstapel, Sandsäcke, aber auch natürliche Hindernisse wie Wanderdünen dienen als Deckungen und sorgen für ultimativen Fun im Zweistromland. Mittlerweile werden auch schon andere Spielvarianten praktiziert: Beim „SupAir“ sind die Deckungen aufblasbare geometrische Körper, also Zylinder, Kegel oder Bush-Puppen. Bei der Königsdisziplin „Reenactment“ werden Szenarien wie zum Beispiel die „Operation Desert Storm“ oder die Besetzung Kuwaits nachgespielt. Diese Spielart hat auch Spielziele wie beispielsweise eine Geiselbefreiung, die Gefangennahme eines Selbstmordattentäters oder die Entschärfung einer „Bombe“.

Seit die Iraker dem Spiel verfallen sind, ist die Zahl der realen Attentate und Anschläge rapide zurückgegangen. Brigadegeneral Johnston zeigt sich denn auch von den Wirkungen der Wüstenspiele begeistert. „Hier haben diese Kameltreiber die beste Möglichkeit ihre Aggressionen abzubauen.“

Der letzte Spieler der Djihad Sheiks wähnt sich hinter dem Kassenhäuschen einer Tankstelle in Sicherheit und schmaucht arglos eine Zigarette. Doch das Unheil naht in Gestalt eines diabolisch grinsenden Muhammad al-Wahadi, der den Gegner heute rechtzeitig erspäht hat und sich nun lautlos wie eine Wüstenviper anschleicht. Er geht hinter einer Zapfsäule in Deckung, legt an und landet mit seinem Markierer einen Volltreffer. Ein roter Fleck verfärbt den grünen Kampfanzug des eliminierten Sheiks. Muhammad richtet sich auf und ballert triumphierend den Rest seiner Munition in den irakischen Himmel. Er hat seinen Traum erfüllt: Heute ist er last man standing. RÜDIGER KIND