„Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom“

INTERVIEW JENS KÖNIG
UND DANIEL SCHULZ

taz: Herr Lafontaine, Sie sind neben Gregor Gysi der Geburtshelfer der neuen Linkspartei. Doch die einstige Begeisterung über Sie, den prominenten Neuzugang aus dem Westen, hält sich bei der PDS im Osten mittlerweile sehr in Grenzen. Irritiert Sie das?

Oskar Lafontaine: Ganz und gar nicht. Wenn der Versuch unternommen wird, für die neue Linke eine programmatische Linie zu finden, dann geht das nun einmal nicht nicht ohne Auseinandersetzungen und Reibungsverluste. Wir diskutieren etwa die Frage, ob Wohnungen, Krankenhäuser und Wasserbetriebe privatisiert werden dürfen. Da ist es doch selbstverständlich, dass wir auch die Arbeit des rot-roten Senats in Berlin kritisch unter die Lupe nehmen. Im Übrigen gibt es nicht nur Kritik an meiner Person. Überall im Osten, wo ich auftrete, finde ich große Zustimmung.

Viele ostdeutsche Landespolitiker fühlen sich von Ihnen bevormundet.

Ich respektiere andere Auffassungen – habe aber auch eine eigene Meinung.

Sie seien eine Machtmaschine, klagen führende Genossen der PDS. Sie allein wähnten sich im Besitz der Wahrheit und würden definieren, was links ist: keine Kriege, kein Hartz IV, keine Privatisierungen, keine Koalitionen mit der SPD.

Ich muss ja ein fürchterlicher Geselle sein. Im Ernst: Die ersten drei Punkte sind in unseren Parteien völlig unstrittig. Überhaupt zeigt das bislang erarbeitete Programm, dass in den großen Linien zwischen Linkspartei.PDS und WASG Übereinstimmung herrscht. Und was Koalitionen mit der SPD angeht – ich sage jetzt zum wiederholten Male: Ich bin nicht gegen sie. Das wäre doch auch absurd. Ich habe 25 Jahre Regierungsverantwortung getragen. Aber als Linker darf ich nur dann regieren, wenn ich auch etwas verändern kann.

Wann wird das auf Bundesebene möglich sein?

Sofort – das ginge, wenn die SPD wieder für einen starken Sozialstaat kämpfen und zur Außenpolitik Willy Brandts zurückkehren würde. Solange sie das nicht tut, und im Moment spricht nichts dafür, gibt es keine linke Regierung.

Sie tun jetzt ganz entspannt. Aber als in der Fraktion an Ihrem „Gründungsmanifest“ für die neue Linke herumgemosert wurde, haben Sie einige Genossen zusammengefaltet. Anderen empfahlen Sie den Übertritt zur FDP. Können Sie Widerspruch nicht ertragen?

In meinem politischen Leben ist mir ständig widersprochen worden – das halte ich schon aus. Aber ich nehme mir dann auch das Recht heraus, auf den Widerspruch zu reagieren.

Sind das kulturelle Konflikte, die die Linke jetzt erlebt? Verstehen die harmoniesüchtigen Ostler die kampferprobten Westler nicht? Oder stecken dahinter politische Differenzen?

Es ist beides, und das kann doch auch gar nicht anders sein. Wir kommen aus völlig unterschiedlichen politischen Kulturen. Doch die im Zeitalter des Neoliberalismus unausweichliche Debatte, wie weit eine linke Partei gehen darf, wenn sie mitregieren will, lässt sich nicht auf einen Ost-West-Gegensatz reduzieren. Die Konfliktlinien ziehen sich quer durch beide Parteien.

Wächst da in der Linken zusammen, was nicht zusammengehört?

Wir gehören zusammen. Allein die Tatsache, dass es uns gibt und wir die Debatten in dieser Republik verändert haben, ist ein Beweis dafür.

Das sagt noch nichts darüber aus, ob die Linkspartei erfolgreich sein wird.

Wir sind es bereits. Dass 69 SPD-Abgeordnete gegen die Entsendung der „Tornados“ nach Afghanistan gestimmt haben, dass die CDU über die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I redet, dass die Grünen über eine Revision von Hartz IV nachdenken, dass selbst Westerwelle das Wort „soziale Gerechtigkeit“ in den Mund nimmt – das wäre ohne uns nie passiert, auch wenn die anderen Parteien das bestreiten.

Es gibt in der Linkspartei viele ungeklärte Fragen, zum Beispiel die, was genau soziale Gerechtigkeit ausmacht. Nehmen wir die Familienpolitik. Christa Müller, Ihre Frau, familienpolitische Sprecherin der saarländischen Linken, hat die Kritik des katholischen Bischofs Mixa an der Politik der Familienministerin unterstützt. Sie sprach vom „öffentlichen Propagandafeldzug für die Fremdbetreuung von Kleinstkindern“ und behauptete, die Trennung von der Mutter würde kleinen Kindern schaden. Viele Frauen und Männer in der Linkspartei heulten auf.

Das Thema hat sich in der Diskussion als gar nicht so konfliktreich erwiesen.

Das sagen Sie.

Das zeigt die Tatsache, dass sich die Linksfraktion im Bundestag fast einstimmig auf ein familienpolitisches Konzept geeinigt hat.

Teilen Sie etwa die Position Ihrer Frau? Sie fordert die Einführung eines Erziehungsgehaltes für alle Mütter – „Hausfrauenprämie“, spotten die Genossinnen aus dem Osten.

Viele Frauen im Westen, die zu Hause die Kinder großziehen, empfinden die Frage, ob sie überhaupt arbeiten, als bodenlose Unverschämtheit. Es ist daher in der Westlinken unumstritten, dass die Kindererziehung oder auch die Pflege älterer Menschen als gesellschaftlich notwendige Arbeit honoriert werden muss. Das ist doch kein Rückschritt.

Aber es geht heute vor allem um die Frage, wie Eltern Kinder und Beruf miteinander verbinden können.

Eben. Und da hat meine Frau dem katholischen Bischof in einem Punkt recht gegeben: Dass von der Leyens Politik das alleinige Ziel hat, gut ausgebildete Frauen möglichst schnell wieder in den Beruf zu bringen. Das kann nicht der Ansatz linker Familienpolitik sein. Unsere Familienpolitik muss das Wohl der Kinder im Auge haben. Sie muss Eltern, auch denen mit wenig Geld, die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, wie sie in den ersten Jahren die Erziehung ihrer Kinder handhaben wollen. Wahlfreiheit haben bei von der Leyen nur die Besserverdienenden. Wenn das die katholische Kirche ähnlich sieht, muss das die Linke noch lange nicht für falsch halten.

Was ist der historische Auftrag der Linkspartei? Die bessere SPD zu sein?

Nein. Unser Auftrag lautet, die Fehlentwicklungen der deutschen Politik hin zu Sozialabbau und völkerrechtswidrigen Kriegen zu korrigieren.

Dabei beziehen Sie sich immer auf die SPD. Sie sagen: Heute vertreten wir das Programm der SPD von 1998.

Wir konkurrieren mit der SPD – und sie hat alle ihre Ziele von einst aufgegeben. Das heißt aber nicht, dass wir uns auf die SPD fixieren oder gar ihr Erbe antreten wollen. Wir fühlen uns in der Tradition Karl Liebknechts, wenn wir gegen deutsche Kriegsbeteiligungen stimmen, und in der Tradition Rosa Luxemburgs, wenn wir den politischen Streik fordern.

Warum arbeiten Sie sich eigentlich ständig an Ihrer alten Partei ab?

Sie tun das – ich nicht. Parteien sind nicht um ihrer selbst willen da. Die Linke will die Interessen der Mehrheit der Bevölkerung vertreten.

Ein bisschen kleiner haben Sie es nicht?

Wir kämpfen um diese Mehrheiten. Wir wollen die Bürger ermuntern, ihre Interessen selbst wahrzunehmen, so dass nicht 90 Prozent der Arbeitnehmer Lohnkürzungsparteien wählen und nicht 90 Prozent der Rentner Rentenkürzungsparteien.

Hinter der Frage, was die Linkspartei will, steht auch immer das Rätsel, was der Ex-SPD-Chef Lafontaine mit der Linkspartei will. Rache am alten Rivalen Schröder? Trauerarbeit leisten, weil er seinen Rücktritt von 1999 bereut? Die Linke und die SPD vereinen? Vielleicht können Sie das Rätsel ja lösen.

Wenn Schröder mein Thema gewesen sein sollte – das hätte sich jetzt ja wohl erledigt.

Rache war kein Motiv für Sie?

Nein. Diese ganzen Spekulationen und Psychologisierereien führen am Kern der Sache vorbei. Ich will, dass es in Deutschland einen Mindestlohn gibt und keine Kürzung der Rente. Das treibt mich an.

So selbstlos?

Ich konzentriere mich auf die politischen Themen, das macht meine Arbeit seit vielen Jahren aus. Alles andere ist fürs Feuilleton.

Gregor Gysi ist so etwas wie Ihr Anwalt. Er verteidigt Ihre Ganz-oder-gar-nicht-Haltung gegenüber seinen Ostgenossen. „Lafontaine kommt aus einer Partei, die in Westdeutschland immer zum Establishment gehört hat“, sagte Gysi neulich im „Spiegel“-Interview. „Er hat sich nun entschlossen, bewusst außerhalb zu stehen – auf Ausgrenzung ist er eingestellt. Ich gehöre zu einer Partei, die immer ausgegrenzt wurde. Viele von uns ringen um Akzeptanz.“ Hat Gysi recht?

Die Linke hatte es in Deutschland immer schwer, da muss man sich nur die Geschichte des letzten Jahrhunderts ansehen. Wer linke Politik macht, entscheidet sich dafür, gegen den Strom zu schwimmen. Nur tote Fische schwimmen mit dem Strom.

Brauchen Sie einen wie Gysi an Ihrer Seite? Einen Oskar-Lafontaine-Erklärer?

Ach, es gibt in diesen Tagen wieder viele „Oskar-Erklärer“. Ich hatte in meinem politischen Leben noch nie Schwierigkeiten, mich den Leuten verständlich zu machen. Ich brauche keinen Dolmetscher. Davon abgesehen kommen Gysi und ich gut miteinander aus – vielleicht gerade deswegen, weil wir so unterschiedlich sind. Wir ergänzen uns gut, in unseren Stärken wie in unseren Schwächen. Unsere Zusammenarbeit läuft entgegen allen Prognosen hervorragend.

Was sind denn Ihre Schwächen, die Gysi wettmacht?

Gysi ist ein Mann mit sehr viel Humor. Er kann politische Konflikte mit Charme und Witz entschärfen. Ich spitze eher zu. Als Doppelpack sind wir einfach unwiderstehlich.