Paulus aus dem Präsidium

Steffen Kubald, Ex-Hooligan und Chef des 1. FC Lok Leipzig, wehrt sich gegen die Vereinnahmung des Klubs durch die Randalierer-Szene. Die schlägt nun systematisch zurück gegen den „Verräter“

VON MARKUS VÖLKER

Steffen Kubald ist ein Mann mit Durchschlagskraft. Bis 1992 war er in der Hooligan-Szene aktiv und hat so manchen Gegner „umgehauen“. Kubalds letztes Opfer ging 1992 zu Boden. Der bullige Kämpfer hatte nach dem Relegationsspiel seiner Leipziger gegen 1860 München zugeschlagen. Heute ist Kubald Präsident des 1. FC Lokomotive Leipzig, für den er einst die Fäuste sprechen ließ. Manchmal wird er sentimental und blickt zurück auf die wilden Zeiten. „Ich habe mich schon mal mit Polizisten gerangelt, aber wir haben nie mit Steinen auf die Beamten geworfen“, verriet er unlängst. „Heute habe ich vieles verdrängt. Aber Joschka Fischer hat früher auch Steine geworfen und wurde ein guter Außenminister.“

Kubald versucht, ein guter Vereinsminister zu sein. Das ist gar nicht so einfach, denn die Hooligans sind Lok Leipzig treu geblieben. Die gewaltbereiten Fans, die der Klub auf seiner Homepage „Chaoten“ nennt, machen Randale, zuletzt am 10. Februar im Pokalspiel gegen die zweite Mannschaft von Erzgebirge Aue. Oder sie schlagen im Spiel gegen Frisch Auf Wurzen zu, als die Lage ähnlich eskalierte; am 26. November 2005 war das. Manchmal demonstrieren die Hooligans und Ultras des 1. FC Lokomotive Leipzig still ihre Gesinnung und bilden auf den Rängen ein Hakenkreuz aus Leibern, wie in einem A-Jugendspiel Loks gegen den Erzrivalen Sachsen Leipzig geschehen.

Nach der Schlacht gegen Aue machten die Bilder von den Schlägern die Runde. Jeder konnte die vermummten Kapuzenmenschen im Fernsehen anschauen, wie sie Rauchbomben und Raketen zündeten und mit Pflastersteinen auf Polizisten warfen. Auch die Polizei hat Fotos von der Schlacht geschossen, bei der 39 Polizisten verletzt wurden. Kubald, der ehemalige Hooligan, hat sie sich auf dem Präsidium angeschaut und Personen, vielleicht sogar Bekannte identifiziert. Auf der Homepage des Klubs stehen immer noch Fotos, allerdings sehr unscharfe Schnappschüsse – mit der Bitte um Identifizierung. Wer so etwas macht, ist in den Augen der Fußballfighter ein Überläufer, ein Kollaborateur.

Kubald hat anfangs versucht zu beschwichtigen. Er sagte, dass sie ja schon zu DDR-Zeiten „Juden Aue!“ gerufen und wilde Jagden auf die verhassten Gegner veranstaltet hätten, doch nach dem öffentlichen Aufruhr, nach der großflächigen Empörung ging das nicht mehr. Kubald musste sich in einen Anzug zwingen und zum Krisengipfel des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) nach Frankfurt am Main fahren. Da stand der stiernackige Lokführer dann neben DFB-Präsident Theo Zwanziger und versprach Besserung. Die alten Hooligans sahen darin einen zweiten Verrat „an der Sache“. Vor allem die Gruppierung „Blue Caps“ rebellierte. Die Schläger beanspruchen die Hoheit über die Ränge, pochen auf das Gewohnheitsrecht der harten Hand.

Lok betrieb derweil offensives Krisenmanagement, kündigte an, künftig Stadionverbote auszusprechen, den Ordnungsdienst an die Kandare zu nehmen, und verlas die üblichen Absichtserklärungen. Am Wochenende wurde es den Alt-Hools offenbar zu viel. Eine Außenwand am Bruno-Plache-Stadion wurde beschmiert mit Hetzparolen gegen den Präsidenten. „Kubald Verrätersau“ stand da, daneben ein Davidstern. Und: „Kubald Rücktritt jetzt“, versehen mit Davidstern und Hakenkreuz. Die Pfosten im Stadion wurden rosa angemalt, mit jener Farbe, die der Verunglimpfung von Schwulen gilt. Die „Blue Caps“ haben die Botschaften augenscheinlich hinterlassen, denn sie verzichteten nicht auf ihre Unterschrift: „Wir bauten den Verein auf, Hooligans Blue Caps L.E.“

Nicht nur die alten Kombattanten versuchen, Lok Leipzig zu instrumentalisieren, auch die NPD hat ihre Fühler nach dem Klub ausgestreckt. Am Montag ging bei Lok ein Anruf der Partei ein. Man wolle sich am Freitag in der Sitzung des sächsischen Landtags in der Debatte „Sport und Gewalt vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse“ auf Lok Leipzig beziehen, kündigte die NPD an. Kubald ließ eilig eine Pressemitteilung verschicken, mittlerweile gereift im tagtäglichen Krisenmanagement: „Der 1. FC Lokomotive Leipzig e. V. stellt hiermit fest, dass er sich von dieser Partei aufs Schärfste distanziert und die überwältigende Mehrheit der Mitglieder, Sponsoren und Freunde dies voll und ganz unterstützen“, heißt es da.

Sieben Hausverbote hat Lok bisher erteilt, doch das Gros der Gewalttätigen kommt nach wie vor ins Stadion. Daran ist auch die Exekutive schuld, die, wie die Frankfurter Allgemeine Zeitung herausgefunden hat, nach den schweren Krawallen in Wurzen nur einen einzigen Täter verurteilt hat – von mutmaßlich 39 Delinquenten. Auch das „menschliche Hakenkreuz“ führte zu keinen Verurteilungen. „Wir haben diese Ermittlungsverfahren einstellen müssen, da im Ergebnis den Tatverdächtigen nicht nachzuweisen war, dass sie hier tatsächlich ein Hakenkreuz durch die Anordnung ihrer Körper dargestellt haben. Darüber hinaus konnten wir nicht feststellen, wer der Initiator der Sache war“, sagte Staatsanwalt Ricardo Schulz in der FAZ.

Kubald ist früher auch glimpflich davongekommen. Einmal saß er 24 Stunden in U-Haft. Ein paar Geldstrafen musste er zahlen. Seit damals scheint sich nicht viel geändert zu haben.