Wer mahnt, verliert

Im Vatikan fand parallel zu den EU-Zeremonien in Berlin ein etwas anderer Europagipfel statt. Glücklicherweise sind die politischen Ideen des Papstes und der Seinen längst nicht mehr relevant

von JAN FEDDERSEN

Was da inmitten der italienischen Hauptstadt zelebriert wurde, war quasi eine Art konterreformatorische Versammlung. Auf Einladung von Papst Benedikt XVI. kam eine Bischofskonferenz der EU zusammen, um sich einen katholischen Reim auf die 50-jährige Geschichte des vereinten Europa zu machen. Und der, verkündet aus dem Munde des Papstes, geht so: Man dürfe nicht „die Identität der Völker des Kontinents“ vergessen, außerdem müsse sich Europa hüten, bei grundlegenden Werten Kompromisse einzugehen.

Was nett klingt, wird weiters erläutert: Die niedrige Geburtenrate müsse als Indiz für dieses beklagenswerte Selbstverständnis genommen werden. Wörtlich heißt es: „Man könnte fast meinen, dass der europäische Kontinent den Glauben an seine Zukunft verliert.“ Der Trend der Bevölkerungsentwicklung gefährde den sozialen Zusammenhalt und fördere „gefährlichen Individualismus“. Der Klerus katholischer Provenienz fühlt sich also mählich auf verlorenem Posten – wer mahnt, hat schon verloren.

Tatsächlich findet sich in der „Berliner Erklärung“ kein Gottesbezug – wie schon in der Europäischen Verfassung kein Verweis auf Gott durchzusetzen war. Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach in ihrer Rede zwar von den „jüdisch-christlichen Wurzeln“ Europas, wies diesen Hinweis jedoch als „persönlich“ gemeint aus. Insbesondere Frankreich, Spanien und die skandinavischen Länder haben schon gegen die zu den Akten gelegte Verfassung Europas ihr Nein mitgeteilt, als es um eine Formulierung zur christlichen-jüdischen Geschichte Europas ging. Frankreich, weil es sich seit der Französischen Revolution als laizistisch versteht; Skandinavien, weil es christlich geprägt ist – aber den Kirchen keine entscheidende Mitsprache in politischen Dingen einräumt.

Was der Papst und die Seinen wünschen, ist ohnehin keine neue Wertedebatte, wie sie ein kulturell offenes Europas nötig hätte, sondern eine Privilegierung des Katholizismus. Und diese ist in Wirklichkeit nicht in Werten verkörpert, sondern, lässt man den Papst zu Wort kommen, in dessen Begehrlichkeiten nach einer Bevölkerungspolitik, die die Ächtung der Homosexualität zur Voraussetzung hat und ein Abtreibungsverbot. Der Vatikan tönt nur deshalb hin und wieder freisinnig, weil er muss: Er ist eben kein weltlich operierendes Zentralkomitee wie im Mittelalter mehr.

Ein Gottesbezug muss in einer neuen europäischen Verfassung auch deshalb fehlen, weil mit ihm alle Annäherung an die Türkei vereitelt würde.

Was der Papst zu beanstanden hat, ist ohnehin die Verdrehung einer historischen Wahrheit: Europa kam in seiner heutigen Ausprägung erst mit Hilfe der Aufklärung und der Säkularisation überhaupt zum Frieden. In dieser Hinsicht muss es nicht verboten sein, die jüdisch-christlichen Wurzeln im Diskurs zu verneinen – aber eine Verfassung hat religionsfern zu sein. Die Kirche, vor allem die katholische wie in Osteuropa die orthodoxe, hat sich allen freiheitlichen Impulsen stets widersetzt. Ihre Mitglieder mögen sich totalitären Regimen widersetzt haben, dem Nationalsozialismus oder dem Stalinismus – aber was ihre Kader stattdessen haben wollten, waren christliche, keine freiheitlichen Gesellschaften. Fast alles, was in einem freien Europa liberal sein kann, musste gegen die Kirchen durchgesetzt werden.

Fehlt eine ausdrückliche Erwähnung des Christlich-Jüdischen in einer Verfassung, wäre dies ihre kostbarste Errungenschaft: Europa – siehe Polen, Irland oder Österreich und alle deren muffige, antiliberale, hetzerische und menschenfeindlich klerikale Systeme – hat nicht zu wenig amtskirchlich definierte Werte, sondern immer noch zu viel. Kirchen, wie die papistische, können und sollen Anregungen formulieren – wie hunderttausende Bürgerinitiativen auch.

Ob Europa nicht an Spiritualität verlöre – das Pendant zur Vernunft? Warum denn? Kann doch jedeR selbst regeln, wie und mit wem er oder sie sich das Außerweltliche denkt. Religion muss doch frei sein, nicht ein Zwang.