UN-STUDIE ZEIGT: WACHSTUM IST SCHLIMMER ALS SCHRUMPFUNG
: Das demografische Luxusproblem

Gäbe es eine Hitliste der meistverdrängten Probleme, dann müsste das globale Bevölkerungswachstum an erster Stelle stehen. Während hierzulande über einen angeblichen Mangel an Kindern debattiert wird, haben die Vereinten Nationen ihre Prognose für das Wachstum der Weltbevölkerung nach zwischenzeitlicher Entwarnung wieder nach oben korrigiert. Statt jetzt 6,6 Milliarden Menschen sollen im Jahr 2050 demnach 9,2 Milliarden Menschen auf der Erde leben – mit entsprechend negativen Folgen für den Lebensstandard gerade in den ärmsten Ländern, aber auch für globale Probleme wie Umweltverschmutzung und Klimawandel.

Solche Zahlen zeigen, wie provinziell die deutsche Demografiedebatte ist. In globalem Maßstab kann keineswegs die Rede davon sein, dass es zu wenig Kinder gäbe. Es sind aus Sicht der Kulturpessimisten allenfalls die falschen – zu viele Einwanderer, zu viele Hartz-IV-Empfänger, zu wenig einheimische weiße Mittelschicht. Das Argument hat etwas Diskriminierendes, wenn nicht gar Rassistisches. Erstaunlich umstandslos wurde auf der Nordhalbkugel die alte Klage über die Bevölkerungsexplosion von der neuen Klage über den Bevölkerungsrückgang abgelöst. Das lässt sich nur mit der Reaktivierung uralter kultureller Deutungsmuster erklären, der Angst vor vermeintlicher Überfremdung durch eine dunkelhäutige Bevölkerungsmehrheit.

Dabei sind rückläufige Geburtenraten fast überall die Folge eines überaus erfreulichen materiellen Wohlstands – auch in den Vereinigten Staaten, deren hohe Geburtenrate zu einem großen Teil den armen Einwanderern aus dem Süden zuzuschreiben ist. Gewiss schafft der demografische Umbruch auch Schwierigkeiten. Dabei geht es aber nicht um Wurfprämien oder moralische Appelle an die Zeugungs- und Gebärfreude, sondern um Integration – von Zuwanderern und Unterschichten im rückständigen deutschen Bildungssystem, von älteren Menschen auf einem ebenfalls sehr anachronistisch strukturierten Arbeitsmarkt. Das alles erfordert weit größere Anstrengungen als lange gedacht – Anstrengungen, für die der reiche Norden aber weit besser gerüstet ist als jede andere Weltregion. RALPH BOLLMANN