Elektro: Total deutscher Tango

Gudrun Gut, MIA und Kate Wax verhandeln auf ihren neuen Alben Klischees, Privates und Körperbilder. Drei Frauen zwischen Blues und Electro Funk.

Frau Gut Bild: Promo

Haut rein, Mädels! So salopp ließe sich die Textzeile "Girls keep pushing" aus einem Song von Gudrun Gut übersetzen. Dieser Song, der "Girlboogie 6", ist eine verrauscht vor sich hin schunkelnde Aufforderung an alle Musikerinnen da draußen, doch bitte gefälligst weiterzumachen - und vermutlich auch ein bisschen an sich selbst. Sounds like Katerstimmung? Aber nein, Gudrun Gut hätte, wie sie so überaus quirlig und lebendig in der Küche ihrer Wohnung in Berlin Schöneberg sitzt und sich zwischen dem Duft der Rosen auf dem Tisch und des japanischen Tees in der Tasse vor ihr noch eine Zigarette anzündet, wahrlich Grund genug, auch mal mit Stolz zurückzublicken. Aber bei ihr muss eben immer etwas passieren, es muss immer weitergehen. "Ich bin so die Macherin", sagt sie, und wenn sie kurz darauf von ihren Unsicherheiten beim Musikmachen spricht, will man ihr wirklich nicht so recht glauben.

Gudrun Gut kam Mitte der Siebzigerjahre aus einem Örtchen in der Lüneburger Heide nach Berlin, um Kunst zu studieren, geriet dort in den kreativen Zeiten von Post-Punk und Prä-NDW bald ins Umfeld der Genialen Dilettanten und wurde Teil der Achtziger-Popavantgarde. Sie war frühes Mitglied bei den Einstürzenden Neubauten und wirbelte mit ihren Bands Malaria! und Matador zwischen Art-Punk und düsterer Elektronik gehörig Staub auf. Mit dem Ocean Club, einem Verband aus befreundeten MusikerInnen samt angeschlossener Radiosendung auf Radio Eins in Berlin, ist sie mittlerweile um die halbe Welt gereist und betreibt mit Monika Enterprise und Moabit Music zwei eigene Plattenlabels. Dieser langen Karriere hat Gut nun einen vorläufigen Höhepunkt gesetzt: mit ihrem ersten wirklichen Soloalbum. Auch wenn sie das selbst so wohl nie sehen würde - dafür ist sie schon viel zu lange im Zeichen ihrer Musik unterwegs, zu sehr fließt zwischen Radio- und Labelarbeit, zwischen DJ-Sein und Musikmachen alles ineinander.

"Ich wollte gerne etwas Intimes direkt von mir geben", sagt Gudrun Gut über ihr Album. Herausgekommen sind dabei elektronische Songs zwischen Dub, Techno-Bassdrum und Folk, die aufgrund ihrer Vielfältigkeit und der sehr eigenen Klangsprache kaum wirklich einzuordnen sind. Ihr Vorhaben, sich an etablierten Genreklischees abzuarbeiten, sich diese anzueignen und mit Persönlichkeit aufzuladen, ist grandios aufgegangen. "Es hat mich interessiert, mir Sachen einzuverleiben, die ich liebe, mit denen ich vom Background her aber nicht so viel zu tun habe. Blues oder Tango zum Beispiel. Deutsche und der Blues, das ist schwierig. Oder mein Tango, das ist wirklich ein total deutscher Tango, aber das finde ich auch gut so." Guts total deutscher Tango ist natürlich noch viel mehr als nur Tango, nämlich ein unbeschreibliches Flirren von Echos, von Akkordeon- und Stimmfetzen und jeder Menge Idiosynkrasie - und er heißt "Move Me". Auch das wieder so ein Imperativ, der kaum missverstanden werden kann.

Eine der jüngeren deutschen Musikerinnen, die sich an Gudrun Guts Aufforderungen "beweg mich!" und "hau rein!" gehalten haben, ist Michaela Grobelny alias MIA. Grobelny ist DJ und Technoproduzentin, hat unter anderem die Monika-Enterprise-Band Contriva remixt und ist ebenfalls ihre eigene Labelchefin. Nachdem sie vor etwa drei Jahren von Köln nach Berlin gezogen war, wurde sie von der Feierwut in der notorischen Partymetropole etwas unvorbereitet erwischt und hätte in der Folge in den Clubs der Stadt und auf After-Afterhours beinahe zu viel reingehauen. Beim Treffen in einem Café in Berlin Friedrichshain erzählt sie, wie sie von "so einem schwarzen Loch verschluckt und irgendwann wieder ausgespuckt" worden sei.

Frau Enz Bild: Promo

Sie kommt mehrmals auf persönliche Enttäuschungen in dieser Stadt und mit ihren Menschen zu sprechen und macht auch ihrer Verärgerung darüber Luft, von einer Promomaschinerie aus England überrannt worden zu sein, nachdem sie sich über Jahre hinweg in der Techno-Szene mit ihrem Label, als DJ und Produzentin einen Namen gemacht hatte. Genau der wurde ihr plötzlich geklaut. Zumindest empfand MIA es so, als eine andere elektronische M.I.A. mit einer Mischung aus Grime, Ragga und Hiphop ihren Künstlerinnennamen besetzte und überall derart großes Thema war, dass Grobelny ihr angestammtes Pseudonym zwangsläufig ändern musste. Seither sind die Punkte weg. Aus M.I.A. wurde MIA, und es wirkt, als hätte sie damit zugleich eine Maske abgelegt.

"Bin schon wieder viel zu ehrlich", sagt Michaela Grobelny dann mitten in das Gespräch hinein, und das ist genau einer dieser Irritationsmomente, dieses Zwischen-den-Stimmungen-Oszillieren, das MIAs Musik im Kontext von Techno so besonders macht und das auch bei ihr stets mit jener Intimität zu tun hat, die Gudrun Gut mit ihrem Album vermitteln möchte. Grobelny nennt das "Zerbrechlichkeit" und spricht von der Bittersüße, die ihr Leben und folglich auch ihre Musik in den letzten Jahren kennzeichnete und die nun ihrem neuen Album den Titel gab.

Nicht nur im Interview gibt sich MIA ehrlich und nahbar, auch auf dem Cover-Foto ihres zweiten Albums zelebriert sie Nähe, ja Entblößung. Sie hat sich dafür nackt ablichten lassen und schreitet, nur von Seerosen umrankt, als Elfe aus einem digitalen Märchen durch glitzerndes Wasser. Das Versprechen von der Auflösung des Körpers in der elektronischen Musik - zumindest von seiner Anonymisierung und Egalisierung , nicht zuletzt auch zwischen den Geschlechtern - ist hier wieder ganz weit weg. Aber schließlich macht MIA im Grunde auch keine gesichtslosen, rein funktionalen Rhythmuswerkzeuge für den endlosen DJ-Mix, sondern Songs. Wo andere Produzenten Beat-Raster aneinanderreihen, da finden sich bei MIA Harmonien, Akkordfolgen und Gesangslinien, immer angetrieben von dem satten Bass, der von den Ritualen einer Techno-Nacht so viel weiß wie von der positiven Kraft der Traurigkeit.

Auch bei Gudrun Gut gibt es nackte Haut auf der Plattenhülle. Doch das Kameraobjektiv ist bei diesem grob gerasterten Foto derart nahe am Motiv dran, dass überhaupt nicht mehr auszumachen ist, was man eigentlich sieht. Einen Unterarm? Ein Knie vielleicht? Die Zerlegung des weiblichen Körpers in seine Einzelteile ist hier so weit getrieben, dass der sexistische Reflex damit ad absurdum geführt wird: Der voyeuristische Blick funktioniert nicht mehr. Das Artwork stammt aus Guts Fotoserie "Private Schneide / Private Cuts", die eigentümliche Zustände im Dazwischen von Privatheit und Öffentlichkeit thematisiert. Genau das Spannungsfeld, das durch die Musik von Gut und MIA nun in ihre je eigenen elektronischen Songs übertragen wurde.

Frau Grobelny Bild: Promo

Die Schweizer Sängerin und Produzentin Aïsha Enz alias Kate Wax setzt in diesem Zusammenhang auf eine andere Strategie, die vor allem durch Distanz und eine deutlich kühlere Ästhetik funktioniert. Man könnte Kate Wax die Grace Jones des Electro Funk nennen. Sie generiert die Hochspannung in ihrer Musik aus dem Kontrast zwischen unterkühlten Klanglandschaften und dem Feuer ihrer ungemein wandelbaren Stimme. Im Interview sagt die Genferin so ausgedachte und doch schöne Dinge wie: "Musik ist meine Schnittstelle nach außen, mit der ich mit der Welt in Verbindung trete. Und Musik ist umgekehrt auch mein Filter, um die Welt zu verstehen." Aber um zunächst beim Bildhaften zu bleiben: Wax inszeniert sich auf ihrem zweiten Album als die große Abwesende in einem gespenstischen Szenario. Mitten auf einer komplett verlassenen Tanzfläche steht einsam ein Barhocker. Die gewaltige Aura dieser Leerstelle ist beim Betrachten des Coverfotos beinahe physisch zu spüren. Den Verdacht, der in der Rezeption von Musikerinnen nach wie vor viel zu oft wie automatisch mitgedacht wird - dass sie das nämlich alles gar nicht selbst machen -, hat Wax auf ihrem zweiten Album zum Gestaltungsprinzip erhoben. Denn den größten Teil des Albums machen Neuinterpretationen von Kate-Wax-Stücken durch befreundete ProduzentInnen aus. Diese souveräne Aufgabe von kreativer Kontrolle rückt Kate Wax erst recht wieder ins Zentrum ihrer Musik. Alles dreht sich um ihre Stimme, alles kreist um diese vakante Stelle mitten auf dem Dancefloor.

Von Gudrun Guts "Pleasuretrain" über MIAs "Cold City" bis zur "Pleasure Zone" bei Kate Wax regieren überall die Melodie und die Stimme der Musikerinnen. In den Worten von Kate Wax war dieses Stimme-Finden und -Ergreifen gleichbedeutend mit ihrer Selbstwerdung: "Ich habe mir meinen Platz in der Welt mit meiner Stimme erobert. Als Kind war ich ziemlich einsam. Als ich dann in einem Chor den ersten Sopran singen durfte, habe ich mich zum ersten Mal lebendig, ja überhaupt existent gefühlt." Gudrun Gut sagt zum selben Thema - zu Gesang, zum Songhaften, zur Intimität in ihrer Musik und der ihrer Kolleginnen - genau ein Wort: "Typisch." Und meint damit, dass sie um die klischeehafte Sichtweise, Frauen müssten in ihrer Kunst immer auch etwas Persönliches von sich preisgeben, genau Bescheid weiß. Und dass sie sich davon bestimmt nicht abhalten lässt, genau das zu tun.

Gudrun Gut: "I Put A Record On" (Monika Enterprise / Indigo); MIA: "Bittersüss" (Sub Static / Word And Sound); Kate Wax: "The Dark Heat Collection II" (Mental Groove / Intergroove)

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