Boom für Klimakiller

Stromkonzerne planen über 40 neue Kohlekraftwerke. Bundesregierung will die dreckige Technik weiterhin bevorzugen

VON MALTE KREUTZFELDT
UND MORITZ SCHRÖDER

Die deutschen Energiekonzerne wollen ihren Kraftwerkspark massiv ausbauen – und setzen dabei stark auf den fossilen Brennstoff Kohle. Über 40 Kohlekraftwerke und Erweiterungen sind derzeit in Planung, viele davon sollen noch in diesem Jahrzehnt gebaut werden. Das geht aus einer internen Übersicht der Bundesnetzagentur hervor, die der taz vorliegt. Dort müssen die Kraftwerke angemeldet werden. Besonders viele Kraftwerke sind in Nordrhein-Westfalen und in Norddeutschland geplant. Unter den Neubauten sind sechs besonders klimaschädliche Braunkohlekraftwerke. Über diese Energieform wird derzeit auf oberster politischer Ebene heftig gestritten. Denn momentan ist Braunkohle beim Handel mit CO2-Verschmutzungsrechten (den so genannten Emissionszertifikaten) deutlich bevorzugt: Braunkohlekraftwerke bekommen pro Megawatt Strom besonders viele Zertifikate zugeteilt. Während Wirtschaftsminister Michael Glos (CSU) daran festhalten will, plant Umweltminister Sigmar Gabriel (SPD) eine Änderung: Ab 2008 will er einen einheitlichen Wert für Braun- und Steinkohle. Doch daraus scheint nichts zu werden. Wie Reuters gestern unter Berufung auf ein Kompromisspapier des Kanzleramtes berichtete, soll es weiterhin Privilegien für Braunkohle geben – wenn auch weniger, als von Glos gefordert.

Auch Gabriels Pläne würden Kohlekraftwerke beim Emissionshandel gegenüber den deutlich umweltfreundlicheren Gaskraftwerken bevorzugen. Die Forderung von Umweltverbänden nach einheitlichen Kriterien für alle fossilen Brennstoffe – das würde die neuen Kohlekraftwerke unrentabel machen – lehnt Gabriel ab. Ebenso ein Verbot oder eine Befristung für neue Anlagen ohne effiziente Kraft-Wärme-Kopplung.

Bislang hatten die Unternehmen nur gut halb so viele Neuanlagen angekündigt als nun vorgesehen. Doch die Kraftwerksbetreiber scheinen unter Druck zu stehen. Eine Durchleitungsgarantie im Stromnetz sollen nur neue Kraftwerke erhalten, die bis zum Jahr 2012 ans Netz gehen. Das berichtet die Netzagentur unter Berufung auf die vom Bundeswirtschaftsministerium geplante Kraftwerksanschlussverordnung. Die Netzagentur warnt vor „Netzengpässen im Übertragungsnetz“ und sieht „Konflikte zwischen einzelnen Kraftwerksprojekten um bestimmte Standorte“ kommen.

Und auch der Emissionshandel könnte mitverantwortlich dafür sein, dass die Konzerne derzeit so aufs Tempo drücken: Verbindliche Reduktionspläne gibt es derzeit nur bis 2012. Für die Zeit danach wird neu verhandelt, und Kraftwerke, die bis dahin im Bau sind, haben bessere Karten bei der neuen Zuteilung.

Bei dem Rennen um die knapper werdenden Kapazitäten scheinen die deutschen Klimaschutzziele jedoch unter die Räder zu geraten. Während etwa bei RWE fast 10.000 Megawatt Kraftwerksleistung in einer fortgeschrittenen Planungs- oder Projektierungsphase sind, sollen dafür nur rund 4.300 Megawatt Leistung wegfallen, wie das Papier der Netzagentur darlegt. Grundsätzlich bestätigt RWE das: „Bei einigen Kraftwerken ist das Ende der Laufzeit zwar absehbar. Mittel- und langfristig werden wir unsere Kapazitäten aber erweitern“, sagte ein Konzernsprecher der taz. Das zeigt auch das Beispiel Vattenfall: Für das 1.600-Megawatt-Steinkohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg soll lediglich eine 260-Megawatt-Gaskraftanlage in Wedel wegfallen. Wenn alle Kraftwerksprojekte wie geplant umgesetzt werden, würde der CO2-Ausstoß schon im Jahr 2012 rapide steigen und den Wert von 1990 übertreffen, hat der energiepolitische Sprecher der Linksfraktion, Hans-Kurt Hill, berechnet. Dabei sehen die Klimaschutzziele der Bundesregierung vor, dass der Wert bis dahin um 21 Prozent gesunken sein sollte.