Grenzwertige Aktion

Die European Border Watch will Bürger zur Überwachung der EU-Außengrenze rekrutieren. Zum Glück handelt es sich dabei nur um Kunst

Vor dem ehemaligen DDR-Wachturm am Schlesischen Busch stehen Menschen und heizen einen Grill an, Würstchen, Pappteller und Bier stehen bereit. Für gewöhnliche Park-Griller sehen die jungen Leute zu adrett aus: Sie tragen Hemden und Namensschilder am Revers. Als „Georg Klein, CEO European Border Watch“ stellt sich ein Herr vor, der fünfzackige Logo-Stern der Organisation passt zu seinem Texashut. Klein und seine Kollegin verteilen Flugblätter und laden zum Betreten des Turms ein. „Herzlich willkommen in der Berliner Registrierungszentrale der European Border Watch“, sagt Klein und lächelt.

Im Innern des denkmalgeschützten Turms, in dem einst DDR-Beamte über den Grenzverlauf zwischen Kreuzberg und Treptow wachten, surrt, summt und klackt es. Über eine steile Leiter gelangt man in den ersten Stock. An den kargen Betonwänden hängen Kameras und Monitore, die Details von Grenzverläufen zeigen: Ein Stück Waldweg zwischen Polen und Weißrussland, das Meer zwischen Marokko und der iberischen Halbinsel. Die Atmosphäre ist klaustrophobisch, obwohl auf den Monitoren keine Menschen zu sehen sind.

Die Besucher steigen schweigend über Kabel und starren betreten in ihre Flugblätter. Dort heißt es: „Die permanente Überwachung der kritischen Grenzverläufe in aller Welt zur Abwehr illegaler Immigranten ist eine Aufgabe enormen Ausmaßes und bedarf der Wachsamkeit aller Bürger.“ Die European Border Watch (EUBW) hat sich zum Ziel gemacht, „EU-Bürger aktiv in die Überwachung der EU-Außengrenzen zu engagieren“. Per Webcam sollen sie als „Web Patrols“ von zu Hause aus Grenzabschnitte überwachen und Übertritte an eine „Exekutivorganisation“ namens FRONTEX melden. „Gruselig“, sagt eine Frau und zieht ihre kleine Tochter an der Hand in den zweiten Stock.

Dort verstärkt sich das Bedrohungsgefühl. Die Fenster zum Park und zur Schlesischen Straße sind mit grünlicher Folie verklebt, eine Videokamera nimmt alles auf, was sich unten bewegt, dazu fiept ein Lautsprecher. „Mami“, fragt das Mädchen, „wenn das eine Grenze ist, werden die da unten dann alle erschossen?“

Die Forderung der Law-and-Order-Organisation lassen auch Erwachsene frösteln. Von „Abwehr krimineller Einwanderer und krimineller Schleuserbanden“ ist da die Rede, von permanenter Überwachung der mehr als 1.200 Kilometer langen Grenze, sogar von der Errichtung eines Grenzzauns nach israelischem Vorbild. Dass es sich um Satire handelt, bemerkt man erst nach gründlichem Lesen der EUBW-Korrespondenz. Spätestens beim Lob für die deutschen Grenzerqualitäten müsste der Groschen fallen. „Gerade in Deutschland“, schreibt die EUBW in einem Brief, der zur Eröffnung der Turm-Filiale Ende vergangener Woche über die Verteiler ging, „erhoffen wir uns aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrung in der Grenzüberwachung eine rege Nachfrage und Freiwillige mit speziellem Know-how“.

Hinter der brillanten Satire steckt der Künstler und Komponist Georg Klein, der seine Installation noch bis zum 9. April zeigen wird. Inspiriert von der realen „Texas Border Watch“ entwickelte Klein eine fiktive Organisation. „Ich wollte testen, ob Texas auch hier möglich wäre“. Er baute eine professionelle Firmenwebsite, die zur Bürgerbeteiligung aufruft: „Be active – save your border“. Web-Patrols in spe können sich online anmelden und ihre bevorzugten Überwachungsgebiete auswählen. Dafür bekommen sie einen Registrierungscode zugesandt – und eine Einladung zum Treffen am 1. April.

Nur acht Leute haben sich bislang registriert. Bei der Mehrheit funktionieren die rechtsstaatlichen Reflexe. Das zeigen die empörten Reaktionen, die im Turm ausgestellt sind. Zynismus, Nazimentalität oder „Arschlochverhalten“ wittern die Angeschriebenen. „Ich bin froh über die vielen Argumente gegen uns“, sagt Klein. Seine Irritationsstategie ist aufgegangen: Ein ahnungsloser Tourist, der erst empört floh, recherchierte im Internet nach und schrieb: „Jetzt verstehe ich alles! Raffiniert!“ NINA APIN