„Frauen holen beim Alkoholkonsum auf“

Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann sieht den gesellschaftlichen Leistungsdruck als Ursache für das Komasaufen

KLAUS HURRELMANN, 63, ist Professor für Sozial- und Gesundheitswissenschaften und lehrt seit 1980 an der Universität Bielefeld.

taz: Herr Hurrelmann, die Politik debattiert das „Flatrate-Saufen“. Ist der Alkoholkonsum von Jugendlichen wirklich angestiegen?

Klaus Hurrelmann: Unsere Studien zeigen den klaren Trend, dass insgesamt der Konsum nicht angestiegen ist. Stattdessen ist eine Stagnation zu verzeichnen. Allerdings können wir eine Diversifikation beobachten. Es gibt eine verhältnismäßig kleine Gruppe von Jugendlichen, deren Alkoholkonsum in den letzten fünf Jahren deutlich angestiegen ist.

Um was für Jugendliche handelt es sich dabei?

Es sind nicht, wie zum Beispiel beim Zigarettenkonsum, Jugendliche, die schlecht in der schulischen Leistungslaufbahn abschneiden oder sich in einer ungünstigen Position bei der sozialen Integration befinden. Die legale Droge ist attraktiv geworden für gut situierte Jugendliche, für Leistungsträger. Entsprechend gibt es an den Gymnasien eine besonders starke Verbreitung.

Wie erklärt sich das komaartige Saufen?

Meine Interpretation ist, dass diese Gruppe Alkohol als Ausgleichsdroge konsumiert, so wie wir es bisher von Drogen wie Ecstasy oder Kokain kannten. Der Leistungsdruck hat in den letzen Jahren zugenommen, die Anspannung während der Woche steigt. Am Wochenende wollen die Jugendlichen diesem Druck innerhalb von Minuten entfliehen. Alkohol ist dafür zu einem probaten Mittel geworden.

Die Hauptursache ist also der gesellschaftliche Druck?

Vor allem das Verhalten von jungen Frauen bestätigt diese These. Der Anteil von Frauen mit einem hohen Alkoholkonsum hat deutlich zugenommen. Das lässt sich dadurch erklären, dass sie in den letzten Jahren stark aufgedreht haben, was die schulischen Leistungen betrifft. Das kostet natürlich psychische Kräfte. Durch das Ausklinken aus der Realität versuchen sie, diese Kräfte wieder aufzutanken. Doch diese Rechnung geht nicht auf.

Helfen Verbote weiter?

Gesetzliches Handeln ist notwendig, denn der Verfügbarkeit kommt eine entscheidende Bedeutung zu. Je günstiger eine Substanz erhältlich ist, umso größer ist die Gefahr, dass der Konsum steigt. Hinzu kommen muss eine systematische Aufklärung der Jugendlichen. Es handelt sich ja um eine sehr gebildete Klientel, die ich für lernfähig halte. Aber auch das Umfeld, das heißt Schulen und Elternhäuser müssen schauen, inwiefern sie den Leistungsdruck minimieren können.

INTERVIEW: STEPHANIE KASSING