Mit Stachel und Biss

Die Grünen haben Oesterheld und Franke-Dressler zu ihrer neuen Parteispitze gewählt. Beide versprechen einen kämpferischen Kurs. Gegen Vattenfall, aber auch die eigenen Mandatsträger

VON FELIX LEE

Eines muss man Grünen-Parteitagen lassen. Sie sind immer wieder für eine Überraschung gut. Eigentlich versprach die Landesdelegiertenkonferenz am Samstag einen unspektakulären und reibungslosen Verlauf. Denn die Wahl der Parteilinken Barbara Oesterheld und Irmgard Franke-Dressler vom Realo-Flügel zur neuen Parteispitze galt bereits seit Wochen als ausgemacht. Doch vor ihrer Wahl kam es zu einem kleinen Eklat.

Wie vor Neuwahlen üblich, war es zunächst Aufgabe des scheidenden Landesvorstands, Rechenschaft über seine Arbeit abzugeben. Bei seinem Bericht bemühte sich der bisherige Parteichef Till Heyer-Stuffer zunächst um Sachlichkeit, schwor auf die Geschlossenheit des Landesverbands und bemängelte abschließend, dass der Umgang der Basis mit dem Landesvorstand „vorsichtig ausgedrückt manchmal verbesserungswürdig“ sei. Er appellierte an die Partei, das Amt des Landeschefs nicht zu demontieren, und rief die Delegierten dazu auf, die „Farbspielereien“ zu unterlassen.

Scharfe Worte kamen jedoch von Almuth Tharan, die ebenfalls nicht mehr antrat. In ihrer Amtszeit habe sie erfahren müssen, dass die politischen Inhalte auch bei den Grünen hinter Machtkämpfen und Karriere-Ambitionen zurücktreten. Sie stellte für ihre Nachfolger einen stacheligen Kaktus aufs Rednerpult und rannte aus dem Saal. Trotz mehrfacher Bitte der Fraktionsvorsitzenden Franziska Eichstädt-Bohlig, die sich in aller Förmlichkeit eigentlich für die Arbeit der beiden Parteivorsitzenden bedanken wollte, ließ sich Tharan nicht mehr blicken.

Heyer-Stuffer, der sechs Jahre den Landesverband anführte und Tharan, die es auf immerhin vier Jahre brachte, standen flügelübergreifend in der Kritik, den Landesvorstand profillos geführt zu haben. Ungenügende Präsenz wurde ihnen vorgeworfen. „Ungeachtet der Kritik bleibt ihnen die geleistete Arbeit doch unbenommen“, kommentierte eine Delegierte den Abgang und fügte hinzu: Eine Verabschiedung müsse ja nicht immer in einer Umarmung enden.

Viel Raum nahm der Vorfall im weiteren Verlauf nicht mehr ein. Und auch die Mitleidsbekundungen hielten sich in Grenzen. Im Gegenteil: Irmgard Franke-Dressler warb bei ihrer Kandidatur für eine „Partei mit Ecken und Kanten“. „Wir brauchen keine weichgespülten Vorsitzenden“, rief sie den Delegierten zu und kündigte an, auch programmatisch mehr Schärfe zu zeigen: Franke-Dressler will vor allem umweltpolitische Akzente setzen und rief zum Kampf gegen den Stromkonzern Vattenfall auf. Sie werde eine Stromwechselkampagne vorbereiten, denn wer immer weniger Kunden hat, brauche auch keine neuen Kohlekraftwerke bauen. „Wir wollen Berlin zur Hauptstadt der erneuerbaren Energien machen.“

Die Parteilinke Oesterheld bezeichnete die Verbesserung der sozialen Situation als zentrale Aufgabe. Ihr gehe es um weniger Kinderarmut, Verbesserung der Bildungschancen und die Verhinderung von Willkür bei Hartz IV. Sie wolle sich für die einsetzen, die „nicht zu den Reichen und Schönen gehören und auf der Sonnenseite stehen“. Mit einem Seitenhieb auf die Fraktionsspitze warnte sie auch vor weiteren Privatisierungen öffentlicher Unternehmen. Berlin dürfe sich nicht in eine „absolute Abhängigkeit der amerikanischen Finanzgesellschaft“ begeben, sagte Oesterheld. Sie forderte alle Mandatsträger der Berliner Grünen auf – egal ob im Europaparlament, im Bundestag oder im Abgeordnetenhaus – sich an den Leitlinien von Parteitagsbeschlüssen zu halten. Alles andere zerstöre „die innerparteiliche Demokratie“.

Oesterheld überzeugte. Im ersten Wahlgang setzte sich die Parteilinke mit 71 zu 62 Stimmen gegen Franke-Dressler durch. Auf Platz 2 bezwang Franke-Dressler mit 104 Stimmen dafür ihren Mitbewerber Matthias Dittmer. Für ihn votierten lediglich 25.