Kreuzberger bunkern Denkmal

Bolzplatz statt Luxuswohnungen auf dem Gasometer: Heute diskutiert zum zweiten Mal die Bezirksverordnetenversammlung von Friedrichshain-Kreuzberg über den Fichtebunker. Anwohner machen Druck gegen den Grünen-Bürgermeister Franz Schulz

„Für viele ist das Denkmal die entscheidendere Motivation“ „Bürgermeister Schulz hat da nicht die Handbremse drin, sondern der schiebt“

VON CHRISTOPH VILLINGER

Leichtfüßig trippeln ein Dutzend junge Spieler vom S. C. Berliner Amateure 1920 e. V.auf den Fluren des Bezirksamts Friedrichshain-Kreuzberg mit ihrem Fußball hin und her. Gut zwei Stunden dauert es, bis sie mit ihrem Thema bei der Bezirksverordnetenversammlung an der Reihe sind. Sie, eher Kinder als Jugendliche, fürchten um ihren mitten im Dreieck der Körte-, Fichtestraße und der Hasenheide gelegenen Sportplatz. Enttäuscht ziehen sie nach einer halben Stunde wieder ab. Ihr Anliegen wird nach einigen Wortgefechten in für sie unverständlichem Verwaltungsdeutsch auf eine eilig anberaumte Sondersitzung des Bauausschusses vertagt.

Seit im Dezember bekannt wurde, dass der Berliner Liegenschaftsfonds (LiFo) den ebenfalls im Innenhof des Straßendreiecks gelegene Gasometer zusammen mit rund 8.000 Quadratmetern Grundstück als Bauland an einen Investor verkaufte, hat der Kiez wieder ein Thema. Der Nutzungskonflikt zwischen dem Lärm der fußballbegeisterten Jugendlichen und den Bewohnern der geplanten Neubauten ist vorhersehbar. Draußen in der Fichtestraße rufen an jedem zweiten Balkon der gutbürgerlichen Gründerhäuser Transparente „Stopp“ und „Hände weg“. Andere fordern „Lasst den Bunker oben ohne“ und „Rettet das Denkmal“.

Retten möchte Martin Hoffmann vor allem das soziale Milieu rund um den Südstern. Der 50-jährige Architekt lebt seit Jahren im Kiez, arbeitet als Schadstoffgutachter und „wird immer gerufen, wenn es stinkt“. Mit anderen gründete er die Initiative Fichtebunker, und so treffen sich seit Monaten jeden Dienstagabend rund 50 eher ältere und bürgerliche Leute im als Erwerbslosentreff gedachten Café Grundgehalt. Weil er seit Jahren auch bei Attac aktiv ist, wählten sie Hoffmann zu einem ihrer beiden Sprecher. Gekonnt weicht er den voyeuristischen Fragen der Presse nach seiner Person aus. „Warum hat der LiFo das innerstädtische Baugrundstück für nur 150 Euro den Quadratmeter verkauft, das sollte sich die Presse fragen“, betont er.

Durch die einzige Baulücke in der Fichtestraße zeigt er auf das Objekt der Begierde, den riesigen, im Zweiten Weltkrieg zum Bunker umgebauten, ehemaligen Gasometer mit seinen runden Backsteinwänden und zubetonierten Fenstern. Noch liegt das Gelände offen und für alle betretbar da. Bis zu 24 Eigentumswohnungen will dort die Speicherwerk GmbH rund um den Bunker bauen, auf den Bunker selbst zwei Stockwerke draufsetzen und als Luxuslofts verkaufen. Dazu eine Tiefgarage mit 34 Parkplätzen. Als „exklusive Maisonette mit Panoramablick, Fußbodenheizung in allen Räumen und Luxusbädern“ preist die Maklerfirma Selectberlin eine der geplanten Wohnungen an. Kostenpunkt: 744.933 Euro für 253 Quadratmeter.

„Braucht Kreuzberg solche Wohnungen?“, fragt sich Hoffmann. Natürlich weiß er, dass es nicht um das einzelne Luxusloft geht, sondern „um die Richtung, in die das Ganze dann rutscht“. Da komme eine „neue Klasse, die Wachschutz, Wachzäune und Kameras mitbringt, die andere Läden braucht, und mittelfristig entsteht ein anderer Stadtteil“. Und so sind auch viele Familien, die Eigentumswohnungen besitzen, gegen diese Entwicklung. „Rein kapitalistisch gesehen würde der Wert ihrer Wohnungen sogar steigen, trotzdem sind sie dagegen“, sagt Hoffmann.

Als Beispiel für das gewachsene Milieu am Südstern, um das er fürchtet, zeigt Hoffmann auf den Fußballplatz. Ab und zu dringen die Anfeuerungsrufe der jugendlichen Fußballer herüber. „Eine sehr waghalsige Mischung“, aber „dort am Sportplatz treffen sich die türkischen mit den deutschen Kids, da ist was gewachsen“. Überfahren fühlt sich Hoffmann daher nicht von dem einen oder anderen Jugendlichen, der mit Papas Auto nach bestandener Führerscheinprüfung mit 80 Stundenkilometern über das Kopfsteinpflaster der Fichtestraße donnert, sondern von der Politikern. „Wir müssen ihnen alles aus der Nase ziehen“, klagt er, „nachdem zuvor Tatsachen geschaffen wurden.“ Dabei ist er für Fragen der Veränderung prinzipiell offen, und in den letzten Jahren habe man ja auch einigen Neubauten zugestimmt.

„Bei jeder Haussanierung wurden wir gefragt“, erinnert sich Hoffmann an die Milieuschutzverordnung, „die übrigens den gleichen Politikern noch bis vor wenigen Jahren heilig war“. Warum durfte vor Jahren der Besitzer der Fichtestraße 2 nicht zwei weitere Stockwerke auf sein Haus draufsetzen, aber im Fall des Fichtebunkers mit der Hausnummer 12 wird im Frühjahr 2006 vom Bezirksamt eine Bauvoranfrage positiv beschieden?, fragt sich Hoffmann. Dabei handelt es sich hier um ein Baudenkmal.

„Für viele in der BI ist der Umgang mit dem Denkmal die entscheidendere Motivation“, sagt Hoffmann. Sie wollen, dass „der Anblick des Gasometers nicht verbaut, technische Einrichtungen im Innern nicht zerstört werden und der Zugang allen gewährt sein muss“. Hoffmann kann sich nicht vorstellen, wie das filigrane Metallgestänge der Kuppel bei einer Aufstockung erhalten werden soll.

Inzwischen sind diese Fragen zum beherrschenden Thema auch in der Kreuzberger Politik geworden. Mit viel Polemik schießen sich die politischen Konkurrenten auf die neuen Machthaber im Stadtteil, die Grünen und insbesondere Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) ein. Vorneweg die Kreuzberger SPD, deren farbkopierte Flugblätter in fast jedem Hauseingang hängen. Helmut Borchardt, sportpolitischer Sprecher der SPD und ebenfalls in der Fichtestraße wohnend, bedrängt mit einer Großen Anfrage in der BVV den Bezirksbürgermeister.

Sichtlich angespannt kann Schulz zumindest nach der Verwaltungslogik die Verantwortung ein wenig von sich wegschieben. Das Gelände ging schon 2003 an den LiFo zum Verkauf, zuständig hierfür ist Finanzsenator Thilo Sarrazin, SPD-Mitglied. Und für die Verkaufsverhandlungen im Sommer 2006 war Lorenz Postler zuständig, damals Wirtschaftsstadtrat des Bezirks und ebenfalls SPD-Mitglied. Seit Jahren existiere ein Bebauungsplan, so Schulz weiter, der eben die Aufstockung des Bunkers und den Lückenschluss in der Fichtestraße erlaube. Da muss kein Investor mit dem Bürgermeister kungeln.

Trotzdem bleibt Hoffmann misstrauisch. „Schulz hat da nicht die Handbremse drin, sondern der schiebt“, meint er. Wenn man die Besserverdienenden hier haben wolle, dann solle man das auch sagen und dann könne man sich drüber offen streiten, so Hoffmann.

Doch schon auf der Sondersitzung des Bauausschusses im Nachbarschaftsheim Urbanstraße sah auch Bezirksbürgermeister Schulz nicht mehr, „wie es zu einem konfliktfreien Miteinander von Sport und Wohnen kommt“. Und deutete damit die Rückzugslinie an, mit der die geplante Bebauung zumindest zurechtgestutzt werden kann. „Kreuzberg ist der Bezirk mit der größten Unterdeckung an Sportplätzen“, sagte Schulz, und auf keinen Fall wolle man diesen erst vor acht Jahren erneuerten Fußballplatz aufgeben. Ein Lärmschutzgutachten soll nun die nötige Luft für eine Bürgerbeteiligung verschaffen.

Inzwischen hat der Bauausschuss den Antrag der SPD auf eine Änderung des Bebauungsplans mit den Stimmen von Grünen und Linkspartei abgelehnt. „Wenn ich den Bebauungsplan ändern will, muss ich sagen, was ich stattdessen will“, fordert der Bürgermeister die Protestierer heraus. Seine Kollegin, die Baustadträtin Jutta Kalepky (Grüne), hakt provozierend nach, ob „wir stattdessen beispielsweise ein Einkaufszentrum oder ein Obdachlosenheim wollen?“ Diesen Mittwochabend treffen die Kontrahenten in der BVV wieder aufeinander. Ob da die jugendlichen Kicker Konkretes hören werden, wie ihr Sportplatz langfristig zu sichern ist?