Grüne wollen drüber reden

Zwei Frauen sollen lautstarke Stimme der Grünen-Basis werden: Barbara Oesterheld und Irmgard Franke-Dressler. Vor dem Parteitag am Samstag versprechen beide, mehr Basisdemokratie zu wagen

VON MATTHIAS LOHRE

Paradox klang es schon damals. Eine „Anti-Parteien-Partei“ schwebte der Grünen-Mitgründerin Petra Kelly einst vor. Eine politische Kraft, die Bürgerinitiativen und andere soziale Gruppen bündelt und ihnen eine Stimme gibt. Ganz anders als die starren Honoratioren- und Stallgeruchparteien der Bundesrepublik. Mehr als ein Vierteljahrhundert später scheint es, als wollten die Berliner Grünen etwas von diesem verschütteten Erbe freilegen. Allen voran zwei Frauen.

Irmgard Franke-Dressler und Barbara Oesterheld werden die Partei in den nächsten zwei Jahren führen. Zumindest steht ihre Kür zum Vorsitzendenduo auf dem Parteitag am kommenden Samstag so gut wie fest. Wie in jeder gewöhnlichen Parteien-Partei haben Kreisverbände, Bezirks- und Landesparlamentarier zuvor gehorcht, wer wem die Stimme geben wird.

Im Gegenzug versprechen die beiden Altgrünen einiges: Sie wollen der Basis mehr Gehör in der Fraktion und der Stadt verschaffen. Die scheidenden Landeschefs Almuth Tharan und Till Heyer-Stuffer gelten vielen Grünen als zwar loyale, aber blasse Parteisoldaten. Kaum jemand in der Stadt kennt sie. Ganz anders die Abgeordnetenhausfraktion. Ihre Mitglieder kommentieren öffentlichkeitswirksam so gut wie alles, von der Einführung der Umweltzone bis zum Verkauf der Sparkasse. Eine Stimme für die mehr als 3.500 Parteimitglieder wird da immer dringlicher. Erst recht, seit die Fraktion von 14 auf 23 Köpfe angewachsen ist. Obendrein sollen die zwei Frauen die Kreisverbände besser untereinander verknüpfen. Aus Grünen-Sicht prädestinieren gerade ihre Unterschiede sie für den Job.

Die 55-jährige Oesterheld gilt als linkes Gewissen ihrer Partei. Die Kreuzbergerin, die als eine der ersten Hauptstadt-Grünen ein Direktmandat gewann, arbeitete sich bis zur vergangenen Abgeordnetenhauswahl elf Jahre lang im Parlament an den sperrigen Themen Wohnungsbau und Bankenskandal ab. Diese glanzlosen Mühen zahlen sich heute aus. Oesterheld kann kompetent auch zu aktuellen Themen sprechen. „Die Partei muss basisdemokratisch diskutieren und dann die Leitlinien für die Politik vorgeben“, fordert Oesterheld. „Über die Gemeinschaftsschule, den Verkauf von Landesunternehmen und den Umgang mit Landeswohnungen darf nicht allein die Abgeordnetenhausfraktion diskutieren.“

Das sieht Irmgard Franke-Dressler ähnlich. „Wir wollen Interessierten niedrigschwellige Angebote machen, bei uns mitzuarbeiten. Wir planen Kampagnen zum Klimaschutz und zur Gemeinschaftsschule und setzen dabei auch auf externen Sachverstand.“ Die Fraktionschefin in Steglitz-Zehlendorf hat im Herbst Berlins erste schwarz-grüne Zählgemeinschaft auf Bezirksebene eingefädelt – ausgerechnet im bürgerlichen Südwesten. Die Öffnung zu neuen Bündnissen macht die 60-Jährige für neue Wählerschichten interessant. Allerdings könnte der Bildungspolitikerin ihre Haltung zur Umbenennung der Treitschkestraße noch die Wahl vermasseln (siehe Interview).

Ist das Rennen also noch offen? Einzig der Schauspieler Matthias Dittmer tritt gegen die Frauenriege an. Der 52-Jährige aus Pankow rechnet sich „Außenseiterchancen“ aus, kann aber nicht auf die offizielle Unterstützung eines Kreisverbands zählen. Ähnlich wie seine Mitbewerberinnen will Dittmer, dass die Basis künftig mit breiterer Brust auftritt, eine Klimaschutzkampagne anschiebt und mehr über Familienpolitik diskutiert. Der Kandidat ist zuversichtlich: „Ich bin der Außenseiterkandidat, ich kann nur gewinnen.“ Da steht er ganz in der Tradition der einstigen „Anti-Parteien-Partei“.