Die unvollendete Mission

Im Irak oder in Afghanistan stehen sich hochgerüstete High-Tech-Armeen und hartnäckige Partisanenkämpfer gegenüber. Die Asymmetrie ihrer Mittel macht ein Ende der Kampfhandlungen unmöglich – droht also ein ewiger Zustand des Nicht-Kriegs?

Nach Clausewitz darf ein Krieg nie so geführt werden, dass letztlich der Friedensschluss mit dem Feind unmöglich wird

VON NIELS WERBER

Zur Erinnerung: Am 2. Mai 2003 landete George W. Bush auf dem Flugzeugträger „USS Lincoln“. In seiner Rede unter einem gigantischen Plakat mit den Worten „Mission Accomplished“ verkündete der Oberbefehlshaber, Irak sei „one victory in a war on terror“.

Dieser „Sieg“ hat seitdem tausende von Leben gekostet und dem Irak keinen Frieden gebracht. Der lernfähige Tony Blair hat darauf angemerkt, ein Sieg in Afghanistan liege wohl in weiter Ferne. Die militärischen Operationen im Irak oder Afghanistan werden also niemals zum gewünschten Ende führen. Die Zeit der Kriege, die mit einem Sieg enden und einen Frieden stiften, geht zu Ende. Dies mag zum einen daran liegen, wie Michael Rutschky in seinem Essay über „Die Krieger“ für die taz (2. 2. 2007) vorgeschlagen hat, dass der Kämpfer, mit dem es die westlichen Streitkräfte zu tun haben, allein für den Kampf kämpft und dem daher am Erreichen politischer Ziele, Sieg und Friedensschluss nichts liegt. Die politische Führung mag beschließen oder aushandeln, was sie will, der Kampf als „Lebensform“ geht weiter. Diese irrationale Kriegerkultur ist aber sicher nicht alleine für die Dauerkonflikte unserer Zeit verantwortlich. Dass aus Kriegen kein Sieg zum Frieden führt, ist ein Symptom eines epochalen Wandels unserer Gesellschaft, der die Unterscheidung von Krieg und Frieden verloren gegangen ist. Das Problem lässt sich als Wende zum „Nicht-Krieg“ beschreiben.

„Weltkrieg eins und Weltkrieg zwei, / aller guten Dinge sind drei“. So reimt im Jahre 1949 der ehemalige Rechtslehrer und Kronjurist des Dritten Reichs. Carl Schmitt war der festen Ansicht, dass dieser Krieg bereits mit dem Abwurf der ersten Atombombe begonnen habe. Selbstverständlich geht es ihm um die Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen und auch des eigenen Engagements bei der Errichtung einer deutschen Großraumordnung für Europa, wenn er betont, „wir“ hätten immerhin „die Atombombe nicht geworfen“. Dennoch berührt sein „Glossarium“ aus den Jahren 1947 bis 1951 einen äußerst aktuellen Punkt: Die „Verwandlung des Staaten-Krieges“ in einen Dauerkonflikt, der, wie er andernorts ausführt, „Kolonial- und Bürgerkrieg zur gleichen Zeit ist“, also jenseits allen Rechts in einer Art permanentem Ausnahmezustand geführt wird.

Diese Gewalt in Permanenz, die kein erklärter, völkerrechtlich gehegter Krieg ist, aber sicher auch kein Frieden, nennt Schmitt bereits 1932 im Aufsatz „Völkerrechtliche Formen des modernen Imperialismus“ einen „Nicht-Krieg“: „Es sind grausame Repressalien möglich, menschenmörderische Beschießungen, sogar blutige Kämpfe und Schlachten: das alles ist nicht Krieg im juristischen Sinne, der Friede, auf den die gequälte Menschheit mit Sehnsucht wartet, ist ihr längst beschieden; sie hat es nur, mangels juristischen Scharfsinns, nicht bemerkt.“ Der Nicht-Krieg sei „auf der gerechten Seite nur Rechtsverwirklichung, Exekution, Sanktion, internationale Justiz oder Polizei; auf der ungerechten Seite ist sie nur Widerstand gegen rechtmäßiges Vorgehen“. Auf der einen Seite Weltpolizisten, auf der anderen Aufständische und Terroristen. Es ist letztlich eine polizeiliche, für- und vorsorgliche, überwachende, präventive und intervenierende Gesellschaft, wie Michel Foucault sie in seinen Vorlesungen über Gouvernementalität beschrieben hat, die solche Nicht-Kriege führt. Dies klingt nach Etikettenschwindel, den Schmitt als Anwalt der „gequälten Menschheit“ endlich aufdeckt. Aber was Schmitt beobachtet, ist viel mehr als eine bloße rhetorische Strategie, denn der Nicht-Krieg transformiert nicht nur die Form militärischer Operationen, sondern er verändert grundlegend eine Gesellschaft, die zwar keine Kriege mehr erklärt, aber auch keinen Frieden mehr kennt.

Grausame Maßnahmen gegen Kolonialvölker und blutige Revolutionen sind 1949 nicht gerade neu, doch konnte man bislang immer gehegte, also im Rahmen von kriegsrechtlichen Konventionen geführte Kriege von jenen Entgrenzungen unterscheiden, die Bürger- und Kolonialkriege auszeichnen. Der israelische Militärhistoriker Martin van Creveld hat diese Unterscheidung zwischen gehegtem Krieg und ungehegter Gewalt bis in die griechische Antike zurückverfolgt. Die Göttin Pallas Athene fungiert als Schirmherrin des „gesitteten, regulären Krieges“, während der „irre, aufbrausende Ares“, wie Homer ihn beschreibt, die „unkontrollierte, uneingeschränkte Gewalt“ symbolisiert. Ares liebt den Kampf um seiner selbst willen, Athene dagegen trägt im Frieden keine Waffen und rüstet sich nur in Kriegszeiten. Sie hat Ares im Kampf besiegt, aber nicht getötet. Die Kriegsgöttin hat keine Freude an der Gewalt als Selbstzweck und steht für die Implementierung der Differenz von Krieg und Frieden und für das Recht im Krieg.

Athenes Unterscheidung von Krieg und Frieden zivilisiert den Krieg. Denn die Gewissheit, dass auf den Krieg der Frieden folgt, der ja notwendig mit dem Feind zu schließen ist, wirkt mäßigend auf die Kriegsführung. Carl von Clausewitz hat seiner Definition des Kriegs als „Fortsetzung der Politik“ mit „Einmischung anderer Mittel“ daher hinzugefügt, der Krieg dürfe nie so geführt werden, dass der politische Verkehr und letztlich der Friedensschluss mit dem Feind unmöglich würde.

Die Atombombe ist dagegen ein Mittel totaler Vernichtung, das die „Hegungen“ des Krieges sichtbar abschafft, denn sie vernichtet unterschiedslos Zivilisten und Soldaten, militärische Ziele und ganze Landstriche. Daher wird sie für Schmitt zum Symbol für den Beginn eines Nicht-Krieges, der kein „zwischenstaatlicher Krieg“ mehr sei und die bislang auf Kolonialkriege beschränkten Enthegungen überall auf der Welt zur Regel mache. Hier wird die Aufhebung aller Konventionen als Rechtsverwirklichung gegen einen unmenschlichen Feind begriffen. Dass die deutsche Wehrmacht im Osten einen enthegten Vernichtungskrieg gegen „Untermenschen“ geführt hat, verschweigt Schmitt geflissentlich, doch trifft sein Argument dennoch: Nur wenn der Feind böse ist, unmenschlich und ungerecht, ist der Einsatz totaler Waffen gerecht, zu denen Schmitt in einer Notiz vom 22. Juli 1948 auch all die „anderen bakteriologischen, biologischen, geniziden und ähnlichen hochwissenschaftlichen, hochfortschrittlichen und hochmodernen Mittel“ zählt.

Zugleich sagt Schmitt einen globalen Kampf der Zivilisationen voraus, in dem die Kontrahenten sich wechselseitig zu Unmenschen erklären und auszurotten trachten. „Menschen mit einem Kreuz als Abzeichen töten Menschen, die einen Halbmond als Abzeichen tragen.“ Der „Feind muss dann einfach als Tier behandelt werden“, er ist das Ziel eines „Vernichtungskrieges“ aus dem Konflikt zwischen „ungläubigen Hunden“ und den „rats of terror“. Die Videos von Enthauptungen amerikanischer Geiseln und Bilder unsäglicher Erniedrigungen irakischer Gefangener belegen, was „Enthegung des Krieges“ meint.

Hier liegt überhaupt die neue Dimension der militärischen Konflikte. Van Creveld hat in „Die Zukunft des Krieges“ (1991/1998) behauptet, es gebe zwar überlegene Atommächte, doch sei eine nukleare Kriegsführung praktisch unmöglich. Deshalb könne jeder Krieg einer Supermacht notwendig nur ein asymmetrischer Krieg sein, der der starken Partei die Wahl lasse zwischen einer „raschen, brutalen Lösung“ mit überlegenen Mitteln oder einem unabsehbaren „low intensity conflict“ zu den Bedingungen der Kräfte vor Ort. Die schwächeren Kräfte werden nicht mit Panzerstreitkräften oder Schlachtschiffen operieren, sondern mit Überfällen, Anschlägen, Entführungen, Sabotage. Wer sich also im Fall von Afghanistan oder dem Irak scheut, den ganzen rogue state in die Steinzeit zu bomben, muss sich auf Partisanenbekämpfung einlassen.

Dieser Verzicht auf „totale Waffen“ führt aber nicht zum Frieden, sondern tiefer in den Nicht-Krieg. Van Creveld ist überzeugt, dass eine reguläre Truppe im Kampf gegen einen schwächeren Feind notwendig „Verbrechen begehen“ werde, da der Partisan mit allen Mitteln vorgehe und die Truppe auf lange Sicht zu einem ebensolchen Vorgehen zwinge. Folter, Hinrichtungen, Massaker, Vergeltungsaktionen jeder Art seien erwartbar. In Vietnam und nun auch im Irak habe sich gezeigt, dass auch eine hochdisziplinierte Armee die „Trennlinie“ zwischen regulärem Krieg und irregulärem Kampf überschreite und aufhöre, „im Einklang mit vorgeschriebenen Regeln“ zu töten; Soldaten würden so zu Mördern.

Die Asymmetrie führt zur Enthegung. Beide Seiten greifen zu allen Mitteln des fessellosen Krieges. Man wird sich darauf einzustellen haben, dass die Attentate von New York, Madrid und London oder Vorfälle wie die von Abu Ghraib, Haditha und Ishaki nicht als ausnahmsweise Normverletzungen zu verstehen sind, sondern als erwartbare Effekte eines ungehegten Konflikts, den Schmitt „Weltbürgerkrieg“ genannt hat. Die Konsequenzen sind epochal, denn der Wandel in der Kriegsführung reißt eine Fülle basaler Unterscheidungen ein, die unsere Gesellschaft bislang ausgemacht haben: Die Differenzen von Krieg und Aufstandsbekämpfung, von Polizei und Armee, von Innen- und Außenpolitik, von Feind und Verbrecher, von Normalfall und Ausnahmezustand, ja die Unterscheidbarkeit von Krieg und Frieden geht verloren.

Schmitt und van Creveld sind sich einig darin, dass Nicht-Kriege nicht nur erwartbar zu Gräueltaten, Verbrechen an der Zivilbevölkerung, Terroranschlägen und Massakern führen, sondern die Parteien ihrer Orientierung am Friedensschluss berauben. Friede wird es nur als Friedhofsruhe geben. Wenn es nur noch die Wahl gibt zwischen einem „global war on terrorism“ und einem „global jihad“, hätte Schmitts „dritter Weltkrieg“ tatsächlich begonnen als zeitlich unbegrenzter, räumlich grenzenloser Nicht-Krieg.

Niemand mag sich noch darauf verlassen, dass Warlords, Terrornetzwerke, Aufständische, Guerilla, Schwadrone oder Spezialkräfte so feinsinnig wie Völkerrechtler und Außenpolitiker zwischen friedenserhaltenden und friedenserzwingenden Maßnahmen, humanitären Interventionen, Stabilisierungsoperationen, Nationbuilding oder Kampfeinsätzen unterscheiden. Sonst würde man nicht darüber diskutieren, unter welchen Umständen Passagierflugzeuge abzuschießen, Präventivschläge zu legitimieren oder Terrorverdächtige zu foltern wären. Die US-Armee stellt ihre Strategie gerade auf „globale Aufstandsbekämpfung“ gegen Partisanen, Guerilla, Aufständische oder Terroristen um. Und US-Justizminister Alberto Gonzales arbeitet intensiv an Möglichkeiten der Umgehung der Genfer Konventionen und der Befreiung der präsidialen Exekutive von „idyllischen“ und „obsoleten“ völkerrechtlichen Restriktionen. Der Nicht-Krieg wird zum Normalfall.