Gewalt liegt in der Luft

30 Jahre nach den Kugeln auf Siegfried Buback: Rekonstruktion, Erinnerung, Re-Lektüre. Was ist aus dem Cultural Gap geworden, der die damalige Revolte ermöglichte? Vor welchem Erfahrungshorizont wird heute über die RAF gesprochen?

VON KLAUS WALTER

Schwarz, der Himmel unserer Zukunft Rot, die Erde der Vergangenheit Gold, die Zähne unserer Väter („Herrenreiter“, Mittagspause, 1979)

„Es ist an der Zeit, innere Monologe zu veröffentlichen. Was habe ich empfunden, als ich die Nachricht vom Attentat auf Generalbundesanwalt Buback und seine Begleiter vernahm?“ Mit dieser Frage leitet der Sozialpsychologe Peter Brückner 1977 sein Buch zur Mescalero-Affäre ein. Unter dem Namen Mescalero hatte ein anonymer Autor in einer Göttinger Studentenzeitung über die Erschießung von Siegfried Buback durch die RAF geschrieben. Zunächst gab er seiner viel zitierten „klammheimlichen Freude“ Ausdruck, um dann zur eindeutigen Ablehnung des Attentats zu kommen.

Zehn Jahre nach den Schüssen gründen Ted Gaier und Ale Dumbsky von der Hamburger Band Die Goldenen Zitronen eine Plattenfirma. Ihr Name: Buback. Warum? Ted Gaier heute: „Wenn man ein Unternehmen gründet [lacht], sollte man einen schillernden Namen haben, dachte ich und kam irgendwie auf Buback. Das Wort Buback hat einen gewissen Flow, und es erschien uns amüsanter als, sagen wir, Rosa Luxemburg Records. Im Nachhinein würde ich sagen, da steckt eine typisch punkhafte Überaffirmationsgeschichte drin, etwas Verwirrendes, mit einem damals herrschenden Codesystem nicht Erfassbares.“ Wie waren die Reaktionen? „Wissende haben gegrinst, aber meist gab’s keine Reaktion.“

Und Ärger mit der Familie Buback? „Nein, es ist ja auch keine Verunglimpfung im eigentlichen Sinne. Mehr als damals würde ich heute sagen, dass aus so einem Namen eine strange Vieldeutigkeit spricht.“

Hast du heute Zweifel? „Gerade wegen dieser Ambivalenz nicht. Wie die derzeitige Debatte läuft, das ist für mein Empfinden, nett gesagt, zweifelhaft. Von Spiegel und Bild bis Junge Welt. Da geht’s mir wie beim Gang durch die RAF-Ausstellung in den KunstWerken, wo ich dachte, man müsste den RAF-Überlebenden Tantiemen bezahlen.“

Auf Buback erscheint 2001 „Söhne Stammheims“. Darauf rappt Jan Delay: „Nun kämpfen die Menschen nur noch für Hunde und Benzin / folgen irgend-’nem Zlatko und nicht mehr Baader und Ensslin.“ Der Titel der Platte, „Searching for the Jan Soul Rebels“, spielt an auf das Debütalbum von Dexy’s Midnight Runners, „Searching for the Young Soul Rebels“ von 1980. Darauf gab es den Hit „There There My Dear“ mit der berühmten Zeile „The only way to change things is to shoot men who arrange things.“ Hits werden im Radio gespielt. Gewalt is in the air. 30 Jahre später werden wieder innere Monologe geschrieben.

1977 studierte ich in Frankfurt Jura, Berufsziel Rechtsanwalt, also linker Anwalt. Die Entscheidung für dieses Studium war politisch, wie alles damals. Opfer bringen, auch gegen eigene Zweifel. Würde ich es schaffen, mir einen Panzer aus großbürgerlichen Allüren zuzulegen, wie ihn Horst Mahler und Otto Schily vor sich hertrugen? Den brauchte man doch, um sich gegen Typen wie Buback zu behaupten. Am 7. April 77 kehre ich auf dem Weg zur Uni in der Karl-Marx-Buchhandlung ein. An der Tür empfängt mich Daniel Cohn-Bendit, Primus inter Pares des Karl-Marx-Kollektivs. „Buback ist erschossen worden!“, brüllt er: „Findest du das gut oder blöd?“ Meine Antwort trägt er in eine Hitliste ein. Die meisten Striche stehen unter „gut“. Die Frage, von wem Buback erschossen worden war, stellte sich ebenso wenig wie die Frage, warum.

Diese Typen

„Ich habe diesen Typen oft hetzen hören, ich weiß, dass er bei der Verfolgung, Kriminalisierung, Folterung von Linken eine herausragende Rolle spielte. Wer sich nur einmal genau sein Konterfei angesehen hat, der kann erkennen, welche Züge dieser Rechtsstaat trägt, den er in so hervorragender Weise verkörperte.“ Diese Passage über Siegfried Buback gehört zu den meistkritisierten des Mescalero-Textes. Ontologisieren, vom Aussehen auf den Charakter schließen, Nazimethoden. So spricht die Gegenseite. „Ihr müßt diesen Typen genau ins Gesicht sehen. Dann wißt ihr, denen geht es nur darum, unsere freiheitliche Grundordnung zu zerstören“ (Klaus Schütz, Regierender Bürgermeister in Berlin, 1968 über die APO). Peter Brückner kommentiert: „Es ist, als habe sich Klaus Schütz endgültig durchgesetzt, auch die Linke denkt jetzt so wie er. Sie ‚weiß‘ nicht mehr, daß sie einst anders dachte und Gegenstand dieser Marginalisierung war.“

Manchmal lohnt es sich, alte Bücher neu zu lesen. taz-Redakteur Jan Feddersen las kürzlich ein anderes 77er-Buch wieder. „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“, die von Bild inspirierte Geschichte über eine Frau, die von dem Reporter Werner Tötges als Terroristenliebchen denunziert und derart in die Enge getrieben wird, dass sie diesen Tötges tötet – Notwehr, suggeriert Böll. Sogar Jan Feddersen, jeder Sympathie für die RAF unverdächtig, bekennt sich zu Gewaltfantasien: „Wer innerlich einen Typus wie Werner Tötges nicht miterschossen hat, musste herzlos gewesen sein. Eine starke Verführung zur rechtschaffenen Empörung, eine Suggestion von mächtigem Rachedurst.“

Die feine kleine Differenz zwischen Typen und Typus sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass es Hass auf beiden Seiten gab. Die entscheidende Leerstelle der Erinnerungsmonologe von heutigen Exlinken ist die Verniedlichung der gesellschaftlichen Konfrontation. Einen Tötges hätten sehr viele miterschossen, Empörung und Rachedurst waren weit verbreitet, eine Enthaltung angesichts der innerstaatlichen Feinderklärung unmöglich. Gewalt lag in der Luft. Eine Gewalt, die durchaus vom Volke, vulgo: vom Staate ausging und die auch Vernichtung im Sinn hatte. Während der Schleyer-Entführung schlug Franz Josef Strauß vor, die Stammheimer Häftlinge zu erschießen. Man möchte nicht wissen, wie viel Zustimmung er von seinem Volk bekommen hätte. Bei „Christiansen“ votieren 91 Prozent der Zuschauer gegen die Freilassung von Christian Klar.

Désirée

Geschichte wird man nicht los. Brückners Buch war mir abhanden gekommen, über Ebay bekam ich ein zerlesenes Exemplar mit Anmerkungen wie „kann man wohl sagen“ oder „StGB besorgen!“. Auf dem Umschlag ein Stempel mit Name, Adresse und Telefonnummer der Besitzerin. Ungewöhnlich, damals wollte anonym bleiben, wer linke Bücher las. Berufsverbot is in the air. Ausgerechnet Désirée hat mir nun das Mescalero-Buch verkauft. Später war sie die Freundin eines prominenten Frankfurter Spontis. Er war einer der 14 Linksradikalen, die nach der Demonstration anlässlich des Todes von Ulrike Meinhof am 10. Mai 1976 unter Mordverdacht verhaftet wurden. Es ging um den Molotowcocktail, der den Polizisten Andreas Weber getroffen hatte. Er überlebte knapp, mit 60 Prozent verbrannter Haut, die Verdächtigen wurden bald entlassen, auch Joschka Fischer.

Mind the Gap

Brückner: „Anspielungen verweisen auf einen gemeinsamen Erfahrungshorizont.“ Mescalero benutzt die gängigen Codes der Spontiszene, das beginnt bei seinem Nom de Guerre: abgestandene Stadtindianermetaphorik. Er spricht aus einem gemeinsamen Erfahrungshorizont der Revolte von 67 bis 77. Liest man Brückners Satz gegen den Strich, dann stößt man auf das Dilemma der aktuellen Erinnerungsmonologe: Das Vermeiden von Anspielungen lässt gar nicht erst den Verdacht eines gemeinsamen Erfahrungshorizonts aufkommen.

Der Schreibgestus der Koenens, Kraushaars et al. dementiert jede Gemeinsamkeit mit denen, die später bei der RAF landen. Dementiert wird der Cultural Gap, der die Revolte der 60er erst angestoßen hat: Der Gap zwischen rechts und links war einer zwischen Spießertum und Libertinage, Gehorsam und Übertretung, Schlager und Pop … In angeblich postideologischen Zeiten muss man an solche Selbstverständlichkeiten erinnern, muss als Nachgeborener 68ern erklären, dass 68 mehr erkämpft hat als Ökostrom und Biodiesel. Die antiautoritäre Bewegung revoltierte gegen eine verfasste Gesellschaft, Naziväter und -mütter, den Muff von tausend Jahren. Alte Feindbilder und Ressentiments, die längst überwunden sein sollten – sagen die Postideologen von heute, und sie sagen es von rechts nach links. Feindbilder haben Ursachen. Wer heute über Ursachen spricht, gerät in den Verdacht der Komplizenschaft. Noch mal Brückner: „Jeder gewaltsam zugefügte und erlittene Tod hat seine Ursachen und Bedingungen, das führt weit; weiter als die unmittelbare Betroffenheit reicht.“

Söhne Stammheims

Man muss nicht an alten Feindbildern festhalten, man darf nicht Söhne mit Vätern verwechseln, schon gar nicht einfache Spießer mit Nazis. Aber: Habe nur ich ein komisches Gefühl bei den Söhnen von Buback und Schleyer? Bei allen Unterschieden – Michael Buback besonnen, Hanns-Eberhard Schleyer eifernd – kommt man bei beiden keine Sekunde auf den Gedanken, dass sie jemals gegen ihre Väter revoltiert haben. So fest stehen sie in den Fußstapfen, so sehr sind sie Stammhalter. Der Sohn des Arbeitgeberpräsidenten (und SS-Offiziers) wird Generalsekretär des Deutschen Handwerks. Der Sohn des Generalbundesanwalts ergreift zwar keinen juristischen Beruf, doch ähnelt seine Physiognomie bis aufs Haar der des Vaters. Die 50er-Jahre-Männermarotte, bei beginnender Glatze das Resthaar über einem Ohr tief zu scheiteln und in langen Strähnen über die Platte zu ziehen, hat Michael von Siegfried übernommen. Damit fällt seine Erscheinung merkwürdig aus der Zeit, born old. Es gibt gespenstische Fotos mit der Mutter, der früh gealterte Michael, Ebenbild des Vaters, neben der jung gebliebenen Mutter.

Michael Buback und Hanns-Eberhard Schleyer ver-körpern einen spürbar anderen Erfahrungshorizont, sie stehen – da muss man gar nicht groß an Feindbildern festhalten – auf der anderen Seite des politisch-kulturellen Grabens. Dieser Graben ist heute nicht mehr so tief wie vor dreißig Jahren. Die Differenz aber bleibt, ein Rest von Unversöhnlichkeit zwischen Vatermördern und Vatersöhnen. An der Versöhnung, am Zuschütten des Grabens arbeiten seit einiger Zeit Grüne und Schwarze Milieus, interessanterweise gedeiht dieses Projekt besonders in den Regionen Südwestdeutschlands, wo Schleyer und Buback zu Hause waren. Man muss kein Kachelmann sein, um zu wissen, woher der postideologische Wind weht, um zu erkennen, dass im Zuge der neuen RAF-Debatte vor allem linke Erfahrungshorizonte zugeschüttet werden.