Ein Lob auf die Serie

Die Evangelische Akademie Tutzing lud zur Tagung „Ganz nah – ganz fremd? Migration, Integration und Fernsehen“. Den konstruktivsten Integrationsbeitrag leisten Unterhaltungsserien

VON STEFFEN GRIMBERG

MigrantInnen machen es dem deutschen Fernsehen und der deutschen Politik nicht leicht. Sie bescheren zwar schon heute knapp zwanzig Prozent der EinwohnerInnen Bundesdeutschlands einen sogenannten „Migrationshintergrund“, sind aber immer noch nicht in Bundesverbänden, Landsmannschaften oder wenigstens auf Kreisebene organisiert. Wen soll man denn da bitte schön als entsprechenden gesellschaftlichen Vertreter zur Tagung „Ganz nah – ganz fremd? Migration, Integration und Fernsehen“ in die Evangelische Akademie Tutzing einladen?

Andererseits sind sie ja mitten drin im deutschen TV-Alltag: vom fiesen Rädchen im Getriebe des organisierten Verbrechens bis zum exotischen Zweitkommissar im Krimi. Comedy wäre ohne sie nicht mehr denkbar, und eben erst hagelte es Grimme-Preise für deutschtürkische TV-Themen – sowohl für schwere Kost („Wut“) wie für die leichtere Muse („Türkisch für Anfänger“, „Meine verrückte türkische Hochzeit“).

„Unser Motto heißt nicht, über die zu reden, die zu uns gekommen sind. Sondern Integrationsprozesse gemeinsam mit Migrantinnen und Migranten zu gestalten“, formulierte Maria Böhmer, Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, in Tutzing. Das mag auf der Ebene der Bundespolitik, wo der „Nationale Integrationsplan“ laut Böhmer sogar „Chefinnensache – nämlich von Bundeskanzlerin Angela Merkel – ist“, formal auch funktionieren.

Das Fernsehen, allen voran die öffentlich-rechtlichen Sender und seine Analysten dagegen tun sich schwer: Als sie sich in den Neunzigerjahren um einen Job als Moderatorin bemühte, musste sich die heutige ARD-Journalistin Minou Amir-Sehhi bei ihrem späteren Arbeitgeber noch anhören: „Werden Sie lieber TV-Autorin hinter der Kamera. Die Zeit ist noch nicht reif für so exotische Fälle wie Sie.“ Als das ZDF wenig später „ausgefallene Moderatorinnen“ für seine vom Titel her eher an Milchviehzucht gemahnende Sendung „Schwarz-Rot-Bunt“ sucht, wird die deutschpersische Journalistin aber auch nicht genommen: „Zu deutsch“, lautet jetzt das Urteil.

Ein Einzelfall? Kaum. Und auch in Tutzing kann Amir-Sehhi nur über ihre Erfahrungen berichten, weil ein anderer Referent ausgefallen war: Der Spiegel hatte seinen Großpolterer Henryk M. Broder kurzfristig an andere Brennpunkte dieser Welt entsandt. Ursprünglich (taz vom 22. 2.) war im Tagungsprogramm unter dem runden Dutzend ReferentInnen nur der Integrationsbeauftragte des WDR als quasioffizieller Betroffenenvertreter vorgesehen.

Geändert hat sich dennoch einiges, vor allem bei der Serie: Was angenehmerweise, so der TV-Kritiker Stefan Niggemeier, nichts damit zu tun habe, dass Serienmacher plötzlich politisch-pädagogische Ambitionen hegten. Sondern schlicht und ergreifend bemerkt hätten, dass beispielsweise die deutschtürkischen Stoffe „für gute Unterhaltung taugen“. Das Fernsehen, „angetrieben von der Lust, gute Geschichten zu erzählen und mit Klischees zu spielen“, hat laut Niggemeier denn auch einen entscheidenden Vorteil: Es konfrontiert auch „die Deutschen“ mit ihren eigenen Marotten. Die gesellschaftliche Aufklärung passiert hier nicht aufgrund von Gremienbeschlüssen. Sondern – viel wirkungsvoller – nebenbei.

Diesen Effekt bewusster zu nutzen, fordert einmal mehr auch Michael Mangold von der Initiative „Integration und Fernsehen“ (siehe taz-Interview vom 22. 2.): Auch Vorabendsoaps, momentan noch ein Hort „reinen Deutschtums“ (Niggemeier), könnten hier Werte, Perspektiven und, ja, auch Bildung vermitteln, sagt Mangold, im Hauptberuf Medienwissenschaftler am Karlsruher Zentrum für Kunst und Medientechnologie (ZKM). Diese Chancen gelte es „ernst zu nehmen – auch wenn das dem bildungsbürgerlichen Diskurs nicht passt“.