Kritik und Luftblasen

Buchmesserei (2): Michail Ryklin und Gerd Koenen erhielten den Leipziger Buchpreis zur europäischen Verständigung. Die Politikerreden waren schlimm, dafür die Kritik an Putin brillant

VON DIRK KNIPPHALS

Ein paar Floskeln gefällig? Hier sind sie. „Gute Bücher mögen sich nicht immer rechnen, aber sie zahlen sich aus.“ Oder: „Wir wollen nicht jedem Trend hinterherlaufen, dürfen aber auch nicht auf der Stelle treten.“ Oder: „Wir brauchen die ständige Metamorphose des Buches.“ Solche Sätze sprachen am Mittwochabend zur feierlichen Eröffnung der Leipziger Buchmesse nacheinander Burkhard Jung, Oberbürgermeister der Stadt Leipzig, Gottfried Honnefelder, Vorsteher des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, und Georg Milbradt, Ministerpräsident des Freistaates Sachsen.

Man muss sich das so vorstellen: Gewandhaus Leipzig, festlich gekleidete Menschen, Rahmenprogramm mit Thomasorganist Ullrich Böhme (Johann Sebastian Bach, Toccata und Fuge d-Moll BWV 565) sowie Gewandhausorchester unter Dirigent Robin Ticciati (Schubert, 4. Sinfonie, 2. Satz sowie Edward Elgar, Serenade für Streicher op. 20). Große Bühne also. Und dann treten Politiker ans Pult und überbieten sich in Bildungsbeflissenheit, als wollten sie Streicheleinheiten dafür bekommen, dass sie das Buch für eine gute Sache halten. Zum Glück ist man ja gut erzogen. Das war das Einzige, was einen davon abhielt, sich die Haare zu raufen oder gar Buh zu rufen. „Vertrauen Sie der Macht des Wortes“, hatte Burkhard Jung noch geraten. Aber eben so ist es um die Macht des Wortes bestellt: Wenn es nicht klar gehandhabt wird, verfällt sie sofort. So wie im ersten Teil der Eröffnung.

Im zweiten Teil folgte die Verleihung des Leipziger Buchpreises zur europäischen Verständigung an Michail Ryklin und Gerd Koenen, sie rettete den Abend. Der Kontrast zum ersten Teil hätte kaum größer sein können. Kerstin Holm, Moskauer Kulturkorrespondentin der FAZ und die Laudatorin, hatte zwar mit Zischlauten und der Mikrofonanlage zu kämpfen, aber inhaltlich waren ihre Ausführungen glasklar. Putin arbeite daran, den russischen Untertanenstaat zu restaurieren. Keime einer Zivilgesellschaft, die in der russischen Gesellschaft in den Neunzigerjahren vorsichtig gesprossen waren, würden nun systematisch wieder zerstört. Liberale Künstler und Intellektuelle würde als leichte Gegner ausgesucht. Kunstausstellungen würden gestört, bedroht, vandalisiert. Insgesamt trage Putins Regime Züge einer Polizeigesellschaft. Sodann warb Kerstin Holm für eine „Kunst der Freundschaft“ zu Russland und für das zivilisatorische Projekt, Europa bis an den Pazifik zu verlängern. Dass das aber nicht geht, wenn man die gegenwärtigen Zustände akzeptiert, machte sie sehr deutlich. Dann redeten die Preisträger.

Ebenso wie Kerstin Holm nahmen sie kein Blatt vor den Mund. Eine Niederlage der kritischen Sprache der zeitgenössischen Kunst in Russland konstatierte Michail Ryklin, der russische Philosoph, der für seinen Essay „Mit dem Recht des Stärkeren. Russische Kultur in Zeiten der gelenkten Demokratie“ (Suhrkamp Verlag) die eine Hälfte des Preises zugesprochen bekommen hatte. Ryklin kam direkt auf den deutschen Exkanzler Gerhard Schröder zu sprechen. Das offene Russland brauche andere Unterstützung als nur funktionierende persönliche Beziehungen zum russischen Präsidenten.

Gerd Koenen, der die zweite Hälfte des Preises für seine große Studie „Der Russland-Komplex“ (Beck Verlag) bekommen hatte, warnte ebenso vor einer unkritischen Freundschaft zu Russland. Er mahnte realistische Beziehungen zu diesem Staat an, gerade auch aus der Erfahrung der deutschen Russlandschwärmerei in der ersten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts heraus, die er in seinem Buch beschrieben hatte. Dann erwähnte Koenen Anna Politkowskaja: Der Mord an dieser Journalistin müsse eine Mord zu viel sein, der nicht mehr hingenommen werde.

So vertrauten die Laudatorin und die Preisträger der Macht des Wortes. Danach waren am Mittwoch in den Foyers des Leipziger Gewandhauses die Buffets eröffnet.