Flüchtlinge ab in die Fischfabrik

Rund 200 meist asiatische Bootsflüchtlinge sitzen seit Wochen in einem fensterlosen Gebäude eines Hafens in Mauretanien fest. Dort werden sie nach abenteuerlicher Reise über Westafrika nach Europa und zurück von der spanischen Polizei bewacht.

AUS MADRID REINER WANDLER

So haben sich die 204 Flüchtlinge ihr neues Leben sicher nicht vorgestellt. Seit über einem Monat sitzen sie im mauretanischen Hafen Nouadhibou in einer fensterlosen Halle. Es stinkt nach Fisch, der hier bis vor kurzem gelagert und verarbeitet wurde. Die Toiletten sind verstopft. Die gestrandeten Flüchtlinge schlafen auf verdreckten Teppichen. Ihre Decken wurden noch nie gewechselt. Die Verpflegung besteht hauptsächlich aus belegten Broten. Die meisten der Eingeschlossenen haben Krätze oder andere Hautkrankheiten. Hinaus können sie nicht. Dafür sorgen 40 spanische Polizisten, die den Hangar vom Rest des mauretanischen Hafens abschotten. Nach Spanien, wo sie eigentlich hinwollten, werden die Flüchtlinge nicht gebracht. Und ihre Heimatländer weigern sich, die 204 zurückzunehmen. Die Europareise der meist südasiatischen Migranten, die im Atlantik auf dem Weg auf die Kanaren in Seenot gerieten und dann gegen ihren Willen in Mauretanien landeten, wurde zur Sackgasse.

Das Flüchtlingsdrama begann am 31. Januar. An diesem Tag ging bei der spanischen Seewacht auf den Kanarischen Inseln ein Notruf ein: Ein altes Frachtschiff, die „Marine I“, sei in senegalesischen Gewässern in Seenot geraten. An Bord befanden sich 369 Immigranten mit dem Ziel Kanaren. Der spanische Rettungsdienst kam der „Marine I“ zu Hilfe. Doch wohin mit dem Schiff und seiner menschlichen Fracht? Senegals Regierung weigerte sich, das Schiff anlegen zu lassen – Präsident Abdoulaye Wade befand sich mitten im Wahlkampf, eine neue Flüchtlingskrise in seinem von Emigrationsdramen geschüttelten Land konnte er da nicht gebrauchen. Auf die Kanaren sah es nicht viel anders aus: Auch hier stehen für Mai Regionalwahlen an. Ein vollbesetztes Flüchtlingsschiff in einem Hafen der Kanaren wäre ein gefundenes Wahlkampfthema für die auf den Inseln regierenden Nationalisten gewesen, die sich schon im Stich gelassen fühlen, weil letztes Jahr über 30.000 Flüchtlinge aus Afrika bei ihnen landeten.

Blieb Mauretanien. Vier Stunden gewährte die dortige Regierung den Spaniern, um am 12. Februar im Hafen der Industriestadt Nouadhibou anzulegen und die Flüchtlinge von dort flugs außer Landes zu schaffen. Dies sollte ein frommer Wunsch bleiben. Denn eine Ausreise ist nur möglich, wenn jemand die Flüchtlinge aufnimmt. Bisher konnten nur 165 von ihnen ausgeflogen werden.

95 Inder wurden nach langem diplomatischen Tauziehen in ihre Heimat abgeschoben. 35 Afrikaner wurden von spanischen Polizisten in einem Militärflugzeug nach Guinea-Bissau geschickt. Kurz vor dem Landeanflug kam das Nein der dortigen Regierung – nach stundenlangem Herumirren landete die Maschine im Inselstaat Kapverden, aus dem keiner der Flüchtlinge kam. Deshalb wurden sie erneut eingesperrt, ohne jeden Kontakt zur Außenwelt. Selbst dem UN-Flüchtlingskommissariat wurde der Zugang verweigert. Nach mehreren Tagen ging es dann weiter in ein Lager nach Guinea, wo in den letzten Monaten das Regime von Präsident Lansana Conté einen Aufstand gegen seine Herrschaft mit brutalen Armeeeinsätzen im Blut ertränkte. Nur 22 der Flüchtlinge, ein bunt gemischter Haufen aus Birma, Sri-Lanka und Afghanistan, wurden nach Spanien gebracht. Die anderen blieben im Hangar von Nouadhibou sitzen, bis heute.

Der Rote Halbmond protestiert gegen die „menschenunwürdigen Zustände“. Die spanische Menschenrechtsorganisation Cedehu wirft der Regierung „eine Anhäufung von Menschenrechtsverletzungen und Aktionen am Rande der spanischen und internationalen Legalität“ vor. Spanische Polizisten hätten kein Recht, in Mauretanien Flüchtlinge zu bewachen und zu verhören. Das Kollektiv „Queda la Palabra“ hat gegen Spaniens Regierung Strafantrag gestellt.

Spaniens Innenminister Alfredo Pérez Rubalcaba stört dies alles nicht. „Wir müssen ein Zeichen der Entschlossenheit an die Schleppermafia senden“, begründet er die harte Haltung seiner Regierung. Um seine Entschlossenheit unter Beweis zu stellen, scheut Rubalcaba keine Ausgaben. Die 40 spanischen Polizeibeamten in Nouadhibou werden alle drei Tage abgelöst, drei Militärflugzeuge sind dafür im ständigen Dienst. Auf diese Art sind seit dem 12. Februar, als die „Marine I“ in Nouadhibou anlegte, insgesamt 1.330 spanische Polizisten in Mauretanien im Einsatz gewesen.