„Ich habe nie wirklich dazugehört“

Sibyll Klotz

„Ich bin nicht so geil auf ein Regierungsamt, wie manche vielleicht denken. Die Fürseite muss stimmen. Wenn das nicht so ist, muss man auch konsequent sein und den Rückzug antreten“

Wenn Sibyll Klotz ins Erzählen kommt über das, was ihr im Bezirk Tempelhof-Schöneberg so passiert, sprudeln die Geschichten nur so aus ihr heraus. Seit November 2006 arbeitet die 46-Jährige hier als Stadträtin für Gesundheit und Soziales und ist damit „in der Realität aufgeschlagen“, wie sie sagt. Endlich kann sie gestalten. Zuvor saß die grüne Fachfrau für Arbeitsmarkt- und Frauenpolitik 15 Jahre lang im Abgeordnetenhaus, im Raumschiff Landespolitik, und da immer auf der Oppositionsbank. Ständige Bewegung gehört zu Klotz’ Leben: Sie fuhr früher Motorrad, machte nie ein Hehl aus ihrer SED-Parteizugehörigkeit in der DDR, sie heiratete, zog eine Tochter groß und wohnt heute mit ihrer Lebensgefährtin zusammen

INTERVIEW FELIX LEE
UND PLUTONIA PLARRE

taz: Frau Klotz, Sie kommen gerade aus der Bezirksamtssitzung. Haben Sie gestänkert?

Sibyll Klotz: Wie kommen Sie denn auf so was? Ich bin ein absolut friedliebender, harmoniesüchtiger Mensch.

Sind Sie im rot-schwarzen Bezirksamt von Tempelhof-Schöneberg als einzige grüne Stadträtin nicht das Enfant terrible?

Manchmal kommt es zum Streit. Aber als Enfant terrible nehme ich mich nicht wahr. Wir sind kein politisches Bezirksamt, sondern ein Kollegialorgan.

Sie sind jetzt seit vier Monaten Stadträtin für Gesundheit und Soziales. Was ist das für ein Gefühl, nach 15 Jahren im Abgeordnetenhaus in der Bezirkspolitik zu landen?

Es ist wie ein Aufschlagen in der Realität. Debatten, die wir im Abgeordnetenhaus geführt haben, stellen sich im Bezirk mitunter etwas anders dar. Auch die Arbeitsabläufe sind nicht zu vergleichen. Das Abgeordnetenhaus ist ein Teilzeitparlament mit selbstbestimmter Vollzeitarbeit. Im Bezirksamt habe ich einen Fulltime-Job. Ich muss Akten durcharbeiten, habe Besprechungen, Fachbereichsleiterrunden, also ganz viel mit Verwaltung zu tun.

Klingt ganz schön dröge.

Ich finde es überhaupt nicht langweilig, zu erfahren, wo die Obdachlosen des Bezirks untergebracht werden, oder mich um die von der Schließung bedrohten Aids-Beratungsstellen zu kümmern. Es ist alles andere als langweilig, dafür zuständig zu sein, dass die wirklich Hilfsbedürftigen zu ihrem Recht kommen. Woran ich mich noch nicht gewöhnt habe: Meine Arbeit ist einsamer als vorher. Ich bin lieber eine Teamspielerin.

Als grüne Fraktionschefin waren Sie täglich in den Zeitungen. Interessieren sich die Medien jetzt noch für Sie?

Bezirkspolitik muss man anbieten wie Sauerbier. Außer es handelt sich um einen wirklich fetten Skandal, wie eine Klopperei in einer Lichtenrader Schule oder dass ein Jugendlicher sich ins Koma gesoffen hat. Dann sind plötzlich alle da. Es gibt so eine Überheblichkeit bei Politikern und Journalisten, nur Dinge zur Kenntnis zu nehmen, die sich auf der Landesebene bewegen.

Sie hätten in der Landespolitik groß rauskommen können. Warum sind Sie nie Senatorin geworden?

In meiner Zeit im Abgeordnetenhaus hatten wir 2001 ein halbes Jahr lang einen rot-grünen Senat. Mein Fraktionsvorstandskollege Wolfgang Wieland ist damals Justizsenator geworden. Ich habe meine Aufgabe darin gesehen, in dieser schwierigen Zeit die Fraktion zu führen und den Wahlkampf einzutüten. Es wäre nicht gut gewesen, wenn wir beide in den Senat gegangen wären.

Bei den Grünen heißt es, Sie hätten keinen Machtinstinkt.

Ob das ein Vor- oder ein Nachteil ist, mögen andere bewerten. Eine Regierungsbeteiligung ist ebenso wie ein Regierungsamt immer ein Abwägungsprozess. Ich brauche das nicht um meiner selbst willen. Ich bin da nicht so geil drauf, wie manche vielleicht denken. Die Fürseite muss stimmen. Wenn das nicht so ist, muss man auch konsequent sein und den Rückzug antreten.

2005 haben Sie für den Bundestag kandidiert. Sind Sie heute froh, dass es nicht geklappt hat?

Es ist so, wie es ist. Damals war ich enttäuscht. Heute geht es mir richtig gut.

Für eine Politikerin, die schon lange im Geschäft ist, wirken Sie erstaunlich bodenständig.

Ich bin 1991 eher durch Zufall ins Abgeordnetenhaus gekommen – nicht über die Grünen, sondern über den Unabhängigen Frauenverband. In den ersten Jahren musste ich mich durchbeißen. Viele Politiker rekrutieren ihren Freundeskreis nur noch aus den politischen Zusammenhängen. Das habe ich nie gemacht. Ich hatte immer unterschiedliche Bezugsgruppen, auch in meinem Privatleben. Das erdet.

Sie sind im Ostberlin der DDR geboren worden. Über ihre Familiengeschichte ist wenig bekannt.

Meine Eltern haben nicht zusammengelebt. Mein Vater, ein kommunistischer Widerstandskämpfer, hatte im Konzentrationslager gesessen. Er war wesentlich älter als meine Mutter. Bei ihr und meiner Oma bin ich aufgewachsen, in einem Mädelhaushalt also. Meine Mutter hatte eine Kneipe. Dadurch habe ich schon zu Ostzeiten Dinge gesehen, die andere so nicht gesehen haben.

Zum Beispiel?

Ich habe die Auswirkungen von exzessivem Alkoholgenuss kennengelernt. Ich weiß, dass es Prostitution auch in Berlin, der Hauptstadt der sozialistischen DDR, gab. Meine Mutter war sehr tough. Sie hat hart gearbeitet.

Was waren Sie für ein Kind?

Ein Einzelkind, aber nicht verwöhnt. Meine Mutter hat immer gesagt: Bildung, Bildung, Bildung. Als ich 15 war, wollte ich in die Gastronomie gehen. Ich stand ja auch schon früh hinter dem Tresen und fand alles furchtbar aufregend. Da hat sie gesagt: Alles darfst du machen, aber das verbiete ich dir.

Wie es sich für eine brave Tochter gehört, haben Sie gehorcht.

Von wegen brav. Ich wollte die Anerkennung der Mutter. Wir hatten ein ambivalentes Verhältnis. Wie das so ist mit starken Müttern und starken Töchtern. In der Pubertät hätte ich mich auch nicht gerne zur Tochter haben wollen.

Das interessiert uns genauer.

Ich wollte unbedingt ein Motorrad haben. Als ich Jugendliche war, wohnten wir in Petershagen im Berliner Umland. Alle Jungs hatten Mopeds. Mit 14, zur Jugendweihe, bekam ich etwas Geld. Ich wollte ein Moped kaufen, meine Mutter hat gesagt: nein, ist zu gefährlich. Sie dachte, sie kann mich vertrösten mit der Ansage: Warte, bis du 16 bist – in dem Glauben, ich würde den Wunsch in der Zwischenzeit zu den Akten legen.

Fehlanzeige?

Ich habe sie zwei Jahre lang genervt. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als mir mit 16 dieses Motorrad, eine TS 150 – also 150 Kubikzentimeter – zu kaufen. Meine Freundin und ich waren die einzigen Mädels, die ein Motorrad hatten. Darauf haben wir uns ausgelebt, später mit meinem Freund hinten drauf. Der hatte nur ein Moped. Später habe ich noch den Lkw-Führerschein gemacht. Ich fand, den muss man auch haben.

Wie standen Sie zur DDR?

Die war für mich ganz klar die bessere Alternative. Ich wollte das System von innen verändern. Der Anschluss an die BRD nach Artikel 23 Grundgesetz war für mich keine Alternative. Deshalb bin ich während meines Philosophiestudiums an der Humboldt-Universität auch in die SED eingetreten. Meine Wahrnehmung war, dass es in diesem Laden etliche Leute gab, die dachten wie ich. Wir hatten in der DDR ja tolle Leute. Mich hat sehr geprägt, was Christa Wolf geschrieben hat. Oder Maxi Wander.

Sie sind selbst Mutter einer heute 23-jährigen Tochter. Darf man erfahren, wer der Vater ist?

Muss man nicht. Mit ihm war ich verheiratet, zu ihm habe ich heute noch einen guten Kontakt. Er hat auch einen guten Kontakt zum Kind.

Das ist nicht der Freund mit dem Moped?

Doch, ist er.

Wann genau hatten Sie eigentlich Ihr Coming-out als Lesbe?

Nach der Wende. Schleichend. Man legt nicht einen Schalter um. Über den Unabhängigen Frauenverband bin ich mit vielfältigen Lebensverhältnissen in Berührung gekommen. Zu DDR-Zeiten hatte ich noch nichts mit Lesben zu tun. Ich kann mich aber gut an eine Situation erinnern, als zwei Tunten auf einem Motorrad bei uns in Petershagen einritten – auf so einem, wo der Sitz hinten höher ist als der vorne. Die Straße fiel fast tot um. So war das damals bei uns.

Inzwischen leben Sie seit zwölf Jahren mit ihrer Gefährtin zusammen. Haben Sie die Beziehung als Lebenspartnerschaft eintragen lassen?

Nein. Wir waren beide schon verheiratet. Unsere Haltung ist, man muss nicht jeden Fehler zweimal machen. Wozu? Meine Ehe beruhte auf tiefer Zuneigung. Geheiratet habe ich aber nur, weil man so in der DDR besser an eine Wohnung und einen Kredit kam.

Ihre Tochter hat immer bei Ihnen gewohnt?

Meine Lebensgefährtin hat meine Tochter quasi mit großgezogen. Es war nicht immer einfach. Aber meine Tochter, meine Lebensgefährtin, der Vater meiner Tochter und ich haben das ziemlich gut hinbekommen. Man kann daran sehen, es geht.

Beim nächsten Parteitag wollen Sie bei den Grünen für den erweiterten Landesvorstand kandidieren. Gehören Sie zu den Stripppenziehern?

Das wird immer behauptet. Mich amüsiert das eher. Ich scheine Respekt zu genießen, viele scheinen auf meine Meinung großen Wert zu legen. Aber ich habe das nie systematisch betrieben. Ich habe ja nie so wirklich dazugehört.

Zu den Klüngeln?

Zu den Flügeln und Gruppen, die es so gibt. Ich habe mich nie komplett von einer Gruppe einbinden lassen. Die Welt passt für mich nicht in Schubladen wie Linke oder Realos. Diese Flügeltreffen, wie es sie in der heutigen Fraktion gibt, hat es zu meiner Zeit nicht gegeben. Es ist schon lustig, wer sich da plötzlich alles zu den sogenannten Linken zählt.

Hat die fehlende Flügelzugehörigkeit mit Ihrer Ostbiografie zu tun?

Vielleicht. Ich bin erst Mitte der 90er bei den Grünen eingetreten. Davor musste ich mich stark mit meiner langjährigen SED-Zugehörigkeit auseinandersetzen. Soweit ich weiß, bin ich außerhalb der PDS die Einzige mit SED-Vergangenheit, die es auf eine herausgehobene Stelle geschafft hat. Das war nicht einfach.

Die PDS kam nicht infrage?

Ich fand, der Laden muss sich auflösen. Eine neue linke Partei muss gegründet werden. Wenn das passiert wäre, bin ich nicht sicher, ob ich da nicht eingetreten wäre. Dass die alten Strukturen, die alten Gelder, die alten Personen bruchlos in eine neue Struktur überführt wurden, war für mich nicht akzeptabel.

Fühlen Sie sich inzwischen wohl bei den Grünen?

Die Grünen sind für mich schon der richtige Laden. Aus mir wird aber nie eine Parteisoldatin. Ich werde auch niemals dieselbe Identität entwickeln wie diejenigen, die in Westberlin die Alternative Liste mitgegründet haben.

Was für Pläne haben Sie für die Zukunft?

Ich finde einen Spruch von Jürgen Trittin ganz wunderbar: Umwege erhöhen die Ortskenntnisse. Mal gucken, wie es in vier Jahren weitergeht.

Am Ende kehren sie doch zurück in das Raumschiff Landespolitik?

Wenn ich was gelernt habe in den vergangenen 15 Jahren, dann das: Man soll als Politikerin für sich nie etwas ausschließen.