„Wir müssen bereit sein“

In Darfur sind Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen und Vergewaltigungen an der Tagesordnung. Was nottut, ist vor allem politischer Druck auf den Sudan – doch dazu fehlt es an Entschlossenheit, so Gerhart Baum

GERHART BAUM, 74, war als UNO-Beauftragter für die Menschenrechte im Sudan tätig. In den 90er-Jahren war er Leiter der deutschen Delegation bei der UNO-Menschenrechtskommission. Er ist Mitglied der FDP, war von 1972 bis 1994 Mitglied des Bundestages und von 1978 bis 1982 Bundesinnenminister in der sozialliberalen Regierung von Helmut Schmidt. Er zählt zum Bürgerrechtsflügel der Liberalen.

taz: Herr Baum, seit vier Jahren herrscht Krieg in Darfur. Warum wird auf internationaler Ebene immer noch nichts dagegen getan?

Gerhart Baum: Es geschieht nichts, weil die Völkergemeinschaft keinen ernsthaften gemeinschaftlichen Willen zeigt. Auch Europa ist nicht einig und ermöglicht dem Regime immer neue Spielräume. Ein neues Problem ist die Rolle Chinas, die Konflikte um Iran und Irak und die Einbindung des Darfur-Konflikts in die internationalen Zusammenhänge. Die Lage in Darfur ist unverändert: schwere Kriegsverbrechen, Menschenrechtsverletzungen, Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht, systematische Vergewaltigungen.

Was sollte geschehen?

Die Ziele internationalen Handelns müssen jetzt sein: Schutz der Flüchtlinge und Zugang für die Hilfswerke. Das heißt, dass eine Schutztruppe entsandt wird, dass die Resolution des UN-Sicherheitsrats umgesetzt und der Widerstand des Regimes dagegen überwunden wird. Zweitens muss es wirkliche Friedensverhandlungen für Darfur geben mit echtem Interessenausgleich der Parteien, gut vorbereitet in einem Basisdialog so wie früher beim Friedensprozess für Südsudan. Der Schlüssel dazu ist, dass der internationale Druck auf Sudans Regierung steigt. Das geht nur, wenn die internationale Gemeinschaft so einig ist wie im Falle Nordkorea. Das ist bisher nicht erreicht.

Sehen Sie Bereitschaft zum Handeln auf deutscher Seite?

Ich erwarte, dass die EU unter deutscher Ratspräsidentschaft im Sicherheitsrat neue Initiativen unternimmt. Die EU analysiert richtig, aber unternimmt keine Initiativen. Deutschland hat immer eine Vorreiterrolle eingenommen in Sachen Darfur. Die muss jetzt wieder sichtbar werden.

Ist die große Koalition unter Angela Merkel genauso engagiert wie früher die rot-grüne Regierung?

Es sieht so aus. Ich finde wunderbar, was der SPD-Fraktionsvorsitzende Peter Struck gesagt hat – nämlich dass bei entsprechender Anfrage auch die Bundeswehr eingreifen sollte. Dazu müssen wir bereit sein. Das ist ja kein Angriffskrieg, das wäre der Schutz der Flüchtlingslager! Der Prüfstein ist jetzt die deutsche EU-Ratspräsidentschaft und der G-8-Gipfel. Diese Prüfung hat die Bundesregierung noch nicht bestanden.

Was sollte Deutschland in diesem Zusammenhang ganz konkret machen?

Das Wichtigste ist der allgemeine politische Druck auf Khartum. Dann Einzelmaßnahmen: Im Casese-Bericht der internationalen Untersuchungskommission zu den Verbrechen in Darfur 2005 wurde ein Entschädigungsfonds vorgeschlagen für die Kriegsopfer in Darfur, in den Teile von Sudans Öleinnahmen geleitet werden sollte. Das liegt auf dem Tisch des Sicherheitsrats. Dann ein Waffenembargo und ein Flugverbot über Darfur, wo ja Luftangriffe des sudanesischen Militärs weitergehen. Das Europaparlament fordert jetzt wieder Kontrollen des Luftraums. Und gezielte Sanktionen gegen Einzelpersonen – die liegen auch auf dem Tisch des Sicherheitsrats. Immerhin hat der Internationale Strafgerichtshof mit Ermittlungen begonnen.

Nun ist im Sicherheitsrat keine Einigung über solche Maßnahmen zu erwarten …

Da muss man sich bemühen, verdammt noch mal! Wer hätte geglaubt, dass der Strafgerichtshof je ein Sicherheitsratsmandat für Darfur bekommen würde, mit Enthaltung der USA und Chinas? Entweder man engagiert sich endlich oder man hört mit dieser Betroffenheitsrhetorik auf. Seit Jahren höre ich: Ruanda darf sich nicht wiederholen. Da sage ich nur: ja und?

Warum sollte Sudans Regime seine Politik in Darfur ändern, bloß weil es Sanktionen gibt?

Weil es Schaden nimmt, als Regime und als einzelne Personen. Schon dass zwei Leute vor dem Strafgerichtshof angeklagt werden könnten, hat eine große Signalwirkung.

Sehen Sie innenpolitische Bewegung in Khartum?

Das ist ganz schwierig. Die Opposition ist schwach. Der autonome Südsudan ist eine neue Komponente. Die Wahlen 2008 könnten etwas bewirken. Aber das Regime sitzt fest im Sattel. Die Präsidenten von Iran und China waren gerade da, das Land boomt.

Wieso verursacht die atomare Aufrüstung im Iran und Nordkorea mehr internationale Aufregung als der Tod hunderttausender Menschen in Darfur?

Das frage ich mich auch. Einmal geht es um künftige atomare Bedrohungen, in Darfur sind es aktuell leidende Menschen. Beides muss gleiches Gewicht haben.

Hat die internationale Untätigkeit vielleicht auch etwas damit zu tun, dass man irgendwie weiß, dass man wenig bewirken kann?

Dann sollte man aufhören mit diesen ständigen Resolutionen. Die tragen den Charakter ohnmächtiger Hilflosigkeit.

INTERVIEW: DOMINIC JOHNSON