Von Panik bis Balance

Die Kamera tanzt mit: „Cluster“ heißt der erste große Bildband von und über die Choreografin Sasha Waltz, die dieses Jahr zwei Opern inszenieren will, und ihre Company. Ein schöner Blick auf die Kontinuität ihrer Motive und fünfzehn Jahre Tanztheater aus einer sich verändernden Stadt

Zusehen kann man dem Transport und der Transformation von Erfahrung

VON KATRIN BETTINA MÜLLER

In der Fotografie gerinnt die Zeit. Das ist für die Fotografie des Tanzes, der den Verlauf und die Auflösung immer über das Festhalten der Bilder stellt, eine besondere Herausforderung. Jedes Tanzstück verändert sich in den Bildern, die es von ihm gibt. Deshalb sind Bücher über Tanz nicht selten eine Enttäuschung, entziehen sie der Wahrnehmung doch oft das Entscheidende, die ständige Transformation, und lassen nur die Pose übrig.

„Cluster“, der erste große Bildband, den die Berliner Company Sasha Waltz & Guests über die Stücke der Choreografin herausgibt, ist da eine positive Überraschung. Was die Arbeit von Sasha Waltz oft so stark macht, die Beziehung der Körper auf die Architektur und den Raum als ein soziales Konstrukt zu begreifen, das von den Tänzern ständig neu formuliert wird, setzt sich in den Bildern fort. So wie sich ihre Bewegungssprache nie in die starre Kadrierung einer Guckkastenbühne sperren ließ, sondern die Öffnung des Raums suchte, so überwindet auch die Fotografie ihrer Stücke meistens die an der Rampe fixierte Position.

Zu ihren Fotografen gehören prominente Künstler wie Andre Rival, oder Bewegungsschwärmer, die aus der Tanzfotografie ein eigenes Genre entwickelt haben, wie Bernd Uhlig. Mit den Bildern, oft über Doppelseiten gedruckt, lässt das Buch die Stücke von Sasha Waltz aus 15 Jahren Revue passieren. Man könnte, wenn man wollte, ihr bisheriges Werk seit Anfang der 90er Jahre gut in Beziehung zu den Entwicklungen der Zeit setzen. Die erste Trilogie „Travelogue“ (1993–1995) lotet das wilde Leben in der Nische aus, erfindet junge und verspielte Geschichten und passt zu der Entdeckung neuer Spielräume im Berlin der Nachwendezeit. Mit „Zweiland“ und „Allee der Kosmonauten“ weitet sich soziologisch und historisch der Blick, die Familie wird als Biotop umkreist und Märchenfiguren werden als Allegorien der Geschichte erfunden. Die erste Trilogie, die an der Schaubühne entstand (2000–2002), wirkt rückblickend auch wie eine Phase der Etablierung – die Formen werden abstrakter, die Spielräume und das Ensemble größer, die erzählerischen Kurven eleganter. Während die Stücke ab 2003 wie „insideout“ und „Gezeiten“ das Leben und seine Verunsicherung wieder konkreter unter den Vorzeichen der Globalisierung untersuchten.

Allein auf die Herstellung solcher Bezüge verzichtet das Buch. Nur drei schmale Essays von Judith Butler, Carolin Emcke und Dorita Hannah gehen auf philosophische, identitäts- und genderpolitische Kontexte ein, die in den Tanzstücken bearbeitet werden – weiter aber gibt es keine Texte zu den Stücken. Stattdessen helfen gestalterische Elemente, die Beziehung zwischen den Recherchen der Choreografin, ihren Improvisationen mit anderen Künstlern und ihren ausformulierten Stücken sichtbar werden zu lassen. In kleineren Formaten und auf anderem Papier sind solche vorausgegangenen Exkursionen zwischen die Bilder eines Stücks geheftet. Das ergibt sehr schöne Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Räumen, wie zum Beispiel zwischen dem verwitterten Zustand der Sophiensäle, die Sasha Waltz 1996 mit gegründet hat, und der Schaubühne, an der sie ihre Stücke seit 1999 herausgebracht hat. So kann man dem Transport und der Transformation von Erfahrung förmlich zusehen.

Ihrer ersten Operninszenierung von 2005, „Dido & Aeneas“, werden 2007 zwei weitere folgen: „Romeo & Juliette“ von Hector Berlioz an der Opéra de Paris im Oktober, und im Mai „Medea“ zur Musik von Pascal Dusapin in Luxemburg. Insofern ist das Buch zu einem Zeitpunkt von großen Umbrüchen entstanden, sowohl in den künstlerischen Zielen als auch in den ökonomischen Verhältnissen ihrer Produktionen. Es ist so etwas wie die Komprimierung dessen, was bisher geschah und lässt dabei zum einen erkennen, wie selten sich diese Choreografin bisher wiederholt, wie oft sie sich neue Zugänge erarbeitet hat. Zum andern werden Kontinuitäten betont, die sie sicher von der bisherigen Arbeit in die neuen Kapitel mit hinübernehmen will. Da gibt es einige großgeschriebene Begriffe, in die Bilder hineingestempelt, eine Sammlung fortgesetzt bearbeiteter Motive und Metaphern: „Monster, Sacrifice, Amok, Panik, Stammbaum, Balance“. Mit ihnen ist das Feld umstellt, das Carolin Emcke in ihrem Essay „Verwandlung als Form des Überlebens“ so beschreibt: „Im Durchgang durch die Verluste und Versehrungen, die möglich sind, entsteht erst das Bewusstsein für die Gabe des unversehrten Körpers.“

Sasha Waltz: „Cluster“. Erschienen im Henschel Verlag, 2007, 196 Seiten 39,90 Euro