Ruhelos in Santiago

Der wunderschöne chilenische Film „Play“ beschnuppert die Stadt und durchstreift unterschiedlichste Beziehungen

Ganz leicht und unaufdringlich erzählt Alicia Scherson in ihrem vielfach ausgezeichneten Regiedebüt von einem Sommer in Santiago: Cristina (Viviana Herrera), ein junges Mapuche-Mädchen aus dem armen Süden des Landes, arbeitet in der Stadt als Krankenpflegerin. Sie kümmert sich um den schwerkranken Don Milo, einen glatzköpfigen Ungarn aus der Oberschicht, der nicht mehr sprechen kann. Meist liest sie ihm Artikel aus der Zeitschrift National Geographic vor. In ihrer Freizeit macht sie Spaziergänge oder spielt „Streetfighter II“ in einer Spielhalle. Sie raucht gerne, auf eine sehr ernste, konzentrierte Art. Beim Rauchen ist sie für sich und blickt gedankenverloren dem Rauch hinterher.

Cristina ist fremd in der Stadt und beobachtet die anderen. Aus dem Fenster der Wohnung Don Milos oder wenn sie – mit großen Kopfhörern auf den Ohren –, immer etwas langsam, zögernd, spazieren geht. Sie spricht Manuel (Juan Pablo Quezada) an, einen jungen Gärtner. Manuel kommt aus einer anderen armen Gegend. Und versteht nicht, weshalb sie aus dem schönen Süden, in den die Leute im Sommer so gern fahren, nach Santiago gekommen ist. Wo sie herkomme, röchen die Menschen nach Armut, abgestanden irgendwie. Die Leute in Santiago röchen anders. Wie er rieche? – Nach Santiago: Sahne, Seife, Deodorant, ein bisschen Auto, sagt sie, nachdem sie an seinem Hals geschnuppert hat. Kurz küssen sie sich. Dann läuft sie schnell wieder weg.

In einer Mülltonne findet Cristina eine Aktentasche. Sie gehört Tristan, einem jungen Architekten aus der Oberschicht, der gerade von seiner ehrgeizigen Freundin verlassen worden ist. Cristina verfolgt Tristan, der ruhelos durch Santiago streift. Seine Verlorenheit zieht sie an. Bei seiner blinden Mutter trifft der mädchenhafte, zögerliche Tristan auf den neuen Liebhaber seiner Mutter, einen virilen Magier. Später geht er eine Nacht lang trinken und spricht mit anderen Gestrandeten. Am Morgen versucht er, sich das Leben zu nehmen. Cristina findet ihn.

„Play“ ist ein wunderschöner, melodiöser, ernsthaft verträumter, mit kleinen Jumpcuts gespickter Stadtfilm, der bis in die vielen kleinen, teils seltsamen, teils slapstickhaften Details berührt. Ein Film über Fremdheit, Neugierde und Sehnsucht, ein zärtlicher Film, der von ganz unterschiedlichen Lieben und Hoffnungen handelt. Sehr präzise und mit einem seltenen Respekt vor jeder seiner Figuren geht es diesem Film nicht um Beziehungsmuster, sondern um unterschiedliche Näheverhältnisse und Beziehungen: die wortlose zwischen Krankenschwester und sterbendem Patienten, die fast geschwisterliche zwischen Gärtner und Pflegerin, die zweckdienliche zwischen Mutter und Liebhaber. Und um die bewundernd-bedürftige, aber auch wegen der Klassensituation unmögliche Liebe zwischen Cristina und Tristan, die Alicia Scherson gerade dadurch respektiert, dass sie sie nicht ausführt. Ein selten schöner Sommerfilm, der einen ganz komisch wehmütig stimmt. DETLEF KUHLBRODT

„Play“. Regie: Alicia Scherson. Mit Viviana Herrera, Andres Ulloa, Aline Küppenheim. Chile 2005, 105 Min. Läuft in: Central, fsk, Kino am Hackeschen Markt