Die deutsche Linke und der Punkt

Die Parteitage schufen die organisatorischen und juristischen Voraussetzungen für die Fusion beider Parteien. Diese soll am 16. und 17. Juni auf einem Vereinigungsparteitag vollzogen werden. Für die Satzung, die Finanzordnung und die Schiedsordnung musste jeweils die einfache Mehrheit der anwesenden Delegierten zustimmen. In den programmatischen Eckpunkten bekennt sich die neue Linke zum „demokratischen Sozialismus“ als „zentrale Leitvorstellung“. Auslandseinsätze der Bundeswehr und UN-Einsätze nach Kapitel VII der UN-Charta lehnen die Parteien „unter den gegenwärtigen Bedingungen“ ab. Beide Parteitage setzten sich für eine Frauenquote in der Politik und ein Gleichstellungsgesetz für die Wirtschaft ein. Bei der Frage der Regierungsbeteiligung gab es Konflikte zwischen WASG und PDS. Erstere wollte eine Beteiligung an einer Regierung daran knüpfen, kein öffentliches Eigentum zu privatisieren und im öffentlichen Dienst keine Stellen zu streichen. Das lehnte die PDS ab. In dem gemeinsamen Beschluss heißt es jetzt, dass die „öffentliche Daseinsvorsorge nicht privatisiert“ werden dürfe. Die programmatischen Eckpunkte sind nicht das neue Parteiprogramm. Dieses soll erst bis zum Jahre 2008 formuliert werden. Mit Zweidrittelmehrheit stimmten WASG und PDS ihrer Verschmelzung zur neuen Partei DIE LINKE. zu. Über die Fusion selbst müssen beide Parteien in Urabstimmungen entscheiden. Diese beginnen am 30. März und gehen bis zum 18. Mai dieses Jahres. DAS

AUS DORTMUND JENS KÖNIG
UND DANIEL SCHULZ

Jetzt kommt die Sache mit dem Punkt. Es geht um den Antrag BS 10-036. Der Name der neuen Partei soll nicht „DIE LINKE.“ heißen, sondern nur „DIE LINKE“. Ohne Punkt dahinter. In der Begründung des Antragstellers heißt es lapidar: „Der Punkt im Namen soll weg.“

Mit verhandelt wird auch gleich der Antrag BS 6-072 aus dem Landesverband Saar. Die neue Partei müsse den Namen „DIE LINKE.WAHLALTERNATIVE“ tragen, wird darin gefordert. Antrag BS 8-073 von Kreisverband Neunkirchen wird ebenfalls aufgerufen. Als Name wird „DIE LINKE.WASG“ vorgeschlagen. Und Antrag BS 94-267 aus Limburg. „Die Linke. ASG Arbeit und soziale Gerechtigkeit“ soll die Partei heißen. Und Antrag BS 9-074. Der Kreisverband Calw fordert die Streichung des Namens „Die Linke“. Auch „Die neue Linke“ wird abgelehnt. Wie die Partei heißen soll, wissen die Genossen aus Calw auch nicht. Dazu steht nichts in ihrem Antrag.

Es ist jetzt genau 18.15 Uhr. Die knapp 400 Delegierten der WASG haben an diesem Samstagabend schon acht Stunden Parteitag hinter sich. Wie viele Stunden noch vor ihnen liegen, kann keiner sagen. Aber die Zeit drängt. Die Genossen müssen sich noch mit 150 Anträgen befassen. Die Versammlungsleitung hat die Delegierten ganz am Anfang des Parteitages auf den Ernstfall vorbereitet: Wenn es sein müsse, würden eben alle in der Halle übernachten, hieß es.

Die Drohung verfehlt ihre Wirkung nicht. Mit jeder Stunde legt sich über den Parteitag mehr und mehr der organisationsgestählte Geist der IG Metall. „Wir können uns nur noch selbst stoppen“, hatte Klaus Ernst vom WASG-Bundesvorstand in seiner Antrittsrede gemahnt, „die anderen können es jedenfalls nicht mehr.“ Die Abstimmungsmaschine läuft effizient, sie erzeugt kaum Nebengeräusche. Drei, vier kontroverse Debatten zu Antragsformulierungen, mehr Aufruhr findet heute nicht statt. Die Sache mit dem Namen ist nach einer Minute abgehakt: Alle Anträge abgelehnt. Die neue Partei soll „DIE LINKE.“ heißen. Mit Punkt. Es ist 18.16 Uhr.

Nur 50 Meter weiter, gleich in der Halle nebenan, ist die Linkspartei.PDS schon ein paar Tagesordnungspunkte weiter. Sie stimmt gerade über die Bundesfinanzordnung der neuen Partei ab. Organisation und Disziplin haben die meisten Genossen hier in einer Zeit gelernt, als ihr Gott noch in Moskau residierte und Leonid Breschnew hieß. Sie haben kein Problem damit. Also wird nur noch um Formulierungen gerungen. Ob der Kapitalismus einfach so oder durch einen „transformatorischen Prozess“ überwunden werden soll. Ihr Parteichef Lothar Bisky hat ausdrücklich darum gebeten, der Bildung der neuen Partei doch bitte schön Priorität einzuräumen, und „die Frage, wie lang Regenwürmer sind, noch um ein Jahr zu verschieben“.

Die PDS führt den Parallelparteitag zur WASG auf: die gleiche Zahl der Delegierten, der gleiche Ablauf, die gleichen dicken Antragshefte, das gleiche Ziel. Am Ende sollen beide Parteien durch die Annahme eines sogenannten Verschmelzungsvertrages die letzte Hürde für ihre Fusion nehmen. Dazu müssen sie gemeinsame programmatische Eckpunkte beschließen, die Satzung der neuen Partei, die Finanzordnung, die Schiedsordnung, die Wahlordnung. Jede Formulierung, jeder Spiegelstrich, jeder Paragraf ist nur dann gültig, wenn er die Zustimmung beider Parteien findet. Und da PDS und WASG im rechtlichen Sinne gar keine Parteien mehr, sondern Vereine sind – diese Umwandlung war im Zuge der gleichberechtigten Fusion notwendig geworden – muss jedes beschlossene Papier am Ende auch noch notariell beglaubigt werden.

Bei diesem bizarren Doppel-Schauspiel in den Dortmunder Westfalenhallen ist es ein Kinderspiel, den Überblick zu verlieren – sofern man ihn je hatte. Insgesamt 600 Anträge stehen zur Abstimmung; die der PDS sind weiß markiert, die der WASG grau. „Wir sind im Abstimmungsheft 2 auf Seite 36, es geht um die Zeilen 1.114 bis 1.136“, ruft die Versammlungsleiterin. Hier soll gerade jede Form von Rassismus und Antisemitismus auf dieser Welt verurteilt werden. Die Delegierten suchen. Das Material in ihren Händen ist so dick wie Thomas Manns „Zauberberg“. Als Oskar Lafontaine gefragt wird, ob er etwa alle Antragshefte gelesen hat, lacht er laut. Es klingt wie: Ich bin doch nicht irre. „Ich habe ein bisschen geblättert“, sagt er.

Dass zwei linke Parteien in zwei nebeneinanderliegenden Sälen ihre Verliebtheit fürs lebensfremde, organisatorische Detail bis über die Schmerzgrenze hinaus ausleben, lässt sie an diesem Wochenende aussehen wie eine doppelte Hauptversammlung der deutschen Steuerberatungsgesellschaften. Ein Aufbruchsignal für die neue, vereinigte Linke? Es gibt ja nicht einmal ein Bild, das die beiden Parteien gemeinsam zeigt. Selbst als am Sonntagnachmittag der wichtige Verschmelzungsvertrag endlich beschlossen ist und unter den Delegierten das erste Mal so etwas wie Jubel ausbricht, ist nichts von Vereinigung und Symbolik zu sehen. In Halle 2 singen sie die „Internationale“ allein.

Die Einzigen, die die Verbindung nicht abreißen lassen, sind Gysi und Lafontaine. Mal lässt sich Gregor Gysi bei der WASG sehen, mal Oskar Lafontaine bei der PDS. Sie bleiben fünf Minuten in der ersten Reihe sitzen, blättern unkonzentriert in Anträgen und verschwinden wieder. Am Samstagnachmittag ziehen die beiden gemeinsam mit Lothar Bisky durch die Gänge, entlang unzähligen Ständen und Büchertischen, die sich von Halle 2 bis hin zu Halle 3 ziehen. Sie wollen zeigen, dass sie jetzt auf immer und ewig zusammengehören.

Als sie am Stand der PDS-Bundesgeschäftsstelle vorbeikommen, bleibt Gysi stehen und zeigt auf das Organigramm der Parteizentrale. „Lothar, komm mal her“, ruft Gysi. „Erkläre dem Oskar doch mal deinen Laden.“ Dem PDS-Chef ist sein eigenes Haus nicht besonders wichtig. Es ist zu sehen, dass das Büro des Vorsitzenden sechs Mitarbeiter umfasst. Lafontaine staunt. „Wer von denen wird mir jetzt zugeordnet?“, fragt er. „Hier sieht es so aus, als wäre ich mächtig“, brummt Bisky. „Aber in Wahrheit habe ich nichts zu sagen.“

Der Rundgang der drei mächtigen Männer der neuen Linkspartei erinnert an Honeckers legendäre Ausflüge auf der Leipziger Messe. Lafontaine steht jetzt vor einem Tisch der Ökologischen Plattform der PDS. „Mein Gott“, sagt er und schüttelt den Kopf. „Was es nicht alles gibt.“

Die beiden Parteien müssen in einem Moment heiraten, wo sie gerade erst beginnen, sich so richtig kennen zu lernen. Kulturell und ästhetisch verbindet sie nicht all zu viel. Bei der WASG in Halle 3 dominieren das Bild Männer zwischen 40 und 50, sie haben Jeans und Baumwollhemden an, einige tragen dazu Lederwesten. Bei der PDS in Halle 2 sind die Frauen in der Mehrheit. Die Kleider und Stiefel der Jüngeren unter ihnen sehen aus, als hätten sie sie in der Young Miss ausgesucht. Abends beim Bier stehen die Genossen beider Parteien in getrennten Grüppchen beieinander. „Die WASG nimmt die zwei Sachen, die uns am liebsten sind“, sagt ein Mann, der von Anfang an in der PDS dabei ist. „Unser Geld und unsere Frauen.“ Er lacht. Aber er macht keine Witze.

Lothar Bisky hat ausdrücklich darum gebeten, doch bitte schön „die Frage, wie lang Regenwürmer sind, noch um ein Jahr zu verschieben“

Manche der Beschlüsse kann man allein mit diesen kulturellen Unterschieden erklären. Bei der WASG brandet immer dann Beifall auf, wenn Hartz IV und alle Reichen dieser Republik verdammt werden. Die Delegierten fordern, dass Steuerflucht mit dem Entzug der deutschen Staatsbürgerschaft sanktioniert wird. Und Abgeordnete, die aus dem Bundestag oder den Landtagen ausscheiden, sollen keine Übergangsgelder mehr erhalten, sondern Arbeitslosengeld I und dann Hartz IV – so wie nicht wenige Mitglieder der WASG selbst. In der PDS stimmen sie solche Anträge ohne große Aufregung nieder.

Richtig ernste Kontroversen finden in Dortmund kaum statt. Eine sogenannte Steuerungsgruppe beider Parteien hatte über mehrere Monate hinweg ganze Arbeit geleistet und die wirklich strittigen politischen Fragen – von den Bedingungen für Regierungsbeteiligungen, über UN-Militäreinsätze bis hin zur Verteidigung bürgerlicher Freiheitsrechte – durch Formelkompromisse beigelegt; ausgetragen werden sie erst, wenn die Fusion über die Bühne ist. Trotzdem spielten die Unterschiede in den Debatten eine Rolle. So versuchte die WASG, die neue Partei noch weiter nach links zu rücken, als sie ohnehin schon steht. Sie scheiterte damit fast durchgehend, vor allem mit der Forderung, die „Privatisierung öffentlichen Eigentums“ und den „Abbau des öffentlichen Dienstes“ kategorisch abzulehnen.

Und so war es kurz vor Ende der Parteitage am Sonntagnachmittag wieder mal an Gysi und Lafontaine, den müden Delegierten den Sinn des historischen Projekts vor Augen zu führen. „Wir kriegen 12.000 neue Mitglieder aus dem Westen“, sagte Gysi. „Sie lassen uns nicht so bleiben, wie wir sind. Das müssen wir akzeptieren. Sie vertreten ja auch den größeren Teil Deutschlands.“ Und Lafontaine sprach fast zur gleichen Zeit nebenan von einer „einmaligen Situation“: „Es geht um Millionen von Menschen, die auf eine neue politische Kraft warten. Lasst uns diese Kraft sein.“

Als alles vorbei war, kam in Halle 2 noch einmal Lothar Bisky auf die Bühne, der gute Mensch der PDS. Die Fusion war beschlossen und er, der künftige neue Vorsitzende der neuen Partei, erinnerte an die Blessuren, die er sich dabei zugezogen hatte. „Ich traue mich nicht, auf meine Schienbeine zu gucken“, sagte Bisky. „Da gibt es viele blaue Flecken.“

Es werden nicht die letzten bleiben.