Der Mann an ihrer Seite

Joachim Sauer, Ehemann von Kanzlerin Angela Merkel (CDU), gab am Wochenende bravourös den First Gentleman. Woher kommt der Sinneswandel des sonst so öffentlichkeitsscheuen Physikers?

VON JAN FEDDERSEN

Was ein glänzend aussehender Mann!, mag sich mancheR ZuschauerIn gedacht haben während der TV-Übertragungen vom 50. Geburtstag der Europäischen Union in Berlin. Die Frau, an der niemand vorbeikam und an deren Seite er stand, ist bekannt: Angela Merkel. Daneben er, ihr Ehemann: scheu lächelnd, im George-Clooney-Style. Was jedoch kaum der Rede wert schien, war, dass der Kanzlergatte solche protokollarisch gar nicht zwingenden Auftritte erst seit jüngster Zeit absolviert.

Wilde Ehe bis 1998

Joachim Sauer heißt der Mann, Jahrgang 1949, einer der renommiertesten Chemiker des Landes, tätig als Professor an der Berliner Humboldt-Universität. Beide kennen sich Archivmaterialien zufolge seit 1984, geheiratet haben sie aber erst am 30. Dezember 1998. In wilder Ehe, so viel lässt sich auch sagen, wurde sie nicht zur Unionsvorsitzenden gewählt. Doch als Merkel zur Kanzlerin gewählt wurde, saß Joachim Sauer nicht im Bundestag: Er bevorzugte dem Vernehmen nach die Anteilnahme am Fernsehschirm. Beide müssen einen für allermodernste Beziehungen typischen Handel geschlossen haben: Sie bespielt ihre Sphäre, er die seine. Sie treffen sich als Paar jenseits des Öffentlichen. Sauer wurde bislang nur selten an ihrer Seite gesehen, jedenfalls nicht im demonstrativen Sinne, wie männliche Politiker gewöhnlich ihre Ehefrauen einsetzen: Als Ikone heterosexueller Vollständigkeit, als Mutter und Partnerin – und Managerin ihrer privaten Verhältnisse.

Merkel und Sauer haben dieses alles in allem obszöne Spiel nicht bedienen wollen – ihr Amtsvorgänger war in der Nutzung der mutterhaften Inszenierung von Doris Köpf viel skrupelloser. Aber Sauer scheint im Kommen – beim Europäischen Gipfel am Wochenende hatte er jedoch nicht sein Coming-out als First Gentleman der Regierung. Anlässe wie der Besuch von Opern in Bayreuth oder Salzburg mögen nicht zählen, sie sind privater Art. Aber dass der Spitzenchemiker im vorigen Sommer bei George W. Bushs Besuch in Stralsund mit von der Partie war, ließ aufmerken. Immerhin verweigerte er sich im Vorpommerschen dem sogenannten Damenprogramm mit Laura Bush. Eine Woche vor dem Berliner Gipfel nun begleitete er seine Frau nach Polen, zum Besuch bei Präsident Lech Kaczyński und dessen Gattin Maria – und gab nun in Berlin den Mann, der das Gattinnenprogramm jenseits der politischen Verhandlungen anführte.

Der Sinneswandel ist schwer erklärlich, eine offizielle Antwort wird nicht gegeben, sie darf natürlich auch nicht erwartet werden. Spekulationen können hilfreich sein. Bemerkenswert ist ja ohnehin, dass Merkel ihre staunenswerte Karriere machte, ohne stetig ihren Mann vorzuzeigen – und das in einer Partei, die so sehr auf Tradition hält und in der Frauen wenigstens einige Zeit lang Hausfrau und Mutter (gewesen) sein sollten. Beide haben keine gemeinsamen Kinder, er aus erster Ehe deren zwei.

Keine Funktionalisierung?

Sie hat ihn niemals funktionalisieren wollen, weder innerparteilich noch als Kanzlerin – er aber tritt nun doch öffentlich auf. Und zwar stets bei Gelegenheiten, bei denen sie auf Politiker trifft, die besonders krass auf (heterosexuelle) Familie halten – und jede Liberalität anderen Lebensformen und Sexualitäten gegenüber schwer missen lassen.

Bei Bush und Kaczyński – beide eifernde Kämpfer gegen die Pluralität der Lebensformen –musste Merkel offenbar zeigen, dass sie keine Singlefrau ist, die nur auf dem Papier einen Mann und zur Idee der Kleinfamilie ein nur theoretisches Verhältnis hat. Sauer machte mit. Klug so.