Männerkrisen mit Heinz Strunk

Auch mal eine Komödie machen: Zum zehnten Mal fand das Festival Diagonale, Diskussionsforum und Leistungsschau des österreichischen Films, in Graz statt. Schade, dass ästhetische Debatten weiterhin im Ruf stehen, eher zu schaden, als zu nützen

VON DOMINIK KAMALZADEH

Jubiläen gelten als willkommene Anlässe zur feierlichen Rückschau. Nun fand die Diagonale zwar zum zehnten Mal in der steirischen Hauptstadt Graz statt, aber die Gelegenheiten, den jüngeren Erfolg des österreichischen Filmschaffens und die bewegte Geschichte des Festivals eingehender zu reflektieren, blieben rar. Vom filmpolitischen Gegenkurs zur mittlerweile abgewählten schwarz-blauen Regierung blieb nur ein unbestimmtes Gefühl, das sich schließlich auch noch verflüchtigte. Am Ende der Woche machte die neue Kunstministerin Claudia Schmied (SPÖ) ihre Aufwartung und kündigte eine Aufstockung des Budgets an. Da schien dann sogar der immer noch schwelende Streit unter österreichischen Produzenten vergessen, der im vergangenen Jahr zur Spaltung des Verbands geführt hatte.

Auf der Diagonale schien man bemüht, innere Grabenkämpfe nicht in der Öffentlichkeit auszutragen. Das schloss auch ästhetische Debatten ein, die hier immer noch im Ruf stehen, dem österreichischen Film mehr zu schaden als zu nützen. Interessant wäre es jedoch gewesen, die Forderung nach populären Formaten, die im Vorjahr von einem Teil der Produzenten gestellt wurde, nun nach ersten konkreten Ergebnissen zu bewerten. Mit dem bereits in deutschen Kinos gestarteten Horrorfilm „In drei Tagen bist du tot“, der Groteske „Immer nie am Meer“ und dem diesjährigen Eröffnungsfilm, Sabine Derflingers „42plus“, gab es gleich drei Spielfilme auf der Diagonale, die sich stärker am Genre orientieren.

Antonin Swobodas „Immer nie am Meer“ kann als erster Versuch der – auf avancierte Festivalfilme konzentrierten – Produktionsfirma Coop99 auf dem Feld der Komödie gelten: Die Radiomacher Dirk Stermann und Christoph Grissemann spielen zwei Männer, denen im Leben noch nicht viel gelungen ist. Nach einem Autounfall sitzen sie gemeinsam mit dem Hamburger Entertainer Heinz Strunk tagelang im Wald verkeilt fest. Das extrem reduzierte Setting verträgt sich erstaunlich gut mit dem eher gelassenen Habitus der Figuren, die weniger zu Panik neigen als dazu, aus der Situation noch das Beste zu machen: sich über Männlichkeits- und Lebenskrisen auszutauschen. „Immer nie am Meer“ ist immer nah an der Verzweiflung, die hier aber nicht aus äußeren Umständen, sondern aus einer inneren Leere entsteht.

„42plus“ dagegen versucht, das im österreichischen Spielfilm so dominante kleinbürgerliche Milieu zu verlassen und von einer gut situierten Frau (Claudia Michelsen) zu erzählen, die im Sommerurlaub aus festgefahrenen Routinen ausbricht und mit einem jungen Tramper eine Affäre beginnt. Ein ehrenwerter Kurswechsel, der allerdings misslingt, denn Derflinger vermag den Klischees des Fernsehfilms, der diese Themen für sich beansprucht, keine eigenständige Vision entgegenzusetzen: Die Dialoge wirken gestelzt, die Figuren nie ausreichend motiviert, die Szenen seltsam unentschieden, wie eilig hingeworfen. Das bürgerliche Unglück, das im Ungesagten, in kleinen Dingen oder Gesten lauert, wird hier jedenfalls nie greifbar.

Von nach wie vor hoher Produktivität zeugte dagegen der Dokumentarfilm, den Variationen auf die Figur des Zeitzeugen bestimmten: Gerald Igor Hauzenberger porträtiert in „Einst süße Heimat – Begegnungen in Transsylvanien“ zwei Angehörige einer deutschsprachigen Minderheit von Siebenbürgen, die von anderen Ethnien völlig isoliert lebt. Außergewöhnlich sind die beiden, weil sie vom Lauf der Zeit unbehelligt blieben: Johann Schuff, der Protagonist, ist ein verzweifelter Menschenfeind, der seine faschistische Weltanschauung nie abgelegt hat. Hauzenberger kommt ihm nahe, interveniert aber auch an den richtigen Stellen. So erhält man Ansichtsmaterial darüber, wie sich eine Minderheit über den Rekurs auf imaginäre Heimatwerte der Zugehörigkeit zu einem abwesenden Volk versichert.

Einen Wahlverwandten erhält Schuff in Marian Osuch, dem Titelhelden von Andreas Horvaths „Views of a Retired Night Porter“. Den Nachtportier hatte bereits der polnische Regisseur Krzysztof Kieslowski 1977 in „Night Porter’s Point of View“ als autoritären Charakter eines restriktiven Staatswesens gefilmt. Inzwischen ist er in Pension, 30 Jahre sind vergangen, aber die Überzeugungen dieses „kleinen Mannes“ haben sich nicht verändert. Horvath zeigt ihn beinahe ausschließlich im bescheiden möblierten Ambiente seiner Wohnung, die durch eine karibische Fototapete wie ein Nichtort außerhalb von Zeit und Raum erscheint. Während er aus dem Off über den Zustand der großen Welt räsoniert, löst sich die Kamera und tastet sich durch seine kleine – dazwischen entfaltet sich ein Bild, das Platz für Widersprüche lässt. Auch über diese Zeitgenossen hätte man auf der Diagonale reden können.