Der Trend geht zur Einheitsschule

Auch beim DGB-Kongress wird die Schule für alle gefordert – aber ohne Privatisierung

BERLIN taz ■ Die Kinder heutiger Hauptschüler werden die Schule ihrer Eltern womöglich bald nur noch beim gemeinsamen Geschichtsprojekt mit Akademikerkindern kennenlernen. Denn die meisten Experten sind sich einig: Die kriselnde Resteschule hat keine Zukunft mehr.

Nachdem schon der „Aktionsrat Bildung“ und eine Bildungsstudie von Focus und Microsoft die Abschaffung der Hauptschule forderten, stimmte gestern auch der DGB in den Abgesang ein. Auf dem Europäischen Sozialstaatskongress in Berlin plädierte die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock (CDU) außerdem für eine Ganztagsschule. Nur mit der notwendigen Zeit zur individuellen Förderung könne man auch Jugendlichen aus bildungsfernen Schichten helfen, ihre eigenen Kompetenzen zu entdecken.

Die vom „Aktionsrat Bildung“ geforderte Privatisierung von Schulen könne dabei aber laut Ute Erdsiek-Rave (SPD) nicht die Antwort sein. Die Bildungsministerin Schleswig-Holsteins, wo zum Schuljahr 2010/11 Haupt- und Realschulen zu Regionalschulen zusammengelegt werden sollen, betonte den Bildungsauftrag von Kindergärten und Krippen. Sie seien nicht nur Betreuungseinrichtungen, sondern die ersten Stationen auf dem Bildungsweg eines Kindes.

Der Bildungsforscher Klaus Klemm stellt dem deutschen Bildungssystem derweil ein schlechtes Zeugnis aus. Die vielen Entscheidungsmöglichkeiten würden die Ungleichheit immer weiter verstärken: „Man muss die Weichenstellungen zumindest in der Zahl verringern. Aber in Deutschland ist es schon schwierig, den kleineren Schritt zur Zweigliedrigkeit hinzukriegen,“ so Klemm.

Auch Alexander Dzembritzki, Leiter der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln, sieht die Zukunft in einem eingliedrigen Schulsystem, fordert aber konkrete Konzepte und mehr gesellschaftliche Anerkennung: „Heute muss man sich noch rechtfertigen, wenn man an einer Gesamtschule Abitur gemacht hat.“ Wie man antriebslosen Schülern neue Perspektiven aufzeigen kann, beweist er derzeit ausgerechnet an der Schule, dessen Kollegium Ende März 2006 vor seinen eigenen Schülern kapituliert hatte. Damals scheiterte die Kommunikation mit den Eltern schon an der Sprachbarriere. Heute hat die Schule zwei türkisch- und arabischsprachige Mediatoren, die bei Elternabenden und -gesprächen übersetzen. Durch die Gründung von Schülerfirmen, die zum Beispiel eigene Schul-T-Shirts herstellen, sollen die Schüler zusätzlich motiviert werden.

Finnische Schulen gehen da noch einen Schritt weiter. An den dortigen Gesamtschulen werden die Migranten auch in ihrer Muttersprache unterrichtet. Außerdem hat man laut Jari-Pekka Jyrkänne vom Finnischen Gewerkschaftsbund SAK bewusst verhindert, dass sich Schulen unterschiedliche Profile zulegen, um die soziale Selektion von vornherein auszuschließen.

MARTIN MÜLLER