Ein unmoralisches Angebot

10.000 Dollar wurden Wissenschaftlern von der Ölindustrie für Gegenstudien zum IPCC-Bericht geboten

BRÜSSEL taz ■ Im Morgengrauen, als das Zeitbudget und die Geduld der Delegierten schon überstrapaziert waren, hatte das IPCC-Treffen von Brüssel seinen Eklat: Mit „sehr hoher Gewissheit“ würden die Ökosysteme auf allen Kontinenten und in den Meeren vom Klimawandel betroffen, hatten die wissenschaftlichen Autoren des 2. IPCC-Berichts geschrieben. Das passte Saudi-Arabien, China und Russland gar nicht. Sie boxten durch, dass es nur „hohe Gewissheit“ heißen sollte – ein eklatanter Verstoß gegen die Regeln des Klimagremiums. Denn die Regierungen dürfen zwar Änderungen wünschen oder Passagen streichen, aber kein wissenschaftliches Werturteil verändern. Gegen diesen „Akt des wissenschaftlichen Vandalismus“ protestierten die Autoren noch in der Nacht zum Freitag schriftlich bei IPCC-Chef Rajendra Pachauri. Ihnen zu Hilfe kam – die Delegation der USA. Morgens um kurz nach 10 stellten sie den Antrag, doch wieder „sehr hohe Gewissheit“ in den Text zu schreiben. Der Kompromiss: In der Zusammenfassung gibt es dazu keine Aussage.

Verfahrenstricks, politische Einflussnahme und dreckige Manöver hinter den Kulissen hat es beim IPCC immer gegeben. 10.000 Dollar plus Spesen – diesen Preis hatte Anfang des Jahres das „American Enterprise Institute“ für Wissenschaftler ausgelobt, die in einer Veröffentlichung den ersten IPCC-Bericht in Zweifel ziehen würden. Die meisten Klimawissenschaftler werteten dieses unmoralische Angebot, das der britische Guardian ans Licht brachte, als „verzweifeltes Manöver“ des von Exxon-Mobil finanzierten Instituts. Wirklich gewundert hat es aber niemand: Seit es das IPCC gibt, reißt die Kritik von Ölfirmen, konservativen Politikern und „Klimaskeptikern“ nicht ab: Die Wissenschaft vom Klimawandel sei Müll, die Ergebnisse übertrieben, die Schlussfolgerungen ideologisch motiviert.

Da war die Veröffentlichung des britischen Klimaaktivisten David Wasdell im März etwas Neues: In seiner zehnseitigen Studie „Political Corruption of the IPCC-Report?“ kritisiert Wasdell die in Paris ausgehandelte „Zusammenfassung für Entscheider“ der IPCC-Arbeitsgruppe I aus der Sicht des Klimaschutzes. Der Bericht über die zunehmende Erwärmung des Planeten sei von den Delegationen der Regierungen „verwässert“ worden, ist sein Vorwurf.

Wasdell hat sich die Mühe gemacht, den Entwurf der Zusammenfassung mit dem verabschiedeten Papier Zeile für Zeile zu vergleichen. Er kommt zu einem klaren Ergebnis: Vor allem „Hinweise darauf, dass sich das Klima möglicherweise schneller verändert als gedacht, wurden durchgehend entfernt“.

Den Vorwurf, die Regierungen hätten den Bericht nach Belieben zensiert, weisen Wissenschaftler und Regierungen jedoch von sich – und auch unabhängige Beobachter stützen ihn nicht. „Dieser Vorwurf ist einfach falsch und zeigt Unwissen über die Details, die zu der Zusammenfassung führten“, schreibt eine Gruppe von etwa 20 Klimawissenschaftlern, unter ihnen viele IPCC-Autoren. Vielmehr habe es überraschend wenig politische Einflussnahme gegeben.

„Wir waren vielleicht ein bisschen konservativ“, sagt dazu der Leiter einer europäischen Delegation, „aber alle Fakten sind drin, auch die Beschleunigung beim Klimawandel, wenn man weiß, wo man sie findet.“ Doch bei Nachfragen, ob ein Autor auch wirklich 100-prozentig belegen könne, was er schreibe, seien eben manche lieber einen Schritt zurückgewichen – auch um ihren Ruf unter den Kollegen nicht zu gefährden, wenn sie sich zu weit vorwagten. Im Gegenteil hätten manche Delegierte versucht, die Wissenschaftler zu deutlicheren Warnungen zu bewegen, etwa bei der Eisschmelze in Grönland. Als das IPCC beharrte, die bisherigen Daten gäben eine stärkere Aussage nicht her, wählten Wissenschaftler um den Potsdamer Ozeanologen Stefan Rahmstorf ein anderes Podium – und veröffentlichten ihre Untersuchungen in Science.

BERNHARD PÖTTER