„Die Arbeit von einer großen Bürde befreien“

Ingrid Hohenleitner vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut fordert ein Grundeinkommen und die Deregulierung des Arbeitsmarkts

INGRID HOHENLEITNER ist Volkswirtin und Mitautorin der Studie „Bedingungsloses Grundeinkommen und Solidarisches Bürgergeld – mehr als sozialutopische Konzepte“.

taz: Als Ersatz für die heutigen Sozialleistungen schlagen Sie ein Grundeinkommen von 600 Euro vor, von denen 200 Euro automatisch für die Krankenkasse abgezogen werden. Wie soll ein Mensch in Deutschland von 400 Euro pro Monat leben?

Ingrid Hohenleitner: Das ist zu wenig, das sehe ich auch so. Ein Grundeinkommen von 600 Euro pro Monat streben wir aber auch nicht an. Wir haben nur diesen Betrag unserer Rechnung zugrunde gelegt, um zu zeigen: Das Modell wäre mit den heutigen Mitteln finanzierbar. Wenn wir 800 Euro pro Kopf und Monat auszahlen wollen, müsste man gegenüber dem heutigen Zustand eine Finanzierungslücke von 159 Milliarden Euro füllen – etwa mit einer höheren Einkommensteuer.

400 oder 600 Euro pro Monat – beides ist heutzutage weniger als die durchschnittliche Zahlung nach Hartz IV. Das sei aber nicht so schlimm, sagen Sie, weil die Lebenshaltungskosten sinken. Warum sollen Lebensmittel und Altenpflege billiger werden?

Mit dem Grundeinkommen würden die Menschen eine Basissicherung erhalten. Deshalb könnten die Löhne sinken, besonders für niedrig qualifizierte Arbeitskräfte. Wenn die Firmen weniger Geld für ihre Arbeitskräfte ausgeben, sinken langfristig auch die Preise.

Dazu soll auch beitragen, dass Sie den Arbeitsmarkt deregulieren wollen.

Wir schlagen vor, den Kündigungsschutz abzuschaffen und auf Mindestlöhne zu verzichten. Diese Schutzmaßnahmen brauchten wir nicht mehr, wenn alle das Grundeinkommen erhielten. Die Erwerbsarbeit würde von einer großen Bürde befreit.

Jedoch um den Preis, dass geringqualifizierte Beschäftigte für 2,50 Euro pro Stunde arbeiten.

Das ist heute schon Realität. Viele Betroffene nehmen das ihnen zustehende Arbeitslosengeld II nicht in Anspruch. Diese verdeckte Armut würden wir mit dem existenzsichernden Grundeinkommen beseitigen.

Sie glauben nicht im Ernst, dass Sie in Deutschland den Kündigungsschutz abschaffen können?

Die politische Debatte über das Grundeinkommen wird breiter. Immer mehr Menschen finden das Modell attraktiv. Bevor Bismarck die Sozialversicherung einführte, hieß es auch, das sei völlig unrealistisch. INTERVIEW: HANNES KOCH