Erwartungserfüllungsfest

Es ist der Autor, Dummkopf! Eindrücke vom großen Lesungsmarathon der Lit.Cologne in Köln. Silke Scheuermann, Jonathan Franzen, Andres Veiel, Clemens Meyer und viele andere waren da

Julia Franck zeigte, wie schwer Schriftstellerei und Mutterrolle zusammengehen: Das Honorar geht für Kinderbetreuung drauf

VON CHRISTIAN WERTHSCHULTE

Ein bisschen Nostalgie schleicht sich ein, wenn man diese Woche den Lesungen auf dem Kölner Literaturfestival Lit.Cologne beiwohnte. Neulich noch, zu Hochzeiten der Postmoderne, wurden Autoren gerne mal literarisch ermordet, um schließlich den Plot mit der Suche nach ihnen zu füllen. In Köln ist davon wenig zu spüren. Die Lit.Cologne ist das Festival, das endgültig klargemacht hat, wie sehr die Autoren wieder im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. Das macht auch die bundesweite Bedeutung dieses Lesungsmarathons aus. Die Namen der Autoren dominieren Berichterstattung und Werbung, die Texte kommen erst in zweiter Linie. Immerhin gilt es positiv festzuhalten, dass die Publikumsgunst nicht immer den Umweg über die Verkaufszahlen nimmt.

„Eigentlich fand ich alle drei sehr sympathisch“, bemerkte eine Frau nach der Lesung der JungautorInnen Silke Scheuermann, Gregor Sander und Harriet Köhler, die am Donnerstag im Alten Pfandhaus in der Kölner Südstadt ihre Romandebüts über den „Familienwahn“ vorstellten. Passend zum Thema des Abends saß man eng aneinander im Halbrund des Lesesaals, der an einen römischen Zirkus erinnert, und verfolgte die Innenperspektiven der Erzählstimmen zum Thema Familie.

„Die deutsche Literatur entdeckt die großen Themen, auch die Familie“, hatte eine Sprecherin des Festivals schon zu Beginn erklärt, und die drei JungschriftstellerInnen wirkten dieser Setzung gegenüber nicht abgeneigt. Doch so ganz wollten sie sich dann doch nicht über einen Kamm scheren lassen. Nur Harriet Köhler plauderte freimütig darüber, dass sie sich in der Nähe ihres Bruders nicht verstellen müsse, sondern so sein könne, „wie ich bin“. „Familie kennt halt jeder“, kommentierte Gregor Sander lakonisch seinen Roman „abwesend“, „außerdem gibt es das Thema seit Jahrhunderten.“ Silke Scheuermann führte lieber gleich Francis Bacon als Inspiration für „Die Stunde zwischen Hund und Wolf“ an. Trotzdem ließ sich eine Spur Autobiografisches nicht vermeiden, selbst wenn es der Eloquenz von Moderator Georg M. Oswald bedurfte, um sie herauszukitzeln: „Meine Mutter beschwert sich, wenn zu viel Sex vorkommt.“

Bei Jonathan Franzen beschweren sich stattdessen die Brüder. Angeblich hat Franzen, dessen Buch „Korrekturen“ als eine Wiederkehr des Familienromans gefeiert wurde, in seinem neuen Essayband „Die Unruhezone“ Details über seine Geschwister verraten, die diese lieber vor den Nachbarn geheim gehalten hätten. So viel Indiskretion wird belohnt. Über tausend ZuhörerInnen fand am Dienstagabend seine Lesung in der ausverkauften Oper – „die größte Menge, bei der ich je war auf der Bühne“, wie Franzen in fast akzentfreiem Deutsch bemerkte.

So viel Andrang hätten sich Iris Radisch und Julia Franck am gleichen Abend auf den harten Holzbänken der Kulturkirche in Nippes auch gewünscht. Ob es an der übermächtigen Konkurrenz oder an den allgemeinen Ermüdungserscheinungen lag, die sich so langsam bei „Frauen, Kinder und Karriere“ zeigen, wie Moderatorin Ferdos Forudastan vermutete, ist dabei letztendlich egal. Bei der abendlichen Lesung beendeten die schreienden Kinder der BesucherInnen diese Debatte, ohne Widerrede zu dulden.

Julia Franck machte dann auch gleich darauf aufmerksam, wie schwierig sie Schriftstellertum und Mutterrolle verbinden kann: „Das Honorar für eine Lesung muss ich fast immer komplett für die anfallende Kinderbetreuung ausgeben.“ Im Anschluss stellte sie ein Denken infrage, das individuelles Glück und Kinder als Gegensätze begreift: „Ein Dichter meinte mal zu mir, er würde mich nur ohne meine Kinder wollen. Da hab ich gesagt, das geht nicht.“ Gemeinsam ist ihr und der elf Jahre älteren Radisch ein positiver Bezug zur eigenen Familienbiografie mit einer starken und selbstständigen Mutter. Dass dabei die Rollen auf dem Podium zwischen der meinungsstarken und polarisierenden Kulturjournalistin Radisch, die in Anlehnung an Peter Handke eine Sprache des „Vaterglücks“ einforderte, und der erzählend-abwägenden Schriftstellerin Francke klar verteilt waren, stand allerdings in keinem Moment zur Debatte.

Vielleicht ist die Erfüllung von Erwartungen aber auch Teil des Erfolgsrezeptes der Lit.Cologne. Wo auch sonst kann man einer gemeinsamen Lesung von Andres Veiel und Clemens Meyer in einer Polizeiwache beiwohnen? Diese liegt im rechtsrheinischen Kalk, das gerne als Problemstadtteil bezeichnet wird, passend zur Umgebung diskutierten Journalist und Schriftsteller über den „Kick Gewalt“.

Veiel beschreibt noch einmal die Recherche zu seinem Buch „Der Kick“, das den Mord am 16-jährigen Marinus im brandenburgischen Potzlow rekonstruiert. Bedächtig berichtet er auf dem Podium im holzgetäfelten Versammlungsraum von seiner akribischen Recherche, den Reaktionen der Dorfbewohner sowie den Motiven der Mörder und vergleicht seine Kenntnisse mit den Forschungsergebnissen der quantitativen Sozialforschung: „Nach dem ersten Schock wurde der Stoff auch zu Material für mich.“ Clemens Meyer wurde gleich mit seiner ganzen Existenz für seinen Roman „Als wir träumten“ haftbar gemacht. Er habe „kein Buch über Gewalt“ geschrieben, betonte er, „sondern über den Lebensweg von fünf Freunden“, der auch seiner ist.

„Träumst du manchmal von deinen Figuren?“, will Veiel vom ungeschliffen wirkenden Leipziger wissen. „Nicht mehr“, antwortet dieser, „aber irgendwie ist doch die gesamte Existenz gleich Recherche.“ Ob er damit zufrieden ist, verrät er nicht.