Wer hat, dem wird gegeben

CONTRA: Die Reform wird 10 Milliarden Euro jährlich kosten – und die Steuerflucht trotzdem nicht vermeiden. Der Export von Arbeitsplätzen wird steuerlich begünstigt

Lorenz Jarass ist Wirtschaftsprofessor an der FH Wiesbaden. Seine 153-seitige Kritik der Unternehmensteuerreform ist zu finden unter www.jarass.com.

Immerhin bei der Beschreibung der Ausgangslage stimme ich mit der Regierung und Lothar Binding überein: Die deutschen Kapitalgesellschaften müssen tatsächlich theoretisch deutlich mehr Steuern auf ihre Gewinne zahlen als in allen anderen EU-Ländern. Praktisch führen sie aber weniger ab als in vielen EU-Staaten, nämlich unter 20 Prozent. Denn sie können eine Vielzahl meist legaler Steuervermeidungsmöglichkeiten nutzen.

Die Reform will diese Steuervermeidungsmöglichkeiten verringern und gleichzeitig die Steuersätze senken – aufkommensneutral, also ohne Steuerausfälle. Doch das wird reine Theorie bleiben. Selbst Bundesfinanzminister Peer Steinbrück rechnet in den Anfangsjahren mit einem Minus von 6,5 Milliarden Euro. Es ist daher erstaunlich, dass Lothar Binding dies eine „vage Schätzung“ nennt.

Nach meinen Berechnungen, zu finden im Buch „Unternehmenssteuerreform 2008“, fehlen dauerhaft über 10 Milliarden Euro jährlich. Der politik-strategische Fehler: Das Kabinett hat im Juli 2006 zwar die Senkung des Steuersatzes festgeklopft, aber es hatte sich damals nicht geeinigt, wie die Steuervermeidungsmöglichkeiten reduziert werden sollen, um die Steuersatzsenkung zu finanzieren. Nun ist es zu spät: Warum sollten die Wirtschaft und ihre Interessenvertreter in Parlament und Regierung einer Gegenfinanzierung zustimmen, wenn der gesenkte Steuersatz sicher ist? Das ist wie beim Weihnachtssingen: Wenn die Kinder ihre Geschenke schon haben, wollen sie nicht mehr singen.

„Die Hoffnung ist der größte Feind des Kaufmanns“: Die Bundesregierung hofft, dass Steuersatzsenkungen automatisch mittelfristig zu Steuermehreinnahmen führen. Aber auch nach der Reform wird der offizielle Steuersatz noch immer knapp 30 Prozent betragen – und weit höher liegen als etwa in Irland. Warum sollte also ein Unternehmen seine Erträge plötzlich in Deutschland versteuern, die es bisher ins Ausland transferiert hat? Lothar Binding erwähnt die „Zinsschranke“ – diesem Tiger wurden aber von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion durch zahlreiche Ausnahmeklauseln die meisten Zähne gezogen. Equity- und Hedgefonds sowie viele im Ausland residierende Firmen können nun die Zinsschranke leicht aushebeln. Betroffen sind nur einige in Deutschland ansässige mittlere und größere Konzerne. Auch diese Unternehmen wird man letztlich ausnehmen, dann wird niemand mehr betroffen sein.

Ursprünglich war Finanzminister Steinbrück ehrgeiziger: So schlug er im Mai 2006 vor, dass nur die Hälfte der Zinskosten steuerlich abzugsfähig sein dürfte. Die aggressive Fremdfinanzierung von Equity- und Hedge-Fonds wäre steuerlich nicht mehr so stark belohnt worden. Doch diese dringend erforderliche und einfach umzusetzende steuerliche Begrenzung wurde auf Druck der Wirtschaftsverbände und der CDU/CSU-Bundestagsfraktion bis zur Unkenntlichkeit kastriert. Gewinnverschiebung, Arbeitsplatzexport und Heuschrecken werden damit weiter vom deutschen Fiskus steuerlich begünstigt.

Die Abschaffung der degressiven Abschreibung ist die widersinnigste Form der Gegenfinanzierung: Sie führt nur zu einem Vorziehen von Steuereinnahmen. Zudem werden nur jene belastet, die in Deutschland real investieren und Arbeitsplätze schaffen, indem sie etwa Hallen bauen und Maschinen installieren. Übrigens: Die Wirtschaft stimmte den Abschreibungsverschlechterungen zu, weil sie erwartet, dass beim nächsten Wirtschaftsabschwung die alten Abschreibungserleichterungen wieder eingeführt werden.

Das ohnehin extrem komplizierte deutsche Unternehmensteuerrecht wird noch komplizierter. Die vielen Wahlmöglichkeiten ermöglichen weitere Steuervermeidungen und sind mit den vielen neuen Einzelfallregelungen ein Beschäftigungsprogramm für Steuerberater. LORENZ JARASS