Leipziger Autorenmodelle

Buchmesserei (1): Mit Preisverleihungen feiert die Branche sich selbst und ruft für die Medien neue Trends aus

Warum so eine Buchmesse gebraucht wird, kann man im Vorfeld immer gut studieren: nicht für die Bücher, aber für den medialen Umgang mit ihnen. Die Frankfurter Messe im Herbst sowie nun also wieder die Leipziger Messe im Frühjahr sind für Zeitungen und Sender willkommene Aufhänger, um in den Vermittlungsformen Trendausruferei und „Wir treffen einen Star“ ungehemmt loszulegen. Die Kirchen lassen etwa in diesen Tagen pressemitteilen, dass es irgendwie auch einen Hang zu religiösen Büchern gibt – ohne den Aufhänger einer Messe würde so eine Meldung wahrscheinlich glatt versickern.

Was die Startrefferei betrifft, liegen derzeit offenbar Ingo Schulze und Antje Rávic Strubel vorne. Als geborene Ostdeutsche knüpfen diesen beiden Autoren ja auch eine sozusagen naturwüchsige Verbindung zur Leipziger Messe – auch wenn sonst das Ostdeutsche bei diesem Ereignis kaum noch eine Rolle spielt. Und in Wirklichkeit liegen auch bei dieser Messe natürlich wieder Günter Grass (neue Lyrik) und Martin Walser (wird Samstag 80) vorne. Aber das ist eher Business as usual, wahrscheinlich würden diese alten Kämpen auch auf einer, sagen wir, Rotwein- oder Friseurmesse für Aufsehen sorgen.

In Leipzig selbst setzt man natürlich auch dieses Jahr wieder auf die Vermittlungsform der Lesung, das ist längst Tradition, gern gesehen, grundsympathisch und einer der Gründe, warum die Branche immer gern nach Leipzig fährt. Erstaunlich ist, wie sehr sich daneben schon der noch junge Preis der Leipziger Buchmesse etabliert hat. Heute Nachmittag werden in der zentralen Glashalle auf dem Messegelände die Preisträger verkündet. Manche sagen, das sei inzwischen das wichtigste Ereignis der Messe. Dass man mit Buchpreisen prima Exemplare verkaufen kann, hat man zuletzt ja im Herbst auf der Frankfurter Messe bei Katharina Hackers Roman „Die Habenichtse“ gesehen. Ohne Deutschen Buchpreis wäre man nie 200.000 Stück losgeworden. Der Konkurrent Thomas Hettche dagegen, der in der Juryentscheidung knapp unterlag, ist ohne Preis im Herbstgeschäft dann auch gleich untergegangen.

Das soll den Kandidaten dieses Frühjahrs nicht passieren, ab 16 Uhr wissen wir mehr. An der Shortlist des Preises kann man aber schon vorher gut erkennen, welche Rollenbilder von Autoren gerade im Betrieb hoch gehandelt werden. Ingo Schulze steht darauf als Behauptung, dass der Generationenwechsel in der deutschen Literatur längst stattgefunden hat; er wird fast schon in die Position des Platzhirsches geschoben. Antje Rávic Strubel steht für die verdiente Nachwuchskraft auf dem Sprung in die Position der arrivierten Schriftstellerin. In der Tat könnte mit ihr wenigstens die Unsitte zu Ende gehen, dass auch 50-jährige Autoren noch unter der Rubrik „junge Literatur“ laufen; Antje Rávic Strubel jedenfalls ist Anfang dreißig und wirkt so erwachsen, wie man sich es nur wünschen kann.

Dann kommen schon die Minderheitenpositionen. Wolfgang Schlüter, nominiert für den Roman „Armut und Gnade“, steht für den leicht esoterischen intellektuellen Außenseiter; auf so jemanden kann sich eine Jury immer dann gut einigen, wenn sie sich sonst nicht einigen kann. Wilhelm Genazino steht für die fleißigen Solitäre unter den Autoren, die sich zum Markenzeichen ihrer selbst heraufgearbeitet haben. Und Werner Bräunig steht für die fulminante Wiederentdeckung – leider mit dem Nachteil, dass er bereits seit 30 Jahren tot ist. Sein Roman „Rummelplatz“ wurde damals in der DDR verboten. Mal sehen, welches Modell ausgezeichnet wird – und welcher Autor damit absehbar 10- bis 20-mal so viele Bücher verkauft, wie er sonst verkaufen würde. DIRK KNIPPHALS