„Ich will kein Bühnenkotz- brocken sein“

Jess Jochimsen ist zu unpolitisch fürs Kabarett und zu tiefgründig für Comedy. Ist er deshalb weniger bekannt als Kollegen, die sich ans Format halten? Über einen Komiker, der Rilke zitiert und gegen politische Korrektheit musiziert

ALTER: Um alle Gerüchte zu zerschlagen – Jess Jochimsen wurde 1970 in München geboren und ist 36 Jahre alt. ARBEIT: Er gastiert mit seinen Kabarettprogrammen auf den Bühnen der Republik, schreibt Kolumnen für Spielen & Lernen und die Frankfurter Rundschau und hat bisher drei Bücher geschrieben („Flaschendrehen, oder: Der Tag an dem ich Nena zersägte“, „Das Dosenmilch-Trauma. Bekenntnisse eines 68er-Kindes“ und „Bellboy, oder ich schulde Paul einen Sommer“. Des Weiteren hat er einen Sohn gezeugt. HOBBYS: Jochimsen mag Frösche und Kneipen. Seine Lieblingswörter sind „Klippschliefer“ und „Meuchelpuffer“. KIR

VON ALBERT HEFELE

Jess Jochimsen hat ein Problem. Ein Problem, um das ihn die meisten beneiden: Er sieht jünger aus, als er ist. Außerdem heißt er „Jess“ und das atmet irgendwie den Odem antiquierter Jugendsendungen die über alte Schwarz-weiß-Empfänger ratterten. Jochimsen aber ist 36. Ein Mittdreißiger, der aussieht wie ein jungenhafter Endzwanziger. Ist doch schön? Ja und nein.

Probleme bereitet Jess Jochimsen sein junges Aussehen in der Ausübung seiner Profession: Er steht auf der Bühne und will die Leute unterhalten. Gut, das würde einem jugendlichen Aussehen nicht zuwiderlaufen. Allein – er will sein Publikum nicht nur unterhalten. Ginge es „nur“ um Unterhaltung, wäre Jochimsen so etwas wie ein „Comedian“, dann wäre es völlig egal, wie alt er aussieht oder wirkt. Comedians dürfen bubenhaft und kindisch wirken, alt oder jung sein, es ist – wie gesagt – egal. Es nimmt sie ohnehin keiner in keiner ihrer Rollen ernst. Comedians haben nur die Pflicht, das Publikum zu erheitern.

So leicht macht es sich Jess Jochimsen nicht. „Eine gute Geschichte muss lustig und traurig, witzig und ernsthaft sein …“, sagt er. Vielleicht ist er wegen dieser Überzeugung vieles gleichzeitig. Zum Beispiel einerseits albern, frech und bubenhaft; andererseits spürt man zwischen all dem bunt flirrenden Blödsinnsgenknister etwas Metallisches, Scharfkantiges.

Es kann vorkommen, dass er sein Publikum auf eine Art fixiert, die nicht unbedingt gemütlich ist. Er macht, dass die Leute lachen, aber es ist ihnen hin und wieder nicht ganz wohl dabei. Sie spüren – da ist es einem trotz allen Frohsinns sehr ernst. Und irgendwann kristallisiert sich aus all den Albernheiten so etwas wie eine Botschaft heraus. Ohne jedes Augenzwinkern, ohne jede Albernheit.

Jess Jochimsen sagt: „Ich bin ein moralischer Mensch“, was in der Konsequenz wiederum bedeutet: Mir geht keineswegs alles hinten vorbei. „Ich möchte, dass die Leute ein wenig anders aus der Vorstellung hinausgehen, als sie hereingekommen sind.“ Nicht etwa besser, das wäre zu viel verlangt, aber auf jeden Fall eine Idee nachdenklicher. Nachdenklicher, was die Botschaft angeht, die im aktuellen Programm eigentlich eine Frage ist: „Wie kann man in Würde leben?“

Das ist wie eine kalte Dusche in all dem heiteren Schenkelklopfen. Wohl eher ein Thema für den philosophischen Stammtisch als für einen – ja was eigentlich? – Abend. Comedy ist das nicht, Kabarett im eigentlichen Sinne aber auch nicht. Jess Jochimsen und sein musikalischer Adlatus Sascha Bendiks haben für ihr Programm die Unterzeile „Texte, Dias und Rock ’n’ Roll zur Lage der Nation“ gewählt, weil es genau das ist, was sie abliefern: Texte, Dias und Rock ’n’ Roll. Mit Botschaft. Die keineswegs für jeden nachvollziehbar ist und deswegen nicht wenige Irritationen mit sich bringt. Jochimsen weiß das ganz genau und er weiß auch, dass ernsthafte Fragen kaum Publikum haben. Darum greift er zu attraktiveren Mitteln. Er legt Wert auf ein abwechslungsreiches Programm. Es wird gesungen und musiziert. Jochimsen improvisiert und liest aus seinen Büchern. Er prescht vor und verzögert, er sorgt dafür, dass es nicht langweilig wird, denn Langeweile ist der Tod für jede Botschaft. Er gibt, gemeinsam mit Sascha Bendiks, dem Affen Zucker. Er ist ein Wolf im gepunkteten Schafspelz. Er ist ein ernsthafter Lausbub, der brutal sein darf, weil er charmant – und jugendlich – ist und den Rat verinnerlicht hat, den ihm Sigi Zimmerschied einmal gegeben hat: „Du darfst kein Bühnenkotzbrocken sein, wenn du dem Publikum richtig viel zumuten willst …“

Jochimsens Arbeit ist schwer zu fassen, ein Balanceakt, der schwer in eine bekannte Form und einen bekannten Begriff zu pressen ist. Jochimsen und Bendiks machen etwas, auf das man nicht gefasst ist. Das war schon früher so, als Jochimsen noch solo auftrat. Obwohl er von der Form her ein astreiner Stand-up-Unterhalter war, war er doch völlig anders: Auf der Bühne allein mit sich und einer E-Gitarre, Akkordeon und einem zusammengeschusterten Schlagzeug. Seine Programme hießen „Friss, vögel oder stirb“ und „Die Entkernung des Pudels“. Und es ging vor allem ums Erwachsenwerden. Um sein Erwachsenwerden. Beispielsweise um das Drama, das Kind von Alt-68ern zu sein. Im tiefsten Bayern wohlgemerkt. Gar nicht so einfach, denn: „Papa und Mama hatte ich nie. Das waren Eberhard und Renate.“ Und das heiß ersehnte Bonanza-Fahrrad gab es – wegen nicht ausreichender Political Correctness – natürlich auch nicht.

Für Jess Jochimsens Programme gab es dafür den Württemberger Kleinkunstpreis und später Zimmerschieds Scharfrichterbeil und den deutschen Kabarettpreis. Und Auftritte im Scheibenwischer und eine Sendung im WDR und Kolumnen hier und dort. Ihr neues Programm haben Jochimsen und Bendiks Ende des vergangenen Jahres in der Münchner Lach- und Schießgesellschaft vorgestellt. Da darf nicht jede hin. Ende März moderiert Jochimsen vier Tage hintereinander den Quatsch Comedy Club im Berliner Friedrichstadtpalast und gastiert danach mit „Das wird jetzt ein bisschen wehtun“ bei den Wühlmäusen.

Eigentlich ist man mit solcher Präsenz in Deutschland ganz vorne gelandet, in der ersten Reihe der Witze- und Kabarettmacher. Trotzdem erscheint Jess Jochimsen in der breiten Öffentlichkeit weniger bekannt als Kollegen. Dabei hat er keinerlei Berührungsängste: „Wir waren schon öfter im Quatsch Comedy Club. Die lassen uns unser Ding machen und reden nicht drein.“ Jochimsen haut also durchaus auf die große Trommel, wenn es sein muss. Trotzdem: Kein Vergleich mit bekannten Kollegen wie Atze Schröder oder Ingo Appelt. Der Grund ist vermutlich die Form seiner Programme: Eine Form, die sich weigert, nur auf einer Fettschicht von alberner Oberflächlichkeit zu schwimmen.

Jochimsen hat ein Faible für Qualität und ist ein geradezu verbissener Stilist. Er liebt gute Texte, gute Musik und interessante Wörter. Immerhin hat er schon im zarten Alter von 11 Jahren einen Lyrik-Reim-Wettbewerb einer Sparkasse gewonnen. Mit einem Zweizeiler über Dagobert Duck. Immerhin. Und immerhin hat er Politik, Germanistik und Philosophie studiert. Das geht nicht spurlos an einem vorüber. Darum startet beispielsweise das neue Programm, „Das wird jetzt ein bisschen weh tun“ mit dem Herbstgedicht von Rilke: „Herr: es ist Zeit, der Sommer war sehr groß …“ Das Publikum staunt ein wenig: Was soll denn das sein? Rilke ist definitiv nichts für Comedyfreaks. Rilke ist auch nichts für Kabarettfans. Wie die einen auf den ersten großen Lacher warten, warten die anderen auf den großen Oberlehrerzeigefinger. Vergeblich.

Namen wie Merkel und Müntefering tauchen im neuen Programm, wenn überhaupt, nur sehr am Rande auf. Die aktuelle Politik interessiert nicht. Es gibt aus Jochimsens Sicht nichts dazu zu sagen. Nichts, was nicht schon lange und ausführlich gesagt worden wäre. Jochimsen möchte der großen Politik nicht mitteilen, wie sie zu sein hätte. Er guckt vielmehr, welche Auswirkungen die große Politik auf das kleine Leben hat. Wie verändern sich Menschen, wenn die Unsicherheit, wie die sich immer schneller ändernden Bedingungen des Lebens zu bewältigen sind, größer werden? Wie haben sich die Menschen dabei verändert? Welche Formen von Sinn- und Stillosigkeit dominieren uns? Ist Nordic-Walking gesund oder Blödsinn? Muss man die Schuhe nach Durchschreiten der Haustür aufgrund eines göttlichen Gebotes ausziehen? Ist Passivrauchen wirklich eines der zentralen Probleme der Menschheit?

Das Publikum staunt schon wieder, besonders wenn sich Jochimsen und Bendiks auf der Bühne eine anstecken und genießerisch den Rauch in den Raum blasen. Dürfen die das? Darf man die mehr oder weniger stillschweigend vereinbarten Codes politischer, gesundheitlicher, gesellschaftlicher Korrektheit einfach so in Frage stellen?

Wenn es nach Jess Jochimsen ginge, darf man natürlich. Manchmal muss man sogar – wie viele Säulen ewiger Wahrheiten hat man schließlich schon bröckeln und jämmerlich in sich zusammenfallen gesehen? Schließlich hat ein Mensch auch eigene Erfahrungen, die er in seinem eigenen Leben gemacht hat. Und zu denen darf er stehen. Auch wenn er ein paar Jährchen jünger aussieht, als er in Wirklichkeit ist.