Kündigung der Verkündigung

Entweder jede Religion sollte das Recht auf eine Fernsehsendung haben – oder keine DAS SCHLAGLOCH von HILAL SEZGIN

Hilal Sezgin lebt als freie Publizistin in Barnstedt.

Das Wort zum Sonntag ist im allgemeinen kein Thema, geschweige denn eine Sendung, die größere Mengen von Libido bei mir freisetzt. Geht vermutlich vielen so. Sogar wenn man in der Kirche ganz gern den Ausführungen des jeweiligen Pfarrers oder der Pfarrerin folgt.

Das Wort zum Sonntag ist etwas anderes. Ich weiß nicht, wo sie die dort eingesetzten Prediger herhaben und ob es wirklich auf alle zutrifft – aber immer, wenn ich einschalte, erwartet mich ein Sermon der ganz biederen Art, mit den Rhetorikkniffs der Siebzigerjahre „aufgepeppt“.

Diese Redekunst hat allerdings einiges an Zugkraft verloren. Die Anschaulichkeit der allzu konkreten Beispiele, mit denen das womöglich als begriffstutzig eingeschätzte Fernsehpublikum im Glauben gestärkt werden soll, ist eben nichts im Vergleich zu den prallen alttestamentarischen Bildern. Und so erfüllt das Wort zum Sonntag bei der ARD für die meisten Zuschauer die Funktion der Werbepause bei den Privaten: Zeit, noch mal aufs Klo zu gehen und sich ein kühles Getränk zu holen.

Was für entsetzlich unhöfliche Dinge ich da gerade geschrieben habe! Aber es kommt einfach daher, dass ich in den letzten Wochen zu genau verfolgt habe, wie die Chefs der Öffentlich-Rechtlichen auf die Idee des ZDFs reagierten, ein „Wort zum Freitag“ einzuführen. Der angeblich von allen Seiten begrüßte, aber tatsächlich doch stinkend faule Kompromiss scheint inzwischen zu sein, dass es zwar kein muslimisches Fernseh-Wort, aber doch immerhin ein Internet-Forum geben wird, irgendwann ab dem Sommer. Jetzt hat der SWR angekündigt, ein solches Forum schon in fünf, sechs Wochen bereitzustellen – möglicherweise aus Scham über die Unsäglichkeit der bisherigen Debatte.

Da hat der Intendant des MDR, Udo Reiter, etwa gesagt, das „exklusive Verkündigungsrecht“ der Kirchen dürfe nicht relativiert werden. Trotz aller Globalisierung gehöre Deutschland zur christlich-abendländischen Welt. Der Intendant des Deutschlandradios, Ernst Elitz, erklärte, den christlichen Kirchen gebühre bei Information und Verkündigung eine Vorrangstellung. Das Christentum sei Fundament europäischer und damit auch deutscher Kultur.

Laut der Evangelischen Presseagentur wandte sich Elitz auch gegen den Vorschlag des Vizepräsidenten des Zentralrats der Juden, Salomon Korn, der ein Wort zum Wochenende gefordert hatte, an dem sich alle Religionsgemeinschaften beteiligen könnten. Ein solches „Wort zur Woche“, bei dem „heute der Herr Jesus, morgen der Prophet Mohammed und übermorgen Siddharta, der Erleuchtete, vorsprechen“, wirkte nach Elitz’s Ansicht, „als wären sie bei einem multikulturellen Kaffeekränzchen zu Gast“. – So sprechen Männer, denen wir die Verantwortung für den Informations- und Bildungsauftrag unserer Sendeanstalten übertragen haben!

Hier geht es nicht um 5 Minuten, sondern das Selbstverständnis staatlich subventionierter Öffentlichkeit

Nun, erstens kann man das alleinige „Verkündigungsrecht“ der christlichen Kirchen, von dem die meisten Bürger und Rundfunkgebührenzahler erst bei dieser Gelegenheit staunend erfahren haben dürften, sehr wohl bestreiten. Wenn inzwischen so viele Muslime hier leben, dass ein Extrafünfminüter pro Woche notwendig scheint, um jene „Vollversorgung“ zu gewährleisten, zu der die Öffentlich-Rechtlichen gesetzlich verpflichtet sind, dann sei es so.

Warum die zitierten Äußerungen aber, zweitens, so empörend sind, liegt weniger darin, dass die Migrationsgeschichte der letzten 45 Jahre mal wieder übergangen wird, sondern gewisse Ereignisse wenige Jahre davor von den Elitzen und Reiters unserer Medienchefetagen ebenfalls unterschlagen wurden. Nein, Deutschland ist nämlich kein primär christliches Land. Es hat keine christliche, sondern eine jüdisch-christliche Tradition, und Jahrhunderte jüdischer und christlicher Geistesarbeit haben die Kultur der hiesigen Einheimischen aufgebaut.

Bloß waren nach dem Nationalsozialismus natürlich nicht mehr genug jüdische Juristen am Leben, um bei der Formulierung des Grundgesetzes mitarbeiten und auch ein jüdisches Hausrecht darin verankern zu können. Kein Grund für die Kirchenfunker, zu triumphieren. Wenn diese erst jetzt, mehr als 60 Jahre später – und nur, weil eine andere Religionsgemeinschaft inzwischen so stark gewachsen ist, dass man sie nicht mehr übersehen kann – gnädigerweise eine Internetplattform zum Sabbat in Erwägung ziehen, hallt da die Logik der Bereicherung an jüdischem Eigentum nach: Tja, wenn der einstige Eigentümer sich partout nicht meldet, darf ich die Möbel / die Villa / die fünf Minuten ja wohl behalten!

Warum dieser „Diebstahl“ erst heute Thema geworden ist? Nun, vermutlich hat uns Nichtchristen das Wort zum Sonntag bisher nicht weiter gestört. Es leben so viele unterschiedliche Menschen in diesem Land, das funktioniert am besten per „leben und leben lassen“. Wenn man jetzt aber erfährt, was für ein ideologischer Ballast die ganze Zeit mitgeschleppt wurde, wenn man merkt, dass es sich gar nicht um das völlig legitime berufliche Engagement der Kirchenfunkredakteure, sondern um gesellschaftspolitische Einstellungen von beträchtlicher Relevanz handelt, nämlich zum Primat des christlichen Glaubens – da wird die Sache unerwartet brisant. Hier werden nicht fünf Minuten verhandelt, sondern das Selbstverständnis der deutschen, staatlich subventionierten Öffentlichkeit im Verhältnis zur Religion.

Ganz ungeniert haben Reiter und Elitz die Vorrangstellung der katholischen und evangelischen Kirchen in die Debatte eingeführt. Doch in einer Gesellschaft, die per Verfassung liberal und plural angelegt ist, kann die schlichte faktische Vorherrschaft einer Mehrheit kein gültiges Argument sein. Die Konsequenz: Entweder es darf jede Religionsgemeinschaft ins Fernsehen – oder gar keine.

Stellt endlich mehr Muslime fest ein bei den Sendern – und auch bei den Zeitungen

Das heuchlerische ZDF-Argument übrigens, mangels einer muslimischen Dachorganisation und wegen irgendwelcher Drittsenderechtsregelungen müsse auch das Wort zum Freitag organisatorisch von einer christlichen Redaktion betreut werden, kann man ganz leicht mit einem Gegenvorschlag erwidern: Stellt endlich mehr Muslime fest ein bei den Sendern – und auch bei den Zeitungen. Dem Blick muslimischer Kollegen standhalten oder sich ihrer Kritik zumindest regelmäßig aussetzen zu müssen, diese Herausforderung würde ohnehin so mancher Sendung guttun.

Was für eine Chance zur inhaltlichen Auseinandersetzung, zur lebendigen religiösen Weiterbildung böte das Einräumen solcher fünf Minuten an eine religiöse Minderheit wie den Islam, dessen Angehörige in Deutschland, durchaus auch aus eigener Schuld, noch über kein auflagenstarkes niveauvolles Medium, sondern nur über eine Handvoll türkischer Varianten der Bild-Zeitung verfügen. Insofern ist auch die Internetplattform, wenngleich ein Verstoß gegen die Gleichbehandlung, dennoch eine Gelegenheit zum Austausch – aber nicht ÜBER den Islam, sondern UNTER Muslimen. IN der deutschen Öffentlichkeit.