Ein Urteil über den Berliner Sumpf

In Berlin geht heute einer der größten Strafprozesse der deutschen Wirtschaftsgeschichte zu Ende. Wegen schwerer Untreue sind Ex-Topmanager der früheren Bankgesellschaft Berlin angeklagt, darunter der einstige Berliner CDU-Fraktionschef Klaus Landowsky. Das Urteil ist ein wichtiger Schritt bei der Aufarbeitung des Berliner Bankenskandals, des größten Deutschlands. Um die Pleite der mehrheitlich landeseigenen Bank zu verhindern, hatte Berlin Milliarden in den Konzern gesteckt und Risiken von bis zu 21 Milliarden Euro übernommen. Konsequenz der EU-Kommission: Berlin muss seine Bank verkaufen, darunter die lukrative Sparkasse. In dem Verfahren vor dem Berliner Landgericht geht es um die zweifelhafte Kreditvergabe an frühere CDU-Abgeordnete, die zeitnah eine Barspende an Landowsky überreicht hatten. Die Staatsanwaltschaft fordert bis zu vier Jahren Haft. ROT

aus Berlin RICHARD ROTHER

Was deutsche Strafgerichte bei Josef Ackermann und Peter Hartz nicht zu Stande brachten – im Fall des früheren Bankchefs und Ex-CDU-Fraktionsvorsitzenden im Berliner Abgeordnetenhaus, Klaus Landowsky, schafft es die Justiz: ein Urteil zu fällen. Neben Landowsky sind zwölf weitere Topmanager der ehemaligen Berliner Bankgesellschaft angeklagt. Heute geht der Prozess zu Ende. Der Vorwurf: schwere Untreue. Bis zu vier Jahre Haft forderte die Staatsanwaltschaft für die Angeklagten, drei Jahre für Landowsky. Der Bankmanager im Knast, das träfe die Gemütslage vieler Berliner vor allem im alternativen Milieu. Denn ganz oben auf der Skala der unbeliebten Personen steht hier Landowsky, jahrelang der Strippenzieher der Berliner CDU, ein Politiker, der häufig rechtspopulistische Sprüche klopfte.

Das Urteil, das das Berliner Landgericht heute Mittag verkündet, stellt einen Meilenstein bei der juristischen Aufarbeitung des Berliner Bankenskandals dar, der der größte in der Geschichte der Bundesrepublik ist. Der Richterspruch könnte auch eine Art mentaler Schlussstrich unter eine Ära von Filz und Vetternwirtschaft sein, die in Westberlin jahrzehntelang blühten. Allerdings hilft dieser Schlussstrich nur mental – materiell wird der Bankenskandal Berlin noch auf Jahrzehnte prägen. Der Prozess rüttelte zudem am deutschen Sparkassenmodell, er beschäftigte so sogar das ganze Land. Ohne Bankenskandal müsste Berlin seine Landesbank, vormals Bankgesellschaft, nicht verkaufen – und mit ihr die kundenstarke Berliner Sparkasse.

Wie kam es zu dem Schlamassel? Mitte der 90er Jahre herrschte Aufbrucheuphorie in Berlin. Das Land formte aus öffentlichen und privaten Banken die Bankgesellschaft Berlin, die im Konzert der deutschen Großbanken mitspielen sollte. Schon 2001 jedoch war der Traum aus – notleidende Großkredite und ein risikoreiches Immobilienfondsgeschäft, das wie ein Schneeballsystem funktionierte, hatten die Bank an den Rand des Ruins getrieben; nur eine Milliardenspritze Berlins rettete damals die Bankgesellschaft. Zur Genehmigung dieser Beihilfe erteilte die EU-Kommission jedoch eine knallharte Auflage: Berlin muss die Bank meistbietend verkaufen. Derzeit läuft das Bieterverfahren auf vollen Touren, Berlin und EU streiten über die Auflagen.

Die Interessen gehen auseinander: Berlin richtet sich gegen eine Filettierung des Kreditinstituts und fordert den Erhalt von Arbeitsplätzen. Die EU-Wettbewerbshüter dagegen schreiben ein diskriminierungsfreies Verfahren vor und drohen mit einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof. Ein Vorgang, der die deutsche Sparkassenpolitik nachhaltig beeinflusst – schließlich könnten nun private Banken oder gar Heuschrecken zum Zuge kommen.

Der Verkauf beschäftigt auch die Politik. So stellt sich die Berliner Linkspartei.PDS dem Zwang zum Verkauf – ihre möglichen Fusionspartner im Bund, die Wahlalternative Arbeit und Soziale Gerechtigkeit (WASG), machen hingegen Front gegen die Verscherbelung einer großen Sparkasse. Einziger Vorteil der fusionswilligen Linken: Die Entscheidung, wer bei der Bank zum Zuge kommt, fällt erst im Herbst – nach dem Fusionsparteitag im Sommer.

Die Schwierigkeiten, die der rot-rote Berliner Senat mit dem Verkauf seiner Bank hat, kann man insofern getrost als späte Rache Landowskys bezeichnen. Der von ihm ausgelöste Skandal – 2001 war neben dem wirtschaftlichen Fiasko der Bank auch eine Barspende der Aubis-Geschäftsführer an die Berliner CDU ruchbar geworden – beendete die bis dahin regierende große Koalition in der Stadt. Die Westberliner CDU verlor damit erstmals seit langem die Macht. Und machte Platz für einen SPD/PDS-Senat, der zwar einen harten Sparkurs durchdrückte, aber auch die gefühlte Einigung der Stadt voranbrachte. Mit der PDS sitzt nunmehr eine explizite Ostpartei in der Landesregierung, die aktuell etwa Modellprojekte zur Gemeinschaftsschule forciert.

Der Bankenskandal erschwert solche Projekte der Linken noch für Jahrzehnte. Und zwar finanziell. Denn all die Milliarden, die für die Bank und ihre Risiken ausgegeben wurden und künftig noch werden, fehlen der Stadt anderswo. Allerdings ist die Überschuldung Berlins nicht allein auf den Bankenskandal zurückzuführen. Maximal zehn Prozent der finanziellen Notlage, schätzte Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD), gehen auf das Bankdesaster zurück. Der Rest sind strukturelle Probleme – wesentlich hier ist etwa die frühere Teilung der Stadt, die sie vom Weltmarkt abkoppelte, die Deindustrialisierung Ostberlins sowie das zu späte Umsteuern der Stadtpolitik in den 90er Jahren.

In dieser Gemengelage beschäftigt sich das heute zu Ende gehende Strafverfahren nur mit den zweifelhaften Millionenkrediten, die die Bankgesellschaftstochter Berlin Hyp dem Immobilienunternehmen Aubis gab. Chef der Berlin Hyp war Klaus Landowsky, im Aufsichtsrat saß unter anderen Bankgesellschaftschef Wolfgang Rupf. Die Verteidiger fordern für die 13 Angeklagten Freisprüche; Prozessbeobachter rechnen bei einer Verurteilung allenfalls mit Bewährungsstrafen, auch ein Freispruch wird nicht ausgeschlossen.

Auch Landowsky könnte freigesprochen werden. Der 64-Jährige ist der unbestrittene Anklagebankchef in diesem Verfahren. Inmitten der angeklagten Manager, die von einem Tross von Topanwälten umgeben waren, verfolgte Landowsky stets aufmerksam den Prozess, machte sich hin und wieder Notizen, zog die kräftigen Augenbrauen hoch oder schüttelte mit dem Kopf. Selbstverständlich fühlte er sich zu Unrecht auf der Anklagebank, auf der er knapp 80-mal Platz nehmen musste. Landowsky kämpfe um seine Ehre, hatte er selbst in seinem Schlusswort vor Gericht gesagt: „Mein letzter Trumpf ist die Wahrheit, sonst hätte ich diesen Prozess nicht durchgestanden.“ Landowskys Sache ist das Pathos – auch bei dieser, seiner wohl letzten großen Rede in der Öffentlichkeit. Im Berliner Abgeordnetenhaus hatte er oft genug sein rhetorisches Talent unter Beweis gestellt; seit Landowskys Abgang ist es hier langweiliger geworden.

Mag das Verfahren Brisanz vor allem durch die Prominenz der Angeklagten bekommen haben – inhaltlich beschäftigte es sich nur mit einem kleinen, aber durchaus exemplarischen Teil des Bankenskandals: Mitte der 90er Jahre vergab die Berlin Hyp – als Hypothekenbank eine der drei Säulen der Bankgesellschaft – Millionenkredite zum Erwerb ostdeutscher Plattenbauwohnungen an die Berliner Aubis-Gruppe, die von zwei ehemaligen CDU-Abgeordneten geführt wurde. „Beide verfügten weder über das notwendige Eigenkapital noch über einschlägige Erfahrungen auf dem Gebiet der Wohnungswirtschaft“, heißt es in dem Abschlussbericht des Banken-Untersuchungsausschusses, den das Berliner Abgeordnetenhaus eingesetzt hatte, um den Skandalsumpf auszutrocknen. Ein zentrales Ergebnis des Ausschusses: Durch die Stückelung von Krediten habe der Vorstand bankinterne Vergabevorschriften unterlaufen, nachdem Sachbearbeiter und Aufsichtsrat keine weiteren Kredite an die früheren CDU-Abgeordneten mehr zulassen wollten. Zeitnah hatte – welch ein Zufall! – einer der Aubis-Manager Klaus Landowsky besucht und eine Parteispende in Höhe von 40.000 Mark überreicht. Die tauchte – wieder ein Zufall – im CDU-Rechenschaftsbericht nicht auf. Die Spendenübergabe ist allerdings verjährt und nicht Gegenstand des Prozesses.

Die Staatsanwaltschaft sieht es nun als erwiesen an, dass die Angeklagten bei der Vergabe von Darlehen in Höhe von 235 Millionen Euro an Aubis Risiken außer Acht gelassen haben. Das Geschäft ging schief, die Bank musste einspringen. Dass Banker Risiken eingehen und möglicherweise falsche Entscheidungen treffen, das gehört zum Wesen des Kreditgeschäfts. Fraglich ist nur, inwieweit die Manager, salopp gesagt, ihre Bank sehenden Auges in Schwierigkeiten bringen dürfen. In dem schwierigen Strafverfahren vor dem Berliner Landgericht geht es letztlich also um die Frage, wie groß der Handlungsspielraum von Managern ist.

Dass das Gericht am Ende der Auffassung der Ankläger folgt, ist alles andere als gewiss. Doch ob Knast, Bewährung oder Freispruch – eines ist jetzt schon klar: Für Landowsky, der sich längst von der politischen Bühne verabschiedet hat, dürfte dies der letzte öffentliche Auftritt sein. Wenige werden ihm eine Träne nachweinen. Oder wie der Berliner sagt: Tschüssikowsky, Herr Landowsky!