Protest in Orange und Blau in Kiew

Anhänger des ukrainischen Staatschefs Juschtschenko demonstrieren für Neuwahlen. Unterstützer von Premier Janukowitsch organisieren eine Gegenkundgebung

Die Blockade der politisch Verantwortlichen nimmt bisweilen absurde Züge an

BERLIN taz ■ Der Machtkampf zwischen dem ukrainischen Staatspräsidenten Wiktor Juschtschenko und Premierminister Wiktor Janukowitsch wird jetzt auch auf den Straßen ausgetragen. Am vergangenen Sonnabend demonstrierten in der Hauptstadt Kiew trotz eines gerichtlichen Verbots tausende Anhänger der beiden rivalisierenden Lager. Während die „Orangenen“, die Parteigänger von Staatschef Juschtschenko, vorgezogene Neuwahlen forderten und die Regierungskoalition bezichtigten, sich illegitimerweise Rechte des Präsidenten angeeignet zu haben, demonstrierten die „Blauen“, die Janukowitsch unterstützen, gegen eine Auflösung des Parlaments und für den Rücktritt von Staatspräsident Juschtschenko.

Der hatte am vergangenen Donnerstag mit der Auflösung des Parlaments und vorgezogenen Neuwahlen gedroht. Zur Begründung sagte Juschtschenko, die Regierung von Janukowitsch verletzte die Verfassung, da sie sich auf eine Koalition einzelner Abgeordneter und nicht politischer Gruppen stütze.

Erst vor Kurzem hatten ein Dutzend Abgeordnete der oppositionellen Juschtschenko-Partei „Unserer Ukraine“ und des Blocks Julia Timoschenko (BJUT) die Seiten gewechselt und waren ins Regierungslager übergelaufen. Dies veranlasste Wiktor Juschtschenko am vergangenen Wochenende dazu, neben seiner Neuwahldrohung das Parlament aufzufordern, ein Gesetz zu verabschieden, dass Abgeordneten einen Parteiwechsel während einer Amtsperiode verbietet. Das dürfte nicht im Interesse des Premiers und Fälschers der Präsidentenwahlen von 2004 sein. Vielmehr arbeitet Janukowitsch auf eine Zweidrittelmehrheit der Abgeordneten hin, um künftig Vetos des Präsidenten allein zu überstimmen zu können.

Der Konflikt zwischen dem Präsidenten und dem Regierungschef schwelt seit dem Machtantritt Janukowitschs im August 2006, als vier Monate nach den Parlamentswahlen eine Koalition aus Janukowitschs „Partei der Regionen“, Sozialisten und Kommunisten gebildet wurde. Anfang desselben Jahres war eine Verfassungsänderung in Kraft getreten, die die Kompetenzverteilung zwischen Regierung, Parlament und dem Staatschef zu dessen Ungunsten neu regelt. Über die Auslegung bestehen große Unstimmigkeiten.

Im Dezember 2006 verabschiedete das Parlament zudem ein „Gesetz über den Ministerrat“, das die Vollmachten der Regierung erneut erweitert. Ein Veto Juschtschenkos gegen das Gesetz überstimmte das Parlament mit den Stimmen von BJUT. Jetzt ist das Verfassungsgericht mit der Angelegenheit betraut, das auch die Verfassungsänderung von 2006 prüft.

Die Blockade der politisch Verantwortlichen nimmt bisweilen absurde Züge an. So hat die Ukraine erst seit dem 22. März nach mehrmonatiger Vakanz wieder einen Außenminister. Den ersten Kandidaten Juschtschenkos hatte das Parlament durchfallen lassen.

Sollte es zu Neuwahlen kommen, würde davon vor allem Julia Timoschenko profitieren. Sie würde Umfragen zufolge auf 28 Prozent und damit 6 Prozent mehr kommen als 2006. Die „Partei der Regionen“ würde ihr Ergebnis von rund 32 Prozent halten. Demgegenüber würde sich der Anteil für „Unsere Ukraine“ halbieren – von 14 auf 7 Prozent. BARBARA OERTEL