Bob Dylan: Standbild mit Hut

Wie könnte es auch anders sein: Konzentriert und routiniert eröffnete Bob Dylan am Mittwochabend in Hamburg seine Deutschlandtour.

Nicht ohne meinen Hut! Bild: Promo

Der Effekt war verblüffend. Nach jedem Song ging das Licht aus, die ganze Bühne wurde abgedunkelt (die Halle war es sowieso), nur die Notausgangszeichen und etliche glimmende Zigaretten illuminierten den stadiongroßen Raum. Dann ging es wieder an, und mit jedem Wiederbeleuchten der Bühne gab es auch eine neue Szene zu sehen, in der die Musiker bereits ihre Plätze eingenommen hatten. Mit dem Einsetzen der Musik begann das Standbild zu leben.

Der Effekt hatte etwas Filmisches, sagen wir: aus Stummfilmtagen, und überhaupt hatte der Gestus, mit dem Bob Dylan und seine fünf in graue Anzüge gekleideten Musiker die Bühne der Hamburger Color Line Arena vereinnahmten, etwas außerhalb der Zeit Stehendes. Zwar variiert Dylan den Grundauftritt seiner Band seit Jahren kaum noch - es handelt sich um fünf sprachlose Herren mit Hüten, die im Halbkreis stehend, einen stets homogenen musikalischen Unterbau liefern -, doch diesmal waren die Details anders, durchdachter, perfektionierter.

Anlässlich der Veröffentlichung von Dylans neuem Album "Modern Times" einerseits und andererseits der Buchung der gefühlt viel zu großen Halle mögen die Erwartungen bei den zahlreichen, aber eben nicht in Massen erschienenen Zuschauern gemischt gewesen sein. Und tatsächlich begann das Konzert verhalten. Dass Dylan für die ersten vier Songs nach endlosen vier Jahren wieder die Gitarre in die Hand genommen hat, ging in einem stimmigen Sound auf, in welchem die Helge-Schneider-Orgel, Dylans Instrument seit 2003, von niemandem in der Halle vermisst wurde. Die vier Songs, darunter ein neu arrangiertes "It Aint Me Babe" und ein müde geröcheltes "Its Alright Ma (Im Only Bleeding)" "klangen" gut, aber sie schienen unter einer übermächtigen Schwerkraft zu leiden, die jede Aktion gen Bühnenboden zog - die Gesichtszüge der Musiker, die Spritzigkeit, das Timing im Gesang.

Dylan, der als Einziger auf der Bühne einen weißen Hut trug - und damit selbst vom entferntesten Sitzplatz der riesigen Multifunktionshalle leicht verortbar blieb -, was in good voice. Bekanntlich ist Bob Dylans neue Stimme eine gebrochene, in ihren Ausdrucksmöglichkeiten gleichwohl reiche. Vielleicht lag es an ihr, an dieser stets zu spürenden Anwesenheit der Abwesenheit, dass die Stimmung im Saal nicht zum Unguten umkippte - dass an diesem frühen Abend in Hamburg etwas möglich sein müsste, eine kleine Sensation oder auch nur eine überraschende Wendung.

Und tatsächlich passierte etwas. Unmerklich hatte die Lichtregie den Saal an der Nase herumgeführt und auf der Bühne die Intimität eines Club-Konzertes simuliert. Dylan spielte langsame Balladen wie "When The Deal Goes Down" oder "Nettie Moore" noch langsamer (die Schwerkraft!) als auf "Modern Times" bereits angelegt; die Band zeigte in diesen Momenten, wie fantastisch sie sein kann, als dass sie als kompakte Einheit auch homogen leise spielen konnte. Das Publikum: mucksmäuschenstill.

In dieser Phase der Konzentration, die erste Hälfte des Konzertes war bereits vorüber, setzte Dylan deutliche Akzente. "Highway 61" glühte angesichts der klitzekleinen, aber effektvollen Änderungen im Arrangement, die dem Song eine willkommene Rockabilly-Härte gaben. "Like A Rolling Stone", mit dem Dylan den Hauptteil des Konzertes abschloss, beeindruckte als abgeklärt-balladenhafte Version im stimmungsvollen Schummerlicht. Anschließende Dunkelheit, vereinter Ruf nach Zugaben, erneute Illumination, wieder das Standbild mit weißem Hut.

Die Überraschung des Abends hatte sich Bob Dylan für den Zugabenblock aufgehoben. Hamburg erlebte die Europa-, wenn nicht sogar die Welturaufführung des Songs "Aint Talkin", dem monströsen, gewichtigen Signatursong des neuen Albums. Nicht nur ist dieses Stück selbst ein Rohdiamant von einem Talking Blues. Das alttestamentarische Grollen, das Dylan in seine Stimme hineinlegte, gab "Aint Talkin" eine ganz eigene Gravität, eine, die im Stande war, die Zeit und den Ort für einen Moment aufzulösen. So viele Songs gibt es nicht in Dylans Katalog, die über eine solche potenzielle Kraft verfügen. "Blind Willie McTell" ist einer, "Highwater (For Charley Patton)" ein anderer. Dass Dylan in Hamburg einen neuen Song dieses Kalibers aus dem Hut zauberte, war ein besonderes Moment. Das Schlussbild - Dylan steht regungslos am Bühnenrand, eingerahmt von seinen grauen Musikern, tosender Applaus - erinnerte daran, dass hier einer die Kurve gekriegt hatte.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.